ROTTWEIL. Unruhe bei der Vereinigung junger Leute in Rottweil, dem Stadtjugendring. Die komplette Vorstandschaft will hinwerfen, entnervt von Mobbing in den eigenen Reihen. Die Stadtverwaltung gibt sich hilfsbereit, scheint aber mit der Veränderungsfreude des StJR nicht mithalten zu können. Bereits am kommenden Samstag soll ein neuer Vorstand her. Im Rahmen einer „Notfall-Mitgliederversammlung“.
Er ist kein Männergesangverein. Einer, in dem der Vorsitzende nach Jahrzehnten aufopferungsvoller Arbeit in allen Ehren mit Präsent und lobenden Presseerwähnungen in den Ruhestand verabschiedet wird. Beim Stadtjugendring Rottweil liegt das Mindesthaltbarkeitsdatum einer Vorstandschaft näher. Sie ähnelt nicht einer gut verschlossenen Dosenwurst, eher einem Bund Bio-Bananen. Man muss auch sehen: In einem Männergesangverein wirken Menschen gesetzteren Alters, die ihren Platz im Leben und vielleicht eine innere Ruhe meist gefunden haben. In der Jugendorganisation StJR naheliegenderweise eher nicht.
Der Verein selbst kommt daher wie ein Turnierritter auf einem müden Klepper. Zerfleddert. Strauchelnd. Und doch: Der Stadtjugendring besteht seit mehr als 40 Jahren. Er hat glanzvolle Zeiten er- und Krisen überlebt. Irgendwie immer.
Erst vor knapp zwei Jahren: große Finanzkrise. Drama. Der Vorsitzende Jonathan Dom sagte seinerzeit der NRWZ: „Es gibt offene Rechnungen beziehungsweise Rechnungen, die in kürzester Zeit zu bezahlen sind, unseres Getränkelieferanten, des Energieversorgers, einer Versicherung und einer Firma für Veranstaltungstechnik.“ Es gab einen Spendenaufruf und die Stadtverwaltung bot ihre Hilfe an.
Ganz früher, und der Verfasser dieser Zeilen denkt an eine der besten Zeiten seines Lebens zurück, war der Stadtjugendring der Verein, der Reisen nach Hyères organisierte. Und der Verein der Sanierer, die sich etwa der Badgasse in Rottweil verdienstvoll angenommen haben. Und der Herausgeber des „Ring“, zu dessen Autoren zu gehören eine gefühlte Auszeichnung war und journalistische Karrieren befeuerte. Natürlich war er auch der Veranstalter von großen Festen. Etwa eines Balles namens „Schlussausfertigrum“, der seinerzeit die Fasnet beendete.
Das ist ohnehin, bei aller Verklärung der vermeintlich guten alten Zeit, die Klammer, die beim StJR früher und heute umgibt: Es ging immer auch ums Abhängen und Feiern. Früher in der „Sonne“, heute im „Parkhaus“. Wobei der Stadtjugendring 2022 zuletzt gemeinsam mit den örtlichen Jusos ein Zeichen setzte, als die beiden Organisationen es als einzige schafften, eine Podiumsdiskussion mit den Kandidaten für die Wahl zum Oberbürgermeister anzubieten. Dies freilich unter Ausschluss des Mannes der AfD, der dann später auch keine Rolle bei der Wahl spielte.
Was die Finanzkrise 2021 angeht: Heute sieht’s besser aus. Jedenfalls finanziell. Der Stadtjugendring hat damals die Kurve bekommen, erinnert sich Marco Schaffert, Fachbereichsleiter Kultur bei der Stadt Rottweil. 2021 hatte er dem Stadtjugendring finanzielle Hilfe angeboten, als der Verein in eine Schieflage geraten war. „Da der Stadtjugendring Spenden akquirierte, kam dieses Angebot nicht zum Tragen“, so der Kulturamtschef heute.
