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    „Moment, ich brenne ja!“

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    HORB/ROTTWEIL. Eine „ganz normale Kindheit“, eine „normale Familie“ – so schaute ein 38-Jähriger vor dem Landgericht Rottweil am Mittwoch zurück. Dass dies infrage stand, liegt am jähen Ende dieser normalen Zeit im März 2022 – als der Zwillingsbruder des 38-Jährigen nachts offenbar das elterliche Haus anzündete. Dabei wurden der Bruder und die Mutter schwerstverletzt, die Frau starb später. Der mutmaßliche, geständige Täter steht unter anderem wegen Mordes vor Gericht. Am Donnerstag vernahm die Schwurgerichtskammer eines seiner beiden Opfer, den überlebenden Bruder, audiovisuell. Aus einem Krankenhaus heraus. Am Ende sagt dieser: „Ich habe keinen Bruder mehr.“

    Ein helles Krankenzimmer einer Klinik. Eine Polizeibeamtin im Vollschutz schaut von links oben vorübergehend in die Kamera, überwacht offenbar den Ablauf der Vernehmung. Benjamin B. – kurze, braune Haare, die seit der Brandnacht im März ein wenig nachgewachsen sind, Brille, Dreitagebart – liegt unter einer reinweißen Decke. Er hätte ein Zeugnisverweigerungsrecht. Auf dieses verzichtet er, möchte Angaben machen. Er spricht klar, wirkt konzentriert, bei Kräften. Per Video wird er vom Rottweiler Gerichtssaal aus vernommen.

    Benjamin B. erzählt von einer „harmonischen Kindheit“, das Verhältnis zum Zwillingsbruder sei „okay“ gewesen, „man ist miteinander ausgekommen.“ Dieser, Dennis B., lauscht der Vernehmung, die in den Schwurgerichtssaal per Video übertragen wird, aus der Spezialklinik. Einzige Regung bei B., der sich in den vergangenen vier Prozesstagen schon kühl und in sich gekehrt zeigte: Diesmal reibt er seine aneinander gelegten Daumen im Kreis. Manchmal schüttelt er den Kopf, die Aussagen seines Bruders ablehnend, vor allem, wenn es ums Geld der Familie geht. Bisweilen wippt er vor und zurück. Heute im hellblauen Hemd, er trägt es außerhalb der Hose, zwei Knöpfe am Kragen sind offen. Sein Blick ist müde, wie unbeteiligt. Weiterhin. Gelegentlich atmet er tief durch.

    Sein Bruder beschreibt unterdessen ein Parallelleben der beiden. Jeder habe nach sich geschaut, nach seinen Bedürfnissen, habe seinen eigenen Zeitplan gehabt. Über seinen Bruder sagt er: „Nachts ums 12 schaute er Fernsehen mit Subwoofer. Und nachts um drei duschte er.“ Zudem sei er nachts rumgeschlichen, habe sich am Kühlschrank bedient. Und sich tagsüber darüber aufgeregt, wenn das Duschgel nicht im 90-Grad-Winkel zur Dusche stand. Manchmal habe es ein wenig Stress gegeben, etwa wegen des unordentlichen Bades – die beiden hätten sich aber „gegenseitig am Verhalten gestört“, wie es der Vorsitzende Richter zusammenfasst.

    Gesprächsangebote von Mutter und Bruder habe Dennis B. ausgeschlagen. „Wir saßen am Tisch und haben gewartet. Der einzige, der nicht gekommen ist, war er.“ Der Familienrat sei „nicht zusammengekommen.“ Entsprechende Vorwürfe, die folgten, habe Dennis B. zurückgewiesen. Selbst in der Zeit vor der Tat habe sich sein Bruder nicht verändert, so Benjamin B.. Allenfalls seien Lügen aufgekommen, er habe jetzt einen Job in Berlin, beispielsweise. Oder die Sache mit dem Besuch vom Gerichtsvollzieher. Vor dem Termin habe er sich „verkrümelt“, das Gespräch der davon völlig überraschten Mutter überlassen. „Zu dem Zeitpunkt habe ich ihm schon nichts mehr geglaubt, weil er oft genug gelogen hat.“ Dass er Benzin besorgt hatte, das „war bekannt“, so Benjamin B. „Wir dachten, das sei für einen Generator oder den Rasenmäher.“

