Der frühere Deißlinger Pfarrer und die verschwundenen Gelder: Das sagt die Diözese

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Einige Deißlinger halten weiter zu ihm, er war als der langjährige Pfarrer der Gemeinde sehr geschätzt – doch die „Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung kirchlicher Gelder seitens von Pfarrer Stier gegenüber der Kirchengemeinde St. Laurentius Deißlingen“ sind weiter Gesprächsthema. So hatte sich der Kirchengemeinderat in seiner Stellungnahme ausgedrückt (wir haben berichtet). Die Rede ist von 100.000 Euro, mit denen der langjährige Deißlinger Pfarrer Edwin Stier „eigenmächtig und ohne Beteiligung der zuständigen Gremien“ umgegangen sei. Die Barabhebungen sollen 2010 begonnen haben. Die Stellungnahme der Diözese gibt nun Einblick in die mutmaßliche Verwendung der Gelder.

Pfarrer Edwin Stier war im Sommer 2020 nach 25 Jahren im Rahmen eines festlichen Gottesdienstes aus Deißlingen verabschiedet worden. Er arbeitet seit vergangenem Sommer bei der katholischen Kirchengemeinde Kreuzlingen-Emmishofen als Pastoralraumpfarrer in der Seelsorge.

Wie am Freitagabend Gregor Moser, Pressesprecher der Diözese Rottenburg-Stuttgart, auf Anfrage erklärte, handelte es sich bei den 100.000 Euro um eine Vielzahl von Barabhebungen im Zeitraum 2010 bis 2020. In diesem Zusammenhang war es Moser wichtig, zu betonen, „dass eine persönliche Bereicherung seitens Pfarrer Stier in keinem Fall der Feststellungen durch die Prüfung des Bischöflichen Ordinariats als Aufsichtsbehörde feststellbar ist“. Um es einfacher auszudrücken: Der frühere Deißlinger Pfarrer soll nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet haben.

„Im besten Willen gehandelt“

Stier habe ausgesagt, das Geld für eine Vielzahl an karitativen Hilfen für Notleidende, für die Gemeindepastoralarbeit, die Jugend oder weltkirchliche Hilfsprojekte der Kirchengemeinde verwandet zu haben. „Teilweise konnte Pfarrer Stier im Rahmen der Prüfung Belege beibringen“, so Gregor Moser. „Pfarrer Stier gibt an, stets nur in bestem Willen gehandelt zu haben, um unbürokratisch zu helfen. Dass er keine entsprechenden Belege hinterlegt und damit gegen geltende Verwaltungsregelungen verstoßen hat, ist ihm inzwischen bewusst. Er gesteht ausdrücklich seinen unsachgemäßen und den Verwaltungsvorschriften widersprechenden Umgang mit treuhänderisch anvertrauten Geldern ein.“

Noch am Abend der Stellungnahme des Kirchengemeinderats am 24. Juni äußerte sich Gemeindereferentin Tanja Fischer. Diese erklärte, dass man die Angelegenheit im Guten geklärt habe und dass man auch nicht nachtragend sei. Man schätze nach wie vor die pastorale Arbeit, die Pfarrer Stier lange Zeit geleistet habe.

Auf Anfrage meldete sich auch Edwin Stier per E-Mail Wort. Er bestätigte, dass er mit der Kirchengemeinde im Guten auseinandergegangen sei. Der Kirchengemeinde Deißlingen verbleibe kein wirtschaftlicher Schaden.

Verantwortung übernommen

Laut Kirchengemeinderat St. Laurentius habe Stier die Verantwortung „für die Versäumnisse bei der Wahrnehmung seiner treuhänderischen Pflichten übernommen und leistete in beidseitigem Einvernehmen eine Ausgleichszahlung“. In einer Erklärung, die unserer Redaktion vorliegt, bestätigt der Kirchengemeinderat „den Eingang einer Überweisung durch Herrn Pfarrer Stier in Höhe von 100.000 Euro aus privaten Mitteln“ – Stier bedauere die von ihm verursachten Irritationen, Verärgerungen und Enttäuschen und in der Kirchengemeinde. Er werde in Zukunft keine Alleinbefugnisse für fremde Finanzen oder Vermögen wahrnehmen.

In der Erklärung ist weiter zu lesen, dass sich der Kirchengemeinderat von St. Laurentius die Beratungen des genannten Sachverhalts nicht leicht gemacht habe. „Er hat sich vor und nach Ostern mehrfach und intensiv mit der Prüfung und den zu ziehenden Konsequenzen befasst.“ In einer zweieinhalbstündigen Sondersitzung am 9. April 2021 habe der Kirchengemeinderat schließlich für die Annahme folgender Lösung gestimmt: „Umgehendes Eingeständnis des Fehlverhaltens von Pfarrer Stier, vollumfängliche finanzielle Wiedergutmachung des festgestellten Schadens und Behebung der Prüfungsfeststellungen zu seinen Lasten sowie Absicherung eines veränderten Verhaltens in Zukunft und Unterlassung jeder weiteren Belastung des Gemeindelebens.“ Damit verzichtete die Kirchengemeinde auf eine Strafanzeige.

Laut Gregor Moser von der Diözese wurden die Prüfungsergebnisse auch in strafrechtlicher Hinsicht geprüft. „Es konnte unsererseits kein Anfangsverdacht für Straftaten festgestellt werden. Es konnte nicht widerlegt werden, dass Pfarrer Stier die Mittel bestimmungsgemäß karitativ verwendet hat (bis auf Einzelbeträge in der Summe von rund 1500 Euro. Die Mittel, die Pfarrer Stier für karitative Zwecke verwendet hat, die aber der Kirchenpflege zugestanden wären, belaufen sich auf rund 45.000 Euro.

Vier-Augen-Prinzip

Zu den Kontrollmechanismen der Kirche erklärte Moser folgendes: „Grundsätzlich dürfen Bankkonten nur nach Absprache mit dem oder der gewählten Vorsitzenden des Kirchengemeinderats eröffnet werden und müssen auch nach dem Vier-Augen-Prinzip geführt werden.“ Inzwischen seien gemäß dem diözesanen Standard auch die betroffenen Pfarramtskonten in Verwaltung der Kirchenpflege. „Derzeit werden alle Kassengeschäfte der Kirchengemeinden in die Verwaltungszentren verlagert (Buchung, Zahlbarmachung, Rechnungsabschluss und -prüfung).“

Die Frage, wie die Abhebungen bei der Kirchengemeinde Deißlingen so lange unbemerkt bleiben konnten, sei laut Moser Gegenstand einer Evaluation und Optimierung der Prüfungsdurchführungen in den Kirchenpflegen und Gesamtkirchenpflegen. „Die Diözese Rottenburg-Stuttgart ist im Moment dabei, die Prüfverfahren für ihre Kirchengemeinden und Verwaltungszentren neu zu strukturieren, um künftig solche Fälle auszuschließen.“

In der Stellungnahme des Kirchengemeinderats Deißlingen war die Rede davon, dass aufgrund des Stellenwechsels von Pfarrer Stier zum 31. Juli 2020 eine Prüfung der Pfarramtskonten erfolgt sei. In dieser Prüfung sei man auf die Unregelmäßigkeiten gestoßen. Danach wurde der Sachverhalt durch und mit dem Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg aufgearbeitet.

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