Kreuze, Engel, Heiligenfiguren – das alles findet sich im Rottweiler Münster zahlreich. Entdecken kann man aber auch: zwei Hasen. Einen davon mit Eier-Korb – einen waschechten Osterhasen also!
Das Motiv ist auf einer der im 18. Jahrhundert geschaffenen, bildkräftigen barocken Stuhlwangen zu finden. Sie gehören zu den verspielteren Seiten des sonst eher gotisch-ehrwürdigen Heilig-Kreuz-Münsters. Hinzu kamen sie lange nach der Bauphase, nämlich infolge des Stadtbrands von 1696, der das Münster heftig in Mitleidenschaft gezogen hatte.

Den Auftrag für die neuen Stuhlwangen erhielt 1703 der jüngere Hans Kasper Scherlin, der sich bereits einen Namen als Holzbildschnitzer gemacht hatte. Da aber auch andere Rottweiler Schreiner ihren Anteil an dem Großauftrag forderten, waren insgesamt vier Meister beteiligt –der Urheber des Münster-Hasen lässt sich folglich nicht zweifelsfrei benennen.
Jedenfalls verstand er sein Handwerk. Lebensnah und detailreich hat er das Langohr aus dem Holz herausgeschnitzt. Voller Leben und Energie wirkt der drahtige Mümmler, wach und wief lugt er ins Münster hinein.
Dass vor der schlanken Hasennase ein Korb mit Eiern baumelt, macht die Darstellung zu etwas Besonderem. Denn die enge Verbindung von Hase und Eiern wird in der Region erst im späten 17. Jahrhundert greifbar – der Rottweiler Osterhase ist damit ein frühes Zeugnis dieser Thematik.

Ostereier haben dagegen eine lange Tradition. Sie sind ein starkes, lebensnahes Symbol für Fruchtbarkeit und Neubeginn. Schon in vorchristlichen Kulturen wurden sie als Zeichen des Frühlings und des Lebenszyklus gefeiert. Der Frühling war stets eine Zeit der Hoffnung und Erneuerung, in der Menschen die Rückkehr des Lebens nach dem Winter feierten. Eier, die oft mit der Fruchtbarkeit von Tieren und der Natur verbunden wurden, spielten dabei eine zentrale Rolle.
Diese älteren Bedeutungsgehalte wurden vom Christentum in die Feierlichkeiten zum Osterfest eingebunden. Die Eiersymbolik passte perfekt zur Botschaft von der Auferstehung Christi und der Erneuerung, die an Ostern verkündet wird. Eier wurden so zu einem Sinnbild für das neue Leben, das aus dem Tod hervorgeht.
Neben dem Osterhasen mit Eierkorb findet sich in den Stuhlwangen des Münsters noch ein weiteres Langohr: ein fesch gekleideter, mit einem windgeblähten Banner auftrumpfender Meister Lampe. Die Darstellung bezieht sich wohl auf die mittlerweile außer Gebrauch gekommene Redensart „das Hasenpanier ergreifen“, im Sinne von Davonlaufen.

Da Hasen bei Gefahr ihr Heil meist in der Flucht suchen, galten sie als Sinnbild für Furchtsamkeit und Feigheit. Die Darstellung im Münster ist möglicherweise so zu verstehen, dass Gläubige sich an diesem Verhaltensmuster kein Beispiel nehmen sollten: Sie wurden durch den wehrhaft-entschlossenen Mümmler vielmehr aufgefordert, nicht ängstlich und kleinmütig zu werden, sondern im Vertrauen auf die Gnade Gottes mutig durchs Leben zu gehen – eine Botschaft, die ja ebenfalls gut zu Ostern passt.