    Die beiden lebten eigentlich ein angenehmes Leben mit ihren gut 30 Jahren. Die Mutter kaufte ein, bezahlte das auch, die Brüder mussten sich eigentlich nur um ihren Wohnbereich im ersten Stock kümmern. Sporadisch. Dennis B. arbeitet gelegentlich im Garten, Benjamin macht die Steuererklärung. An neuen Autos beteiligt sich die Mutter finanziell. Und sie vergibt Darlehen an die Söhne, steckt vor allem Dennis B. hin und wieder etwas zu. So erzählt es sein Bruder.

    In der Tatnacht: „Ich bin so gegen 23 Uhr zu Bett gegangen“, sagt Benjamin. Er habe zuvor noch etwas gegessen. An seinem Bruder Dennis habe er nichts Besonderes wahrgenommen. Stunden später wacht er am Benzingeruch auf. Sein Bruder werkelt im Hausflur mit einem Kanister herum, das Licht ist an. „Dann kommt ein blöder Spruch.“ Was Dennis sagt, daran kann Benjamin nicht mehr erinnern. Dennis packt Benjamin, der ruft noch: „Wir kriegen das hin, ich helfe Dir“.

    Unterdessen kommt die Mutter dazu, stößt einen spitzen Schrei aus. Dennis lässt vom Bruder ab, Benjamin flüchtet, stürzt die Treppe hinunter, an der Mutter vorbei, will raus, merkt: „Moment, ich brenne ja!“ Hinter ihm habe er eine große Flamme wahrgenommen. Er versucht zunächst, sich auf einem Teppich selbst zu löschen, flüchtet dann ins Badezimmer, schließt sich ein. Dichtet die Türe mit Handtüchern ab, weil es bereits im Haus brennt, macht das Fenster auf. Duscht sich ab. Ruft um Hilfe. „Gefühlt“ sei „relativ schnell“ jemand gekommen. Draußen sieht er noch kurz seine Mutter, wie sie versucht, sich mit einem Gartenschlauch aus der Garage zu löschen. Aus dem Dach des Hauses schlagen Flammen, „überall oben hat es gebrannt.“ Bilder einer Brandsachverständigen vom Landeskriminalamt zeigen später, wie schwer das Feuer gewütet hat. Im ersten Stock, wo die Brüder gewohnt haben, ist das Haus zerstört.

    Inzwischen, in der Klinik: „Mittlerweile geht’s von den Schmerzen her“, sagt Benjamin B. Er ist nicht mehr in Lebensgefahr, hat „um die zwölf Hauttransplantationen“ hinter sich, wie er sagt, ist auf Hilfe angewiesen. Die Tat selbst, die kann er nicht nachvollziehen. Eine Psychologin kommt alle paar Wochen. Bis heute hat er Angst vor seinem Bruder, befürchtet, dass dieser ihn doch noch eines Tages töten könnte.

    Das Leben danach, nach der Klinik, nach einer Reha: unklar. Allein das Problem mit dem ausgebrannten Haus: Die Versicherung will den Schaden in Höhe von einer halben Million nicht zahlen, es handele sich um Selbstverschulden, so Benjamin B.

    Die Nachfragen aus der Runde der Prozessbeteiligten arbeiten heraus: Am meisten brodelt es in Dennis B., während sein Bruder Benjamin erzählt, dass er das Badezimmer sehr selten geputzt habe. Da reagiert Dennis für seine Verhältnisse emotional, lacht still, aber scharf auf. Ein innerliches Aufwallen.

    „Ich habe gerade sehr einseitige Erklärungen von Dir gehört“, setzt Dennis B. im Anschluss an die Aussage seines Bruders an – und wird vom Vorsitzenden Richter unterbrochen. Er dürfe Fragen stellen, keine Erklärungen abgeben. Das Folgende lässt der Richter dann zu: „Es tut mir leid, was Dir passiert ist, das wollte ich so nicht. Ich hoffe, Du kannst mir irgendwann mal verzeihen“, so Dennis B.

