„Stellenabbau auch bei Mahle in Rottweil?“ Das hatte die NRWZ am Montag noch gefragt. Das Fragezeichen kann weg, der Satz ist jetzt eine Aussage, der Abbau Gewissheit. 150 Stellen sollen hier wegfallen, hieß es seitens des Konzerns am Donnerstag. Nun werde man mit den Arbeitnehmervertretern sprechen.
Der Automobilindustrie geht es in der Corona-Krise schlecht. Die Zulieferer bekommen das zu spüren, so auch Mahle, einer der größten Systemanbieter von Kolben, Zylindern und Ventilsteuerungen weltweit. Die Kosten sollen runter, „Neustrukturierung“, heißt das Stichwort, das schon durch die Presse geistert, „Konzernumbau“, nennt Mahle die Pläne selbst. Wie sich das auf den Mahle-Standort Rottweil auswirken wird? Das scheint jetzt klar zu sein. Geht es nach der Konzernspitze, fallen hier 150 Arbeitsplätze weg.
Im Rahmen seiner strategischen Umstrukturierung habe Mahle nun die Standorte in Europa definiert, an denen strukturelle Anpassungen erforderlich sind und daher besonderer Handlungsbedarf bestehe, teilte das Unternehmen mit. Für die beiden deutschen Standorte in Gaildorf (Baden-Württemberg) und Freiberg (Sachsen) sieht der Konzern keine Perspektive für eine wirtschaftliche und nachhaltige Aufstellung im Wettbewerbsumfeld, weshalb eine Schließung unumgänglich werde. Darüber hinaus werde es an weiteren Standorten in Deutschland und Europa zu Personalanpassungen kommen – damit auch in Rottweil. Mahle hat nach eigenen Angaben heute den Wirtschaftsausschuss des Gesamtbetriebsrates sowie den Europäischen Betriebsrat informiert und will nun zeitnah in die Gespräche mit den jeweils zuständigen Arbeitnehmervertretern vor Ort gehen, um die Einzelheiten der Maßnahmen zu beraten.
7600 Stellen weltweit, 2000 sollen allein in Deutschland gestrichen werden, war bereits Anfang der Woche klar. Das Unternehmen habe bereits alle Abteilungen und Standorte auf ihre Wirtschaftlichkeit hin untersucht und sei zu diesem Schluss gekommen. In Rottweil sind derzeit rund 900 Menschen beschäftigt.
Für Mahle arbeiten weltweit an die 72.000 Mitarbeiter. Dem Abbau soll also mehr als jede zehnte Stelle zum Opfer fallen.
In der Sprache des Unternehmens las sich das so:
Mahle forciert seinen strukturellen Konzernumbau. Bereits im letzten Jahr hatte Mahle vor dem Hintergrund des technologischen Wandels in der Automobilindustrie und eines anspruchsvollen Marktumfeldes umfassende Kostenspar- und Restrukturierungsprogramme eingeleitet. Durch die massiven Einbrüche der internationalen Märkte und die anhaltend niedrigen Kundenabrufe als Folge der Corona-Pandemie hat sich der Handlungsdruck nochmals deutlich verschärft.
Das Unternehmen erwartet eine Rückkehr der Fahrzeugmärkte zum Vorkrisen-Niveau erst in mehreren Jahren. Zugleich bleibe „das Vorantreiben der technologischen Transformation unerlässlich“. Daher habe Mahle seine Geschäftseinheiten, Regionen und Standorte eingehend bewertet und „globale Überkapazitäten von 7600 Stellen ermittelt“.
Die Personal-Einspar-Maßnahmen seitens Mahle bestätigte am Montag schon Thomas Bleile, Geschäftsführer der IG Metall Villingen-Schwenningen. Er kam da gerade aus einer Mahle-Betriebsratssitzung, als die NRWZ ihn ans Handy bekam. Thema: der Stellenabbau.
