Älteste Schrambergerin Ursula Grimm starb im Alter von 104 Jahren
Erinnerungen von Carsten Kohlmann

„Vergesst die ostdeutsche Heimat nicht!“ Dieses Mahnwort steht auf dem Sandsteinsockel des so genannten „Ostkreuzes“ auf dem Paradiesberg, das im Jahr 1956 bei einer großen Kundgebung der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in Schramberg eingeweiht wurde.
Schramberg. Zur Gruppe dieser mehr als 1500 Neubürgerinnen und Neubürger gehörte damals auch Ursula Grimm aus Danzig, die 1952 durch ihre Heirat mit dem Kaufmann Walter Grimm (1919 – 2001) im Schwarzwald ein neues Zuhause fand.
Am 6. April 2025 starb Ursula Grimm im hohen Alter von 104 Jahren und war bei ihrem Tod die mit Abstand älteste Bürgerin der Stadt Schramberg. Einige Woche zuvor hatte sie in noch guter körperlicher und vor allem geistiger Verfassung im Familien- und Freundeskreis in ihrem Haus auf dem Bühle mit beeindruckendem Blick auf die Burgruine Falkenstein und das Bernecktal ihren 104. Geburtstag feiern können – wie immer mit einem engagierten Gespräch über die letzte Bundestagswahl und die neue Bundesregierung am Zeitgeschehen interessiert.
Mit der ihr eigenen Lebensbejahung war sie auch zuversichtlich, dass die aktuellen Probleme der Stadt bewältigt werden können: „Die Schramberger haben sich immer wieder aufgerappelt.“ Der Wahlspruch ihrer Heimatstadt „Nec temere, nec timede!“ wurde ihr zum Lebensmotto: „Weder unbesonnen, noch furchtsam.“
Ostdeutsche Heimat im Herzen
Ihre ostdeutsche Heimat trug Ursula Grimm zeitlebens im Herzen. „Meine Heimat ist immer in mir. Ich träume von meiner Heimat, meiner Jugendzeit und von allem. Das ist so lebendig, dass das für mich im Schlaf Wirklichkeit wird. Das war schon immer so“, sagte sie vor einigen Jahren in einem Gespräch über das Thema „Heimat“.
In Danzig habe sie ein „Maß“ erhalten, das ihr zeitlebens geblieben sei. So unterschied sie zwischen ihrer „Heimat“ in Danzig und ihrem „Zuhause“ in Schramberg: „Ich liebe Schramberg, so wie ich meine Heimat liebe, wegen der liebenswürdigen Menschen hier, wegen der schönen Natur und meine Kinder sind hier geboren.“ Voller Wehmut bekannte die gefühlvolle Frau aber: „Heimat bleibt Danzig – immer.“
Gespräche mit Ursula Grimm waren stets eine große Begegnung mit dem ehemaligen deutschen Osten, über dessen Natur- und Kulturlandschaft sie eindrucksvoll erzählen konnte – vor allem natürlich über ihre geliebte Heimatstadt Danzig und am besten mit einem Glas des legendären Likörs „Danziger Goldwasser“, das bei keinem Gespräch fehlen durfte. Zeitlebens gehörte sie auch der Landsmannschaft Danzig-Westpreußen und der Gemeinschaft der katholischen Jugend aus Danzig an und war lange Abonnentin der Zeitung „Ostpreußenblatt“.
Ein langes Leben
Geboren wurde Ursula Grimm am 20. Februar 1921 als erstes von sieben Kindern des Lehrers Alfred Freyer (1890 – 1959) und seiner Ehefrau Helene Freyer (1891 – 1989) in Schönberg an der Weichsel im damaligen Freistaat Danzig geboren. Ihre Familie erlebte sie als „Clan“ mit engem Zusammenhalt und starker Heimatverbundenheit – und so setzte sie es auch in ihrer eigenen Familie fort. Später wohnte ihre Familie in Danzig, wo sie am 1. September 1939 den ersten Schuss des Zweiten Weltkrieges hörte, als das deutsche Kriegsschiff „Schleswig-Holstein“ das Feuer auf die zu Polen gehörende Exklave auf der Westerplatte eröffnete.
Vor dem Abitur wurde die begabte junge Frau zum Volksschuldienst im so genannten „Korridor“ verpflichtet und hatte mehrere, kurzzeitige Schulstellen in Danzig-Westpreußen. Ihr Verlobter Gerhard Goedecke (1919 – 1943) fiel in Russland. Im Frühjahr 1945 floh sie mit dem größten Teil der Bevölkerung ihrer Heimat vor der Roten Armee mit einem Lazarettzug zu Familienangehörigen in den Westen, zuerst nach Hamburg und danach ins Allgäu, wo sie dann auch wieder als Lehrerin unterrichtete. Den Rucksack aus Leinen, mit dem sie bei Kriegsende floh, bewahrte sie zeitlebens als Erinnerungsstück auf.

Ankunft in Schramberg – Rückkehr in die alte Heimat
Bei einem Urlaub im Allgäu lernte der junge Kaufmann und Kriegsheimkehrer Walter Grimm aus Schramberg Ursula Freyer kennen und lieben. Sie gründeten in Schramberg eine Familie, der die drei Kinder Bernhard, Elisabeth und Johannes geschenkt wurden. Kurz wohnten sie im Elternhaus von Walter Grimm am Grafenweg, bauten dann aber 1952 ein erstes Haus an der Weihergasse und 1966 ein zweites, größeres Haus für die wachsende Familie am Bühle.
Seit Mitte der 1970er-Jahre kehrte sie bei mehreren Reisen in ihre Heimat Danzig und zeigte sie ihren Kindern und Enkeln. Die Erfahrung dieser Reisen bewegte sie sehr. „Es war irgendwie ein Aufleuchten. Ich habe das Gefühl gehabt. Hier kann ich frei atmen, hier bin ich zu Hause, hier gehöre ich hin.“
Im Kreis ihrer großen Familie mit zwölf Enkeln und sieben Urenkeln, in den letzten, schwerer werdenden Lebenstagen unterstützt von Freunden der Familie, starb Ursula Grimm in ihrem Haus in Schramberg, umgeben von den Schwarzwaldbergen und der Frühjahrsblüte in ihrem geliebten Garten – ihre ostdeutsche Heimat bis zuletzt im Herzen.