Unterhaltung mit inneren Stimmen

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Feuerwehr-Einsatz mit knapp 70 Einsatzkräften im Rottweiler Gefängnis. Was am Tag vor Weihnachten 2022 die Gemüter erregte, hat jetzt ein Nachspiel vor Gericht.

Rottweil – Mit Handschellen wird der seit Kurzem 30-jährige Angeklagte in den Gerichtssaal geführt. Er soll in seiner Haftzelle den Brand am frühen Morgen des 23. Dezember gelegt haben. Wenige Stunden zuvor, so die von Staatsanwalt Dr. Matthias Krausbeck verlesene Anklageschrift, habe er seinen Mitbewohner der Zelle verprügelt, so dass dieser in eine andere Zelle in Sicherheit gebracht werden musste.

Zweck des Verfahrens ist aber nicht, den jungen Mann für ein paar weitere Jahre in den Knast zu schicken: Die Staatsanwaltschaft geht vielmehr davon aus, dass er wegen verschiedener psychischer Erkrankungen schuldunfähig war. Weil er, so Krausbeck, für die Allgemeinheit gefährlich sei, soll er in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden.

Frühe Drogenkarriere

Gefasst, höflich und kooperativ, so ist der Eindruck, den der Angeklagte hinterlässt. Und er zeigt sich dessen durchaus bewusst, dass er ein Problem hat. Vielleicht weil er seit einiger Zeit im Vollzugskrankenhaus ist, kann er über seine Probleme reden. Seine Drogenkarriere, die mit 13 begann, als er zum ersten Mal Cannabis zu sich nahm. Und „ab und zu“ auch ein Bier. Tabletten, Cannabis und Amphetamine, das sind seither seine ständigen Begleiter. Beruflich hat er es auch nicht weit gebracht – zwar hat er das Fachabitur geschafft, aber eine Malerlehre zwei Mal abgebrochen.

Der ständige Drogenmissbrauch ist für ihn der Grund dafür, dass ihn irgendwann vor zwei bis drei Jahren eine Psychose erwischt, „ein Verfolgungswahn“, sagt er selbst (der Sachverständige spricht dazu erst morgen). Er glaubt an Außerirdische und Satanisten, die Kinder umbringen und auch ihn in seiner Macht haben wollen. Dazu gehören auch die Leute aus seiner Umgebung. Seinen jüngeren Bruder hat er mal in seinem Wahn verdroschen. „Ich habe ihn um Entschuldigung gebeten, und er hat das angenommen“, berichtet er dem Gericht.

Dazu hört er Stimmen – meist, wenn er auf Entzug ist. Die Unterhaltung mit ihnen kann auch mal Spaß machen, berichtet er dem Gericht. Aber meistens ist es ärgerlich und anstrengend, vor allem, weil sie ihn beleidigen („Opfer“, zitiert er unter anderem).

Ersatzfreiheitsstrafen abgesessen

Wegen Drogen war er auch schon vor dem Kadi gestanden. Zwei Geldstrafen standen an, die er nicht zahlen konnte – logische Folge: Er muss eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Am 1. Dezember meldet er sich in Rottweil zum Strafantritt. Zunächst macht er einen guten Eindruck, wie Vollzugsbeamte bescheinigen – er ist fleißig und schnell bei der Arbeit. Doch dann beobachten die Beamten einen Stimmungswechsel. Den führt der Angeklagte, wie auch seine Taten am 23. Dezember, auf den Drogenentzug zurück. Zweifel, die geäußert werden, hält er entgegen, dass es bei ihm immer so sei.

Voll geständig – ziemlich

Und dann eben diese verhängnisvolle Tat. Im Prinzip ist er voll geständig – vermutlich würde seine Version auch für eine Verurteilung ausreichen. Ein bisschen unterscheidet sie sich von der Version des Opfers, eines Griechen, des Deutschen nicht mächtig. Das zwar als Zeuge geladen ist, aber nicht erscheint. „Ob er die Ladung verstanden hat“, fragt Verteidiger Rasmus Reinhardt. „Er hat die Ladung auf Griechisch bekommen“, stellt die Vorsitzende Richterin Schweizer fest. So wird seine Aussage, die er vor der Polizei gemacht hat, vorgelesen, im allseitigen Einverständnis. Die Dolmetscherin wird also nicht gebraucht.

Geschlagen, getreten, einen Apfel ins Gesicht geworfen – so lässt sich das Geschehen wohl zusammenfassen. Ein Martyrium für den Zellengenossen, der seine beiden Zahn-Brücken verliert und, nach eigener Aussage, einige Tage Schmerzen leidet. Die herbeigerufenen Beamten verlegen das Opfer in eine andere Zelle. Die Polizei kümmert sich um den Fall und um den Täter. „Er hat geistesabwesend gewirkt“, erinnert sich der Beamte, „aber hatte eine leicht aggressive Grundstimmung“.