Dass es in dem Verein seit einiger Zeit brodelt, ist ihm bekannt. „Der zweite Sprecher, Felix Dom, hatte gegenüber Herbert Stemmler (dem Abteilungsleiter Kinder- und Jugendreferat, Anm. der Red.) und mir interne Probleme innerhalb des Stadtjugendrings im Zuge der Zuschussbeantragung für einen weiteren Raum des Stadtjugendrings erwähnt“, so Schaffert. Zum Verständnis: Zum städtischen Haushalt 2023 wurde die Kostenübernahme eines zusätzlichen Raumes im Parkhaus am Kriegsdamm vom Gemeinderat beschlossen. „Dom informierte, dass sich die Vorstandschaft auflöse und Neuwahlen anstünden“, so Schaffert weiter. Bisherige Ansprechpartner für das Kinder- und Jugendreferat der Stadt seien bis zuletzt der 1. Sprecher Jonathan Springer und der 2. Sprecher Felix Dom gewesen, die für den Stadtjugendring als Vertreter bei der Stadtverwaltung auftraten.
Nun tauchen neue Namen auf. „Wir haben den Verein im Oktober (mal wieder) pleite übernommen und konnten in dieser Zeit unter unserer Führung ein Vereinsvermögen (genug für Investitionen und eine globale Pandemie) aufbauen.“ So lassen sich Johannes Sistig und Natascha App auf Nachfrage der NRWZ ein. Bei der Stadtverwaltung kennt man die beiden noch nicht: „Herr Sistig und Frau App traten bisher nicht als Ansprechpartner auf“, erklärt Marco Schaffert. KiJu-Leiter Stemmler habe zuletzt „Herrn Dom das Angebot einer externen Beratung zur Moderation interner Themen und Probleme“ gemacht. „Bisher gab es hier keine Rückmeldung. Zu den Problemen im Detail kann nur die Vorstandschaft des Stadtjugendrings Auskunft geben“, sagt Fachbereichsleiter Schaffert.
Den Moderationsversuch, den bestätigen Sistig und App. „Ein Versuch, ein Gespräch mit einem Mediator einzuleiten, ist aufgrund von Desinteresse der Mitglieder gescheitert“, schreiben die beiden.
Es geht aktuell nicht um finanzielle, sondern zwischenmenschliche Probleme. App und Sistig zufolge besteht der StJR-Vorstand aktuell nur noch aus ihnen beiden. „Wir treten zurück und somit der ganze Vorstand“, sagt App. Andere Vorstandsmitglieder hätten ihren Rücktritt mit einem zeitlichen Abstand nacheinander verkündet und ihr Amt niedergelegt.
Jetzt hat der Verein also ausnahmsweise mal Geld, muss die Stadt und müssen Spender nicht aushelfen, genehmigt der Gemeinderat sogar einen weiteren Raum – da kommen andere Gründe für einen Streit auf. Aus Sicht von App und Sistig sei es unter ihrer Führung ab Oktober notwendig gewesen, „die sonst anarchischen Strukturen aufzuheben und autoritärer zu agieren, als das viele Mitglieder wollten oder verstanden haben.“ Zumindest glauben sie, dass das der Grund ist. Sie wissen es nach eigenen Angaben nicht, „denn man hat sich über Wochen geweigert, mit uns zu reden und das Problem anzusprechen.“
Die beiden halten das für „unglaublich traurig“. Die Vereinsstrukturen würden regelmäßig zerstört. Das werfe den Stadtjugendring wieder einmal um Jahre zurück. Und das zu einer Zeit, „wenn man meint, es wäre schon alles in trockenen Tüchern“. Außerdem sei es „sehr schade für die Jugend, die sich durch den Stadtjugendring weiterentwickeln möchte, aber dadurch die Möglichkeit verbaut wird“, so Sistig und App in ihrer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber der NRWZ. Das Konzept und die Idee des Stadtjugendrings finden sie eigentlich ausgezeichnet. So ein Verein in seiner Unabhängigkeit sei „heutzutage nicht mehr zu finden“.
Am kommenden Samstag, 4. März, wollen sie um 15 Uhr im Parkhaus in Rottweil zusammenkommen, in dem der StJR seine Räume samt Bar hat. Die Tagesordnung für die „Notfall-Mitgliederversammlung“, wie sie angekündigt wird, umfasst nur zwei Punkte: 1. Rücktritt des gesamten Vorstands, 2. Neuwahl des gesamten Vorstands.