    Die Antwort von Benjamin B., unter der reinreißen Krankenhausdecke hervor: „Manche Dinge kann man nicht verzeihen. Das Thema ist für mich erledigt, das Zuhause ist zerstört, ich habe keinen Bruder mehr.“

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Ein helles Krankenzimmer einer Klinik. Eine Polizeibeamtin im Vollschutz schaut von links oben vorübergehend in die Kamera, überwacht offenbar den Ablauf der Vernehmung. Benjamin B. – kurze, braune Haare, die seit der Brandnacht im März ein wenig nachgewachsen sind, Brille, Dreitagebart – liegt unter einer reinweißen Decke. Er hätte ein Zeugnisverweigerungsrecht. Auf dieses verzichtet er, möchte Angaben machen. Er spricht klar, wirkt konzentriert, bei Kräften. Per Video wird er vom Rottweiler Gerichtssaal aus vernommen.

    Benjamin B. erzählt von einer „harmonischen Kindheit“, das Verhältnis zum Zwillingsbruder sei „okay“ gewesen, „man ist miteinander ausgekommen.“ Dieser, Dennis B., lauscht der Vernehmung, die in den Schwurgerichtssaal per Video übertragen wird, aus der Spezialklinik. Einzige Regung bei B., der sich in den vergangenen vier Prozesstagen schon kühl und in sich gekehrt zeigte: Diesmal reibt er seine aneinander gelegten Daumen im Kreis. Manchmal schüttelt er den Kopf, die Aussagen seines Bruders ablehnend, vor allem, wenn es ums Geld der Familie geht. Bisweilen wippt er vor und zurück. Heute im hellblauen Hemd, er trägt es außerhalb der Hose, zwei Knöpfe am Kragen sind offen. Sein Blick ist müde, wie unbeteiligt. Weiterhin. Gelegentlich atmet er tief durch.

    Sein Bruder beschreibt unterdessen ein Parallelleben der beiden. Jeder habe nach sich geschaut, nach seinen Bedürfnissen, habe seinen eigenen Zeitplan gehabt. Über seinen Bruder sagt er: „Nachts ums 12 schaute er Fernsehen mit Subwoofer. Und nachts um drei duschte er.“ Zudem sei er nachts rumgeschlichen, habe sich am Kühlschrank bedient. Und sich tagsüber darüber aufgeregt, wenn das Duschgel nicht im 90-Grad-Winkel zur Dusche stand. Manchmal habe es ein wenig Stress gegeben, etwa wegen des unordentlichen Bades – die beiden hätten sich aber „gegenseitig am Verhalten gestört“, wie es der Vorsitzende Richter zusammenfasst.

    Gesprächsangebote von Mutter und Bruder habe Dennis B. ausgeschlagen. „Wir saßen am Tisch und haben gewartet. Der einzige, der nicht gekommen ist, war er.“ Der Familienrat sei „nicht zusammengekommen.“ Entsprechende Vorwürfe, die folgten, habe Dennis B. zurückgewiesen. Selbst in der Zeit vor der Tat habe sich sein Bruder nicht verändert, so Benjamin B.. Allenfalls seien Lügen aufgekommen, er habe jetzt einen Job in Berlin, beispielsweise. Oder die Sache mit dem Besuch vom Gerichtsvollzieher. Vor dem Termin habe er sich „verkrümelt“, das Gespräch der davon völlig überraschten Mutter überlassen. „Zu dem Zeitpunkt habe ich ihm schon nichts mehr geglaubt, weil er oft genug gelogen hat.“ Dass er Benzin besorgt hatte, das „war bekannt“, so Benjamin B. „Wir dachten, das sei für einen Generator oder den Rasenmäher.“

    Die beiden lebten eigentlich ein angenehmes Leben mit ihren gut 30 Jahren. Die Mutter kaufte ein, bezahlte das auch, die Brüder mussten sich eigentlich nur um ihren Wohnbereich im ersten Stock kümmern. Sporadisch. Dennis B. arbeitet gelegentlich im Garten, Benjamin macht die Steuererklärung. An neuen Autos beteiligt sich die Mutter finanziell. Und sie vergibt Darlehen an die Söhne, steckt vor allem Dennis B. hin und wieder etwas zu. So erzählt es sein Bruder.

