Sieg für die Gegner von Windkraftanlagen bei Sulz am Neckar und eine Klatsche für Stadt und Gemeinderat: Das Verwaltungsgericht Freiburg hat vorläufig einen vom Gemeinderat beschlossenen Bürgerentscheid untersagt und das von Bürgern angestrengte Bürgerbegehren für rechtmäßig erklärt. Das Urteil ist ein Eilentscheid und noch nicht rechtskräftig. Zwei Anwaltskanzleien hatten die Sachlage im Vorfeld anders gesehen.
Das von Bürgern der Stadt Sulz am Neckar initiierte Bürgerbegehren zu der Frage „Soll die Verpachtung kommunaler Waldflächen der Stadt Sulz am Neckar an Windanlagenbetreiber/-investoren unterbleiben?“ ist vorläufig als zulässig zu behandeln. Der vom Gemeinderat für den 8. Dezember 2024 beschlossene Bürgerentscheid mit umgekehrter Frage darf vorläufig nicht durchgeführt werden. Dies hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Beschluss vom heutigen Tag entschieden und damit den Initiatoren des Bürgerbegehrens im Rahmen eines Eilverfahrens recht gegeben (Aktenzeichen: 10 K 4949/24).
Die Stadt Sulz bereitet den Bürgerentscheid bereits vor, der nun vom Tisch sein könnte. Informationen dazu sind etwa hier abrufbar. Die Stadt listet ihre Argumente für das Aufstellen von Windkraftanlagen außerdem hier auf. „Der Ausbau der Windenergie ist ein zentraler Baustein für die Energiewende und die ökologische Modernisierung unserer Wirtschaft“, heißt es da. Klimaschutz, Energiewende und der Ausbau regenerativer Energiequellen seien „nicht erst seit der Energiemangellage im vergangenen Winter Notwendigkeit und Herausforderung zugleich“. Hier seien „insbesondere dezentrale und lokale Ansätze gefragt“.
Unterstützt wird die Stadt von „ProWind Sulz“, einer Bürgerinitiative, die sich für nachhaltige Windkraftprojekte in Sulz am Neckar einsetzt. „Wir informieren über die Vorteile der Windenergie und wie sie Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen, Reduktion von CO₂-Emissionen, und lokale Arbeitsplätze schafft“, heißt es. Man wolle sich „für eine umweltfreundliche Energiezukunft“ engagieren, „um eine lebenswerte Welt für kommende Generationen zu sichern“. Zudem will die Initiative Bürgerbeteiligung fördern und über verschiedene lokale Windkraftprojekte und deren Einfluss auf die Region informieren. Mehr dazu hier.
Ihre „Heimat in Gefahr“ sehen dagegen die Gegner der Windkraftanlagen, die ihre Bürgerinitiative „Gegenwind Kraftgruppe“ nennen. „Die Wunden, welche der Natur zugefügt werden, stehen in keinem Verhältnis zum erzeugten Strom“, sagen sie etwa. Man müsse „davon ausgehen, dass Windanlagen gesundheitsschädigenden Infraschall erzeugen“. Und es stünden „hocheffiziente Technologien … kurz vor dem Durchbruch – Windenergie wird überflüssig“. Mehr zu dieser Seite hier.
Rückblick: Der Gemeinderat der Stadt Sulz am Neckar beschloss am 3. Juni 2024 seine grundsätzliche Bereitschaft, bestimmte städtische Flächen für maximal neun Windkraftanlagen zu verpachten. Dagegen initiierten Bürger ein Bürgerbegehren nach Paragraf 21 Absatz 3 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, das auf die Durchführung eines Bürgerentscheids zu der oben genannten Frage gerichtet ist. Sie begründeten das Bürgerbegehren damit, dass der „potenzielle Bau von Windkraftanlagen im Wald (…) zu einer erheblichen Veränderung unserer kommunalen Waldgebiete, der ökologischen Lebensräume sowie unserer Naherholungsgebiete führen“ würde.