Feuer in der Zelle

Das ist aber nur Teil eins einer völlig missglückten Nacht. Jetzt nämlich reißt der Angeklagte Poster und Bilder von der Wand, nimmt andere Gegenstände und häuft sie, als er allein ist. Und zündet sie an. Den Brandmelder legt er, als der losgeht, gleich noch auf den brennenden Haufen. Der Rauch zieht sich nach oben ins nächste Stockwerk und löst auch dort den Brandmelder aus. Ein Beamter verlegt die drei Gefangenen von dort nach unten, ruft die Feuerwehr, die geht zunächst in den oberen Stock geht, wo das Feuer vermutet wird. Als sie dann die Haftzelle des Angeklagten betritt, ist das Feuer schon aus. Der Raum ist verqualmt und laut Zeugenaussagen heiß. Warum er das gemacht hat? Die Stimmen waren’s auf jeden Fall nicht, betont der Mann.

Zum Tatzeitpunkt clean

Der als Zeuge aussagende Gefängnisarzt erinnert sich daran, dass der Angeklagte die Folgen seiner Tat nicht so ernst nimmt, Witze macht. Die Pupillen des Mannes seien geweitet gewesen, berichtet der Arzt, und hätten auch auf die Taschenlampe nicht reagiert. Er vermutet, dass der Angeklagte innerhalb der vorangegangenen 24 Stunden Drogen genommen hat. Was aber, darauf weist ihn die Richterin hin, nicht sein kann: Das Drogenscreening hat ergeben, dass er zu dem Zeitpunkt clean war.

Die Vernehmung des Insassen einer Nachbarzelle bringt nichts, weil sich dieser an nichts erinnern will. Was Richterin und Staatsanwalt auf die Palme bringt. Der Mann sitzt in einem andern Gefängnis, er wird in Ketten in den Saal geführt.

Fortsetzung morgen

Die Verhandlung wird am Mittwoch um 9.30 Uhr mit der Vernehmung von Zeugen und der Aussage des psychiatrischen Sachverständigen fortgesetzt. Die Plädoyers und die Urteilsverkündung sollen dann am Donnerstag, 27. Juli, ab 9 Uhr folgen.

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Wolf-Dieter Bojus
Wolf-Dieter Bojus
... war 2004 Mitbegründer der NRWZ und deren erster Redakteur. Mehr über ihn auf unserer Autoren-Seite.

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Feuerwehr-Einsatz mit knapp 70 Einsatzkräften im Rottweiler Gefängnis. Was am Tag vor Weihnachten 2022 die Gemüter erregte, hat jetzt ein Nachspiel vor Gericht.

Rottweil – Mit Handschellen wird der seit Kurzem 30-jährige Angeklagte in den Gerichtssaal geführt. Er soll in seiner Haftzelle den Brand am frühen Morgen des 23. Dezember gelegt haben. Wenige Stunden zuvor, so die von Staatsanwalt Dr. Matthias Krausbeck verlesene Anklageschrift, habe er seinen Mitbewohner der Zelle verprügelt, so dass dieser in eine andere Zelle in Sicherheit gebracht werden musste.

Zweck des Verfahrens ist aber nicht, den jungen Mann für ein paar weitere Jahre in den Knast zu schicken: Die Staatsanwaltschaft geht vielmehr davon aus, dass er wegen verschiedener psychischer Erkrankungen schuldunfähig war. Weil er, so Krausbeck, für die Allgemeinheit gefährlich sei, soll er in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden.

Frühe Drogenkarriere

Gefasst, höflich und kooperativ, so ist der Eindruck, den der Angeklagte hinterlässt. Und er zeigt sich dessen durchaus bewusst, dass er ein Problem hat. Vielleicht weil er seit einiger Zeit im Vollzugskrankenhaus ist, kann er über seine Probleme reden. Seine Drogenkarriere, die mit 13 begann, als er zum ersten Mal Cannabis zu sich nahm. Und „ab und zu“ auch ein Bier. Tabletten, Cannabis und Amphetamine, das sind seither seine ständigen Begleiter. Beruflich hat er es auch nicht weit gebracht – zwar hat er das Fachabitur geschafft, aber eine Malerlehre zwei Mal abgebrochen.

Der ständige Drogenmissbrauch ist für ihn der Grund dafür, dass ihn irgendwann vor zwei bis drei Jahren eine Psychose erwischt, „ein Verfolgungswahn“, sagt er selbst (der Sachverständige spricht dazu erst morgen). Er glaubt an Außerirdische und Satanisten, die Kinder umbringen und auch ihn in seiner Macht haben wollen. Dazu gehören auch die Leute aus seiner Umgebung. Seinen jüngeren Bruder hat er mal in seinem Wahn verdroschen. „Ich habe ihn um Entschuldigung gebeten, und er hat das angenommen“, berichtet er dem Gericht.

