Nach mehr als 30 Jahren werde Aichhalden nun erstmals als gleichberechtigt mit Schramberg gehört. „Wenn schon eine Trasse über die Gemarkung Aichhalden geführt werden soll“, freute sich Aichhaldens Bürgermeister Michael Lehrer am Dienstagabend. Er betonte aber auch, die Gemeinde unterstütze die Talstadtumfahrung und sehe auch deren Dringlichkeit. „Wir brauchen gute Verkehrsverbindungen.“
Virtuelle Sitzung mit Hindernissen
Virtuelle Gastgeberin der gemeinsamen Veranstaltung von Aichhalden und Schramberg war Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr. Sie begrüßte gut 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem Online-Treffen. Eigentlich sollte es eine gemeinsame Sitzung der beiden Räte geben. Pandemiebedingt ging das nur digital. Aus rechtlichen Gründen konnte es nur eine Informationsveranstaltung, keine „echte“ Gemeinderatssitzung sein, wie Eisenlohr erläuterte. Nur Gemeinderäte hätten Fragerecht, die Gäste dürften lediglich zuhören. Aber, so betonte sie, es werde noch zahlreiche weitere Möglichkeiten im Laufe des Verfahrens geben, bei denen sich die Bürger zu Wort melden, Fragen stellen und Vorschläge machen können.
Die virtuelle Diskussion holperte wegen technischer Probleme anfangs gewaltig. Zeitweise war „Wer weiß denn sowas“ mit Kai Pflaume besser zu verstehen als die Ratsvertreterinnen und -Vertreter. Dann riss eine Leitung völlig ab. Eine Teilnehmerin per Smartphone störte versehentlich die Konferenz. Eingeladen hatte OB Eisenlohr die Straßenplaner des Regierungspräsidiums Freiburg (RP). Karl Kleemann, neuer Abteilungsleiter für Mobilität, Verkehr, Straßen im RP und Sabine Klumpp, neue Referatsleiterin für Straßenplanung, standen Rede und Antwort.
Lange Vorgeschichte – ergebnisoffene Planung
Kleemann ging auf die lange Vorgeschichte des Talstadtprojekts ein. Die Talumfahrung sei im „Vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans 2030 (BVWP). Die bisherigen Pläne und Vorarbeiten würden aber „weder in den technischen Disziplinen – allem voran sei die Sicherheit im Tunnelbau genannt – noch in den Aspekten der Landschaftsplanung und des Natur- und Artenschutzes genügen“.
Es werde noch viel abzuarbeiten sein. Die Planung beginne von vorn. Nach der Einstufung durch das Land habe das RP 2019 mit der Planung begonnen. Im November 2020 hätten das Landes- und das Bundesministerium die weitere Planung frei gegeben. Man habe zwar die „Hessvariante“ durch das Eselbachtal bisher als Planungsgrundlage genutzt. Bei den nächsten Planungsschritten gehe man aber „ergebnisoffen in eine Variantendiskussion“, so Kleemann.
Viele Planungsschritte
Sabine Klumpp stellte die zahlreichen Planungsschritte dar, die erforderlich sind, bis man das Planfeststellungsverfahren beginnen kann. Derzeit befinde man sich in Phase 0 der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung. Dann folgten die Grundlagenermittlung, die Variantenuntersuchung und eine Entscheidung für eine „Vorzugsvariante“. Das soll im Jahr 2025 geschehen.
Wenn das Bundesverkehrsministerium diese Vorzugsvariante billige, werde es mit der Entwurfsplanung weitergehen. In dieser Phase werde es auch eine Kostenberechnung geben. Das könne im Jahr 2028 so weit sein. Im Jahr 2029, hofft Klumpp, könne dieser Vorlauf abgeschlossen sein. Danach folge die Phase 4, das Planfeststellungsverfahren. „Dann haben wir das Go, dass wir ausführen können. Dann ist der größte Meilenstein geschafft.“ Weiter vorausschauen möchten die Planerinnen und Planer noch nicht.
Als nächstes Scoping
Derzeit bereite sie ein Scopingverfahren vor, das bis zum Ende des Jahres beginnen soll. Dafür sei eine Umweltverträglichkeitsstudie erforderlich. Das Scoping solle ab 2022 zügig ablaufen. Auf dieser Grundlage möchte das RP die Gemeinderäte von Schramberg und Aichhalden Ende 2021/ Anfang 2022 nochmals über das Projekt informieren.