    In der Tatnacht: „Ich bin so gegen 23 Uhr zu Bett gegangen“, sagt Benjamin. Er habe zuvor noch etwas gegessen. An seinem Bruder Dennis habe er nichts Besonderes wahrgenommen. Stunden später wacht er am Benzingeruch auf. Sein Bruder werkelt im Hausflur mit einem Kanister herum, das Licht ist an. „Dann kommt ein blöder Spruch.“ Was Dennis sagt, daran kann Benjamin nicht mehr erinnern. Dennis packt Benjamin, der ruft noch: „Wir kriegen das hin, ich helfe Dir“.

    Unterdessen kommt die Mutter dazu, stößt einen spitzen Schrei aus. Dennis lässt vom Bruder ab, Benjamin flüchtet, stürzt die Treppe hinunter, an der Mutter vorbei, will raus, merkt: „Moment, ich brenne ja!“ Hinter ihm habe er eine große Flamme wahrgenommen. Er versucht zunächst, sich auf einem Teppich selbst zu löschen, flüchtet dann ins Badezimmer, schließt sich ein. Dichtet die Türe mit Handtüchern ab, weil es bereits im Haus brennt, macht das Fenster auf. Duscht sich ab. Ruft um Hilfe. „Gefühlt“ sei „relativ schnell“ jemand gekommen. Draußen sieht er noch kurz seine Mutter, wie sie versucht, sich mit einem Gartenschlauch aus der Garage zu löschen. Aus dem Dach des Hauses schlagen Flammen, „überall oben hat es gebrannt.“ Bilder einer Brandsachverständigen vom Landeskriminalamt zeigen später, wie schwer das Feuer gewütet hat. Im ersten Stock, wo die Brüder gewohnt haben, ist das Haus zerstört.

    Inzwischen, in der Klinik: „Mittlerweile geht’s von den Schmerzen her“, sagt Benjamin B. Er ist nicht mehr in Lebensgefahr, hat „um die zwölf Hauttransplantationen“ hinter sich, wie er sagt, ist auf Hilfe angewiesen. Die Tat selbst, die kann er nicht nachvollziehen. Eine Psychologin kommt alle paar Wochen. Bis heute hat er Angst vor seinem Bruder, befürchtet, dass dieser ihn doch noch eines Tages töten könnte.

    Das Leben danach, nach der Klinik, nach einer Reha: unklar. Allein das Problem mit dem ausgebrannten Haus: Die Versicherung will den Schaden in Höhe von einer halben Million nicht zahlen, es handele sich um Selbstverschulden, so Benjamin B.

    Die Nachfragen aus der Runde der Prozessbeteiligten arbeiten heraus: Am meisten brodelt es in Dennis B., während sein Bruder Benjamin erzählt, dass er das Badezimmer sehr selten geputzt habe. Da reagiert Dennis für seine Verhältnisse emotional, lacht still, aber scharf auf. Ein innerliches Aufwallen.

    „Ich habe gerade sehr einseitige Erklärungen von Dir gehört“, setzt Dennis B. im Anschluss an die Aussage seines Bruders an – und wird vom Vorsitzenden Richter unterbrochen. Er dürfe Fragen stellen, keine Erklärungen abgeben. Das Folgende lässt der Richter dann zu: „Es tut mir leid, was Dir passiert ist, das wollte ich so nicht. Ich hoffe, Du kannst mir irgendwann mal verzeihen“, so Dennis B.

    Die Antwort von Benjamin B., unter der reinreißen Krankenhausdecke hervor: „Manche Dinge kann man nicht verzeihen. Das Thema ist für mich erledigt, das Zuhause ist zerstört, ich habe keinen Bruder mehr.“

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