In der Folge holte die Stadt bei zwei Anwaltskanzleien Rechtsgutachten ein, die das Bürgerbegehren als unzulässig bewerteten. Auf dieser Grundlage lehnte der Gemeinderat das Bürgerbegehren in seiner Sitzung am 30. September 2024 als unzulässig ab. Aus der Fragestellung gehe nicht eindeutig hervor, von wem eine Verpachtung unterbleiben solle und ob nur Waldflächen im unmittelbaren Eigentum der Stadt oder darüber hinaus auch solche Flächen gemeint seien, über welche diese mittelbar verfügen könne.
Zugleich beschloss der Gemeinderat, am 8. Dezember 2024 einen Bürgerentscheid zum Thema Windkraft durchzuführen, allerdings mit umgekehrter Frage: „Sollen Waldflächen, welche im Eigentum der Stadt Sulz am Neckar sind, für die Nutzung durch Windkraftanlagen zur Verfügung gestellt werden?“. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens haben sich daraufhin mit einem Eilantrag an das Verwaltungsgericht gewandt.
Das Gericht hat dem Eilantrag im Wesentlichen mit folgender Begründung stattgegeben: Das Bürgerbegehren sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zulässig. Insbesondere sei die vom Bürgerbegehren formulierte Fragestellung hinreichend bestimmt. Das Bürgerbegehren sei für alle erkennbar darauf gerichtet, dass die Stadt es unterlässt, in ihrem Eigentum stehende Waldflächen an Windkraftanlagenbetreiber zu verpachten. Auch entspreche die Begründung des Bürgerbegehrens den gesetzlichen Vorgaben. Sie erfülle ihre Funktion, die Unterzeichner über den Sachverhalt und die Argumente der Initiatoren aufzuklären. Die darin geäußerte Einschätzung, dass das Vorhaben zu einer „erheblichen Veränderung“ der städtischen Waldgebiete, der ökologischen Lebensräume und Naherholungsgebiete führe, sei eine zulässige Wertung.
Für die Abstimmungsberechtigten liege auf der Hand, dass diese Aussage nicht für sich in Anspruch nehme, eine fundierte rechtliche Bewertung im Hinblick auf die mit dem Bau von Windkraftanlagen einhergehenden Umweltbelastungen abzugeben. Eine Irreführung des Bürgers oder Verfälschung des Bürgerwillens sei damit nicht zu befürchten, entschied das Gericht. Die vorläufige Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens sowie die vorläufige Untersagung der Durchführung des für den 8. Dezember 2024 geplanten Bürgerentscheids sei erforderlich.
Käme es nach einem positiven Ausgang des vom Gemeinderat initiierten Bürgerentscheids zum Abschluss von Pachtverträgen, hätte sich das zulässige Bürgerbegehren der Antragsteller erledigt. In einer Situation wie der vorliegenden bestehe überdies ein „Abwehrrecht“ der Antragsteller gegen den vom Gemeinderat beschlossenen Bürgerentscheid, weil hierdurch eine Vereitelung oder jedenfalls wesentliche Entwertung der gesetzlichen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Vertrauenspersonen des Bürgerbegehrens drohe. Hierzu zähle insbesondere das Recht, in den Informationsmaterialien der Gemeinde zum Bürgerentscheid ihre Auffassung in gleichem Umfang darstellen zu dürfen wie die Gemeindeorgane. Diese Rechte bestünden nur bei einem Bürgerentscheid, der auf der Grundlage eines Bürgerbegehrens durchgeführt werde (vgl. § 21 Abs. 3 GemO).
Von daher sei ein Bürgerentscheid in gleicher Sache, der auf der Grundlage eines Ratsbegehrens durchgeführt werde kein „gleichwertiger Ersatz“.
Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Die unterlegene Stadt Sulz am Neckar kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim einlegen.