Knackpunkt: Der Nutzen-Kostenfaktor
Bürgermeister Lehrer begrüßte ausdrücklich die Talumfahrung, wandte aber ein, die Gemeinde habe „erhebliche Zweifel an der Trassenführung durch das Eselbachtal“. Das sei ein intaktes FFH Gebiet. Das mache einen „schon nachdenklich“. Er sei froh über die Aussage, dass es noch keine Vorzugsvariante gebe. Er wies auch darauf hin, dass der Kosten-Nutzen-Faktor noch eine große Rolle spielen werde. „Es wäre fatal, wenn man zum Zeitpunkt x eine Trasse hätte, die aber aufgrund der hohen Kosten rausfällt.“ Man müsse deshalb schon früh auf die Kosten der Trasse schauen.
Kleemann versicherte, bei der Variantenbetrachtung werde auch die Wirtschaftlichkeit berücksichtigt. Sie sei zwar nicht ausschlaggebend. Der Bauherr – Bund – müsse die Bauwürdigkeit beachten. Bauwürdig ist ein Straßenbauvorhaben, wenn der Nutzen-Kostenfaktor (NKV) bei mehr als 1 liegt. Schramberg liegt laut BVWP bei 2,2. Andere Projekte wie die Umfahrung Spaichingen weisen NKV von 7 und höher auf. Die Bauwürdigkeit der Talumfahrung ist also schon heute nur knapp erreicht.
Die Zeitachse
ÖDP-Stadtrat Bernd Richter fragte nach der Zeitachse. Sabine Klumpp bestätigte dass auch der Zeitpunkt 2029, also bis zum Planfeststellungsverfahren „nicht genau“ vorherzusagen sei. „Die Zeitschiene wird sich mit der Zeit rauskristallisieren.“ Bis 2025 müsse man schauen, „wie wir da hinkommen“, das sei realistisch. Danach hänge viel von Genehmigungsprozessen ab. Das könne man heute nicht vorher sagen.
Auf eine weitere Nachfrage, wie es denn ab Beginn des Planfeststellungsverfahrens weiter gehe, wollte sich Klumpp noch weniger festlegen. Ein Planfeststellungsverfahren daure etwa drei Jahre. Man sei allerdings auch vor einer zweiten Offenlage nicht gefeit. „Es kann aber auch mehr als drei Jahre sein.“ Bei einem Klageverfahren werde es „nach hinten mehr“. Sobald das Planfeststellungsverfahren rechtskräftig sei, komme noch die Ausführungsplanung. Da geht die Planerin „von eher zwei Jahren“ aus, „bis dann mal der Bagger rollt“.
Bei der darauf folgenden Bauzeit vergleicht Klumpp die Talumfahrung mit dem Tunnelbau in Winden, der sechs Jahre benötige. Die Bauzeit sei abhängig von der Tunnellänge. Sie schätze „ganz grob“ zwischen sechs und acht Jahren. Die sei allerdings Kaffeesatzleserei und abhängig von der Geologie. (Der Tunnel in Winden ist 870 Meter lang. Nach der Hess-Variante wären für die Talumfahrung zwei Tunnels mit 1650 und 1160 Metern Länge erforderlich.)
Hilfsangebot der Stadt: „Derzeit kein Bedarf“
CDU-Fraktionssprecher Thomas Brantner betonte, dass die Talumfahrung für Schramberg ein sehr wichtiges Projekt sei. Die Zeitschiene bis 2029 sei „ein bisschen lang, wir hätten es uns schneller gewünscht“. Er fragte, ob die Stadt Schramberg zur Beschleunigung etwas unternehmen könne. Kleemann bestätigte, dass man derzeit auch im Zeitplan noch mit Unwägbarkeiten rechnen müsse. Das werde sich bis zum Herbst konkretisieren und die Gemeinderäte würden erneut informiert. Er dankte für das Unterstützungsangebot. Das RP werde auf die Stadt und den Rat zukommen, wenn man Bedarf habe. „Stand heute haben wir da keinen Bedarf.“
Clemens Maurer (CDU-Fraktion Schramberg) versicherte, man sei sich in der Region über die hohe Bedeutung einig. Er bat um einen konkreten Ansprechpartner oder Informationsmöglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger und die Räte. Kleemann verwies auf die Homepage des Regierungspräsidiums und als Kommunikationsmöglichkeit auf e-Mails.
Höhere Baukosten werden als höherer Nutzen gewertet
Gemeinderat Stefan Wiedmann aus Aichhalden freute sich, dass nach so vielen Jahren auch Aichhalden „mit im Boot“ sei. Das Eselbachtal sei den Aichhaldern „heilig“ Das Tal sei „ein Stück Heimat, das beschäftigt uns außerordentlich“. Er wies zudem darauf hin, dass der Verkehr auf der B 462 nicht zunehme, aber die Baukosten in den nächsten zehn Jahren wohl um 50 bis 60 Prozent steigen werden. „Welche Rolle spielt der Nutzen-Kostenfaktor?“
Kleemann betonte, der NKV sei entscheidend für die Bauwürdigkeit. Die große Frage sei immer, „fällt es unter 1, dann hat das Projekt ein ganz grundsätzliches Problem.“ Wenn es bauwürdig ist, dann würden unter volkswirtschaftlichen Aspekten die Kostensteigerungen auch auf der Nutzenseite eingerechnet. Bei der Variantenbewertung sei die Wirtschaftlichkeit aber nur ein Aspekt und stehe dann nicht mehr im Vordergrund.