Allerdings habe er da von den Betriebsräten nur erfahren, dass diese ihrerseits auf die Details des drohenden Schrumpfkurses warten. „Die Betriebsräte sollen Ende der Woche erfahren, was genau geplant ist“, so Bleile. Zuvor finde die Unternehmens-interne Wirtschaftsausschusssitzung statt, auf der die Vorstände ihre Pläne offenlegen sollten.
Der Gewerkschafter gab im Gespräch mit der NRWZ aber zu bedenken, dass der Rottweiler Standort in den vergangenen Jahren bereits einen großen Anteil zum Sparkurs geleistet habe. „Als ich vor fünf Jahren anfing, gab es in Rottweil noch mehr als 1000 Beschäftigte“, so Bleile. Jetzt seien keine 900 mehr.
Bleile glaubt, dass bereits 200 Stellen abgebaut worden seien, allein in Rottweil. Altersteilzeit, natürliche Fluktuation, keine Neubesetzung frei gewordener Stellen – dieser Abbau sei gleichsam sanft vonstattengegangen. Er habe aber dazu geführt, dass die Mehrarbeit auf die verbliebenen Mitarbeiter abgewälzt worden sei. „Rottweil hat viel geleistet“, so Bleiles Fazit, „ich habe aber die Befürchtung, dass das in der Konzernspitze so nicht wahrgenommen wird“, sondern dass man bei den Planungen von den aktuellen Zahlen ausgehe.
Bleile und seine Mit-Gewerkschafter im Unternehmen Mahle wollen nun erst abwarten, wie das Unternehmen sich gegen die aktuelle Krise stemmen wolle, welche Pläne es gibt. „Dann werden wir uns einen Plan überlegen.“
Zugleich sucht das Unternehmen, das als Kolbenhersteller bekannt geworden ist, neue Geschäftsfelder. Erst im August hieß es, man habe das hauseigene Antriebssystems für E-Bikes verbessert. Der Stuttgarter Automobilzulieferer betreibt nach eigenen Angaben seit vier Jahren eine E-Bike-Sparte und zählt demnach zahlreiche renommierte E-Bike-Hersteller zu seinen Kunden. Auch eine App, mit der das Antriebssystem gesteuert werden kann, ist im Angebot. Damit soll der Nutzer zahlreiche Daten auswerten können – zum Beispiel, wie weit und wie schnell er gefahren ist, wie viel elektrische Unterstützung er auf seiner Strecke benötigt hat, seinen Puls während der Fahrt bis hin zu Reichweite und Wartungsbedarfe.
Die Zukunftsaussichten: Bis 2030 könne jeder zweite Arbeitsplatz in der Antriebstechnik von Pkw direkt oder indirekt von der Elektromobilität betroffen sein. Zu diesem Ergebnis kam bereits 2018 die Studie „Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung am Standort Deutschland (ELAB)“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation. Mit-initiiert wurde die Studie von Mahle.
Damals hieß es, dass in Deutschland durch Elektrifizierung und Produktivität unterm Strich rund 75.000 Arbeitsplätze in der Antriebstechnik wegfallen könnten. Darin war schon eingerechnet, dass rund 25.000 neue Stellen für Komponenten wie Batterien oder Leistungselektronik entstehen würden. „Die Herausforderung ist groß, aber zu bewältigen, wenn jetzt die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden“, schrieb Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, der Automobilindustrie damals in Stammbuch.
Heute hört man, dass das Problem in der aktuellen Krise sei, dass die vergangenen Jahren nicht genutzt worden sind. Die Stuttgarter Zeitung zitiert dieser Tage etwa Dieter Kiesling, Vize-Vorstand des Gesamtbetriebsrates, der die Schuld an der Misere nicht allein in den fehlenden Umsätzen durch die Corona-Krise und dem wachsenden Druck zur Kostensenkung sehe. Die Transformation der Automobilindustrie dauere schon eine ganze Weile an, und Mahle habe bis heute keine Perspektive für die Verbrenner-Standorte vorgelegt.