Dazu hört er Stimmen – meist, wenn er auf Entzug ist. Die Unterhaltung mit ihnen kann auch mal Spaß machen, berichtet er dem Gericht. Aber meistens ist es ärgerlich und anstrengend, vor allem, weil sie ihn beleidigen („Opfer“, zitiert er unter anderem).

Ersatzfreiheitsstrafen abgesessen

Wegen Drogen war er auch schon vor dem Kadi gestanden. Zwei Geldstrafen standen an, die er nicht zahlen konnte – logische Folge: Er muss eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Am 1. Dezember meldet er sich in Rottweil zum Strafantritt. Zunächst macht er einen guten Eindruck, wie Vollzugsbeamte bescheinigen – er ist fleißig und schnell bei der Arbeit. Doch dann beobachten die Beamten einen Stimmungswechsel. Den führt der Angeklagte, wie auch seine Taten am 23. Dezember, auf den Drogenentzug zurück. Zweifel, die geäußert werden, hält er entgegen, dass es bei ihm immer so sei.

Voll geständig – ziemlich

Und dann eben diese verhängnisvolle Tat. Im Prinzip ist er voll geständig – vermutlich würde seine Version auch für eine Verurteilung ausreichen. Ein bisschen unterscheidet sie sich von der Version des Opfers, eines Griechen, des Deutschen nicht mächtig. Das zwar als Zeuge geladen ist, aber nicht erscheint. „Ob er die Ladung verstanden hat“, fragt Verteidiger Rasmus Reinhardt. „Er hat die Ladung auf Griechisch bekommen“, stellt die Vorsitzende Richterin Schweizer fest. So wird seine Aussage, die er vor der Polizei gemacht hat, vorgelesen, im allseitigen Einverständnis. Die Dolmetscherin wird also nicht gebraucht.

Geschlagen, getreten, einen Apfel ins Gesicht geworfen – so lässt sich das Geschehen wohl zusammenfassen. Ein Martyrium für den Zellengenossen, der seine beiden Zahn-Brücken verliert und, nach eigener Aussage, einige Tage Schmerzen leidet. Die herbeigerufenen Beamten verlegen das Opfer in eine andere Zelle. Die Polizei kümmert sich um den Fall und um den Täter. „Er hat geistesabwesend gewirkt“, erinnert sich der Beamte, „aber hatte eine leicht aggressive Grundstimmung“.

Feuer in der Zelle

Das ist aber nur Teil eins einer völlig missglückten Nacht. Jetzt nämlich reißt der Angeklagte Poster und Bilder von der Wand, nimmt andere Gegenstände und häuft sie, als er allein ist. Und zündet sie an. Den Brandmelder legt er, als der losgeht, gleich noch auf den brennenden Haufen. Der Rauch zieht sich nach oben ins nächste Stockwerk und löst auch dort den Brandmelder aus. Ein Beamter verlegt die drei Gefangenen von dort nach unten, ruft die Feuerwehr, die geht zunächst in den oberen Stock geht, wo das Feuer vermutet wird. Als sie dann die Haftzelle des Angeklagten betritt, ist das Feuer schon aus. Der Raum ist verqualmt und laut Zeugenaussagen heiß. Warum er das gemacht hat? Die Stimmen waren’s auf jeden Fall nicht, betont der Mann.

Zum Tatzeitpunkt clean

Der als Zeuge aussagende Gefängnisarzt erinnert sich daran, dass der Angeklagte die Folgen seiner Tat nicht so ernst nimmt, Witze macht. Die Pupillen des Mannes seien geweitet gewesen, berichtet der Arzt, und hätten auch auf die Taschenlampe nicht reagiert. Er vermutet, dass der Angeklagte innerhalb der vorangegangenen 24 Stunden Drogen genommen hat. Was aber, darauf weist ihn die Richterin hin, nicht sein kann: Das Drogenscreening hat ergeben, dass er zu dem Zeitpunkt clean war.

Die Vernehmung des Insassen einer Nachbarzelle bringt nichts, weil sich dieser an nichts erinnern will. Was Richterin und Staatsanwalt auf die Palme bringt. Der Mann sitzt in einem andern Gefängnis, er wird in Ketten in den Saal geführt.

Fortsetzung morgen

Die Verhandlung wird am Mittwoch um 9.30 Uhr mit der Vernehmung von Zeugen und der Aussage des psychiatrischen Sachverständigen fortgesetzt. Die Plädoyers und die Urteilsverkündung sollen dann am Donnerstag, 27. Juli, ab 9 Uhr folgen.

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