IHK-Vertreter: „Nadelöhr Schramberg beseitigen“
Achim Scheerer durfte als Vorsitzender des Verkehrsausschusses der IHK als „sachkundiger Bürger“ das Wort ergreifen. Vor dem Hintergrund der wachsenden Verkehrszahlen sowohl beim PKW als auch bei LKWs solle man die Bauzeiten nochmals überprüfen, ob es keine verkürzenden Maßnahmen gebe. Auch solle man den Bund auf das „Nadelöhr Schramberg“ hinweisen. Er wisse um die Hindernisse beim Aufstieg in Schramberg sowohl im Sommer als auch im Winter für den Schwerverkehr und die Autos.
Man dürfe aber auch die Belastungen für die Anwohner nicht außer Acht lassen, forderte Scheerer. Die Speditionsbranche werde Wege suchen um Güter aus dem Rheintal auf die A 81 zu bringen und um die hiesige Wirtschaft zu ver- und entsorgen. Er forderte, das Verfahren deutlich zu verkürzen.
Kleemann bestätigte, die Bedeutung der Ost-Westachsen sei dem RP bewusst. Auch Prognosen für die Verkehrszahlen sollen Bestandteil des Projekts sein. Eine weitere Verkehrsprognose werde auch bei der Variantenprüfung maßgeblich sei. Die Beschleunigung des Verfahrens sei dem RP ebenfalls ein Anliegen. Er wolle aber nicht unrealistisch sein.
Belastung der Anwohner
Tanja Witkowski (SPD-Buntspecht) betonte: „Wir brauchen die Talumfahrung.“ Sie fragte, in wieweit der Faktor Mensch bei den Untersuchungen stärker berücksichtigt werde. „Die Menschen entlang der Oberndorfer Straße, am Göttelbach und Hammergraben brauchen die Entlastung.“
Sabine Klumpp erläuterte, bei der Variantenuntersuchung werde die Umweltbelastung, der Lärm, die Eingriffe in die Natur aber auch die Verkehrswirksamkeit untersucht. Dafür gebe es klare Richtlinien.
OB Eisenlohr unterstrich, dass für Schramberg die Talumfahrung sehr wichtig sei. Sie entschuldigte sich für die „Audiopannen“. Sie begrüßte nachträglich den FDP-Landtagsabgeordneten Daniel Karrais. Dabei wies sie darauf hin, dass die Stadt die Bundes- und Landtagsabgeordneten immer wieder über den Stand informiere, „um Rückenwind für die Talumfahrung“ zu bekommen.
Zeitachsen
Ein wichtiger Punkt in der Diskussion war, bis wann denn wohl mit einer Fertigstellung der Talumfahrung zu rechnen sei. Darauf hatte Straßenplanerin Klumpp vom Regierungpräsidium Freiburg mehrere Antworten, die wir anschließend versuchen herauszudestilieren. Danach gibt es drei Zeitachsen. Eine für den Fall, alles läuft wie am Schnürchen. Eine für den Fall, es läuft so, wie man es im Regierungspäsidium für möglich hält. Und eine schließlich, bei der beispielsweise prozessiert wird oder Zeitverzögerungen bei Tunnelbauwerken mit bedacht werden, eine wahrscheinliche also. Alle Angaben für die beiden ersten Varianten stammen von Sabine Klumpp, die dritte bezieht ihre Unsicherheitsfaktoren und Erfahrungen aus ähnlichen Projekten ein.
Bestenfalls laut RP
Phase 1/2 Vorzugsvariante bis 2025
Phase 3 Entwurfsplanung bis 2029
Phase 4 Planfeststellungsverfahren bis 2032
Phase 5/6 Ausführungsplanung bis 2034
Phase 7 Bau bis 2040
Möglich laut RP
Phase 1/2 Vorzugsvariante bis 2025
Phase 3 Entwurfsplanung bis 2030
Phase 4 Planfeststellungsverfahren bis 2033
Phase 5/6 Ausführungsplanung bis 2036
Phase 7 Bau bis 2044
Wahrscheinlich
Phase 1/2 Vorzugsvariante bis 2027
Phase 3 Entwurfsplanung bis 2032
Phase 4 Planfeststellungsverfahren bis 2037
Phase 5/6 Ausführungsplanung bis 2039
Phase 7 Bau bis 2049