Das Schramberger Traditionsunternehmen Kern-Liebers ist vor einigen Wochen aus dem Arbeitgeberverband Südwestmetall ausgetreten. Der Streit mit der IG Metall um einen möglichen Ergänzungstarifvertrag hatte wohl letztlich den Ausschlag dafür gegeben. Zum Jahreswechsel war ein solcher Vertrag ausgelaufen. Verhandlungen mit der IG Metall kamen nicht zu Stande. In zwei Mitgliederentscheiden hatte die Mehrheit der IG Metallmitglieder solche Verhandlungen abgelehnt. Was das für die Belegschaft bedeutet, welche Strategie das Unternehmen künftig fahren will und wie der Betriebsrat zu alle dem steht, das wollte die NRWZ in einem Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden von Kern-Liebers,Dr. Erek Speckert, und dem Betriebsratsvorsitzenden Michael Glatthaar erfahren.
Schramberg. Die momentane wirtschaftliche Lage des Unternehmens beschreibt Speckert als „Seitwärtsbewegung“. Zwar sei der Umsatz der Gruppe im ersten Halbjahr 2023 „global leicht gewachsen“. Dabei müsse man aber „berücksichtigen, dass das Wachstum hauptsächlich auf die erfolgreiche Weitergabe von Materialpreiserhöhungen zurückzuführen ist“. Für den Betriebsratsvorsitzenden Glatthaar ist das eher eine gute Nachricht, er sehe die Arbeitsplätze „aktuell als sicher“.
„Flexible Regelungen“
Den Austritt aus dem Arbeitgeberverband begründet Speckert mit den notwendigen Spar- und Umstrukturierungsmaßnahmen beim Automobilzulieferer. Der Tarifvertrag mit der IG Metall gilt zunächst bis September 2024 weiter. Dann kann eine der Parteien ihn kündigen. Danach ergäbe sich für Kern-Liebers „die Möglichkeit, sinnhafte, standortspezifische Regelungen zu treffen“, ist Speckert überzeugt. Um am Standort Deutschland erfolgreich zu sein, benötige man einfache und flexible Regelungen. „Der heutige Tarifvertrag ist mehr als komplex und auch für die Mitarbeitenden nur noch schwer verständlich.“
Der Austritt aus dem Arbeitgeberverband sei eine Entscheidung der Geschäftsführung gewesen, so Glatthaar. “Wir als Betriebsrat haben da keine Möglichkeit der Einflussnahme.“ Er spüre wegen des Austritts eine Verunsicherung in der Belegschaft und befürchte „eine Verschlechterung der Außenwirkung von Kern-Liebers“.
Weg vom Verbrenner
Um bei Kern-Liebers die Transformation vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität zu schaffen, will Speckert die nahezu 100-prozentige Abhängigkeit vom Verbrenner am Standort Schramberg beenden. Bei den zu erwartenden rückläufigen Stückzahlen müsse man die Geschäfte räumlich dorthin bringen, „wo wir künftig noch Geld verdienen können“. Das werde in Schramberg „in einigen Bereichen mittelfristig nicht mehr möglich sein“, ist Speckert überzeugt.
Als Ersatz schwebt ihm die Stärkung der Textilsparte vor. Die Schließung der Kern-Liebers-Tochter Saxonia in Göppingen werde „viel zusätzlichen Umsatz auf den Sulgen“ bringen. Die Synergieeffekte, die sich durch die Konsolidierung ergäben, würden helfen, die Profitabilität dieses Bereichs nachhaltig zu erhöhen.
Ein anderes wichtiges Thema sei die Komplexität. Es gebe zu viele Geschäftsbereiche und damit auch zu viele verschiedene Produkte, die hier gefertigt würden. Das sei in der Vergangenheit sinnvoll gewesen: „Schwächelnde Märkte in einem Bereich konnten so durch andere Bereich aufgefangen werden und umgekehrt.“ Synergien seien aufgrund der unterschiedlichen Produktionsprozesse und Kundenstrukturen aber nur bedingt vorhanden. Dies gelte auch für den Standort Schramberg.
Drei Jahrzehnte Ausnahme
Blickt man in die Firmengeschichte, dann stellt man fest, seit drei Jahrzehnten hangelt sich das Unternehmen von Ergänzungstarifvertrag zu Ergänzungstarifvertrag. Anfangs nannte sich das „Bündnis für Arbeit“: Zwei Stunden unbezahlte Mehrarbeit für Arbeitsplatzgarantie, später gab es andere Modelle. Für Joachim Glatthaar waren diese Ergänzungstarifverträge „immer gut begründet“, Wirtschaftsprüfer und Gewerkschaft hätten das bestätigt. Warum das alles nicht gewirkt habe, könne er nicht sagen.
„Dem früheren Management Versäumnisse vorzuwerfen, hilft jetzt nicht“, betont er. Man müsse die heutigen Probleme lösen, der Blick in die Vergangenheit helfe da nur bedingt. Der Betriebsrat wünsche sich, dass die neue Geschäftsführung mit ihrem neuen Kurs erfolgreich sei und Kern-Liebers Schramberg wieder in die Gewinnzone bringe. „Damit haben sich dann diese Themen erledigt.“
Doch zunächst muss das Unternehmen sparen. Speckert hatte eine Summe von fünf Millionen Euro in den Raum gestellt, die ein Ergänzungstarifvertrag hätte einsparen sollen. Daraus wird nun nichts.
Es wird (etwas) gespart
Bei drei Workshops zusammen mit Vertretern der Geschäftsführung, dem Personalbüro und Führungskräften aus der Produktion habe man beraten, wie man Personalkosten reduzieren kann, berichtet Betriebsratschef Glatthaar. „Unser Fokus war, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.“ Nun soll die Altersteilzeit ausgedehnt werden, und beim sogenannten T-ZUG sollen die Mitarbeiter statt Geld sechs freie Tage nehmen können.
Mit diesen Maßnahmen sind die von Speckert angestrebten fünf Millionen Euro nicht zu erreichen, aber: „Ich schaue in die Zukunft und es ist meine Aufgabe, den Standort profitabel zu machen, mit oder ohne Ergänzungstarifvertrag.“
Und diese Zukunft sieht der Manager recht optimistisch: „Trotz der derzeit schlechten externen Rahmenbedingungen ist Kern-Liebers als Ganzes sehr stabil.“
Der Betriebsratsvorsitzende Glatthaar hofft, dass in fünf Jahren das Unternehmen mit „neuen, interessanten Produkten aufwarten“ kann, und dass von den aktuell 1150 Kern-Liebers Beschäftigten noch „so viele wie möglich“ dabei sein werden. Mit der Neuausrichtung in Schramberg werde man „zum ersten Mal wirkliche strukturelle Veränderungen am Standort“ erreichen, erklärt Speckert: „Ich hoffe, dass ich unsere Mitarbeitenden in den kommenden Monaten ebenso davon überzeugen kann.“