SCHRAMBERG – Während sich in Schramberg die Kern-Liebers-Mitarbeiter Gedanken machen, was hinter dem Rückzug von Hans-Jochem und Hannes Steim aus dem Unternehmen stecken könnten, haben die 80 Kolleginnen und Kollegen eines KL-Werkes in Chemnitz ganz andere Sorgen. Die Sächsische Nadel- und Platinenfabrik, kurz Naplafa, wird geschlossen. Das hat am Donnerstag die „Freie Presse“ aus Chemnitz berichtet.
Seit mindestens acht Jahren nur Verluste
Auf Nachfrage der NRWZ hat der Vorsitzende der Geschäftsleitung von Kern-Liebers, Dr. Erek Speckert den Bericht bestätigt. „Wir planen das Werk schließen“, so Speckert.“Wir haben dort in den vergangenen Jahren hohe, meistens siebenstellige Verluste geschrieben.“
In den vergangenen zwei Jahren sei fast nur noch Kurzarbeit angesagt gewesen. Die Firma, die spezielle Nadeln für die Textilindustrie herstelle, sei auf einen Großkunden angewiesen. Und da sei das Chemnitzer Unternehmen „nur bedingt wettbewerbsfähig“, so Speckert. Es sei absehbar, dass in den kommenden Jahren nicht genügend Aufträge herein kämen, um den Betrieb weiter zu führen.
Ersatzarbeitsplätze angeboten
Speckert war vergangenen Freitag nach Chemnitz gefahren, um den Betriebsrat und die Belegschaft zu informieren. „Coronabedingt auf dem Firmenparkplatz.“ Natürlich sei die Belegschaft betroffen gewesen. Kern-Liebers biete allen Ersatzarbeitsplätze in einem Werk in Schwabmünchen bei Augsburg an. Dort brumme das Geschäft. Auch nach Schramberg könnten die Mitarbeiter wechseln.
Wer ein solches Angebot nicht annehmen wolle oder könne, dem werde Kern-Liebers ein Angebot machen, „dass man sich hinter her noch in die Augen schauen“ könne, versprach Speckert.
Standort Schramberg vertraglich gesichert
Er beabsichtige, einen Teil der Arbeiten nach Schramberg zu verlagern. Speckert spricht von etwa 20 Arbeitsplätzen. Das zeige, dass das Unternehmen am Standort Schramberg festhalte. Außerdem: „Wir haben einen Standortsicherungsvertrag mit der IG-Metall.“
Es sei auch falsch, wenn spekuliert werde, das Ausscheiden von Dr. Hans-Jochem Steim und Hannes Steim habe irgendetwas mit dem Standort zu tun. Oder gar Kern-Liebers sei Pleite, wie ein auswärtiger Journalist am Telefon spekuliert habe. „Im Gegenteil, wir sind kerngesund.“
Zwei Familienstämme
Welche Gründe es tatsächlich gegeben hat, darüber schweigt auch Erek Speckert. Es muss innerhalb der Gesellschafter grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft der Firma gegeben haben. Wer die Gesellschafter genau sind, ist nicht wirklich klar. Auf der Kern-Liebers-Homepage steht dazu lediglich:
„KERN-LIEBERS ist ein Familienunternehmen, das sich im Besitz zweier Familienstämme befindet.“
Aus der Fusion der beiden Unternehmen Hugo Kern in Schramberg und Liebers in Ingolstadt 1971 rührt diese Zweiteilung wohl her.
Familie Steim Schramberg: Dazu gehören die Geschwister Dr. Jürgen Steim aus Wiesbaden, Dr. Hans-Jochem Steim und Sybille Drosten, beide in Schramberg. Letztere hält mit Robert Drosten zusammen laut homepage der Drosten Group 16,434 Prozent an Kern-Liebers. Vermutlich besitzen die beiden Brüder denselben Anteil, dann käme man auf zusammen 50 Prozent .
Familie Mayer: Über sie ist kaum etwas zu erfahren, nur in einem Lexikoneintrag heißt es, sie seien „Inhaber der Hugo Kern und Liebers GmbH & Co. KG“.
IG Metall-Stellungnahme
Die Nachricht, vom Rückzug des Verwaltungsratsvorsitzenden Dr. Hans-Jochem Steim und Sohn Hannes Steim aus der Firma, habe die Beschäftigten und die IG Metall überrascht, so die Gewerkschaft in einer Pressemitteilung am Freitag.
Georg Faigle, der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Freudenstadt, frage sich, wohin die Reise bei Kern-Liebers in Schramberg geht. „Warum trennt sich Dr. Hans- Jochem Stein gerade jetzt von seinen Unternehmensteilen? Das Unternehmen hat im Moment die große Herausforderung im Bereich Automotive, die Transformation vom Verbrennungsmotor hin zum Elektroauto, zu bewältigen“, so Faigle.
Ein Großteil der Beschäftigten sei durch die andauernde Kurzarbeit und dem langsamen Anlauf von Neuprojekten in großer Sorge. Gerade das seit mehr als 20 Jahren sogenannte „Bündnis für Arbeit“ solle dafür sorgen, dass die Wettbewerbs-und Innovationsfähigkeit des Standortes Schramberg zur nachhaltigen Verbesserung der Ertragslage führe und damit nicht nur bestehende Arbeitsplätze abgesichert, sondern auch neue Zukunftsarbeitsplätze geschaffen würden.
„Bündnis für Arbeit“ hat Spuren hinterlassen
„Die Bündnisjahre haben bei den Beschäftigten Spuren hinterlassen“, so Faigle. Das sogenannte „Bündnis für Arbeit“ bei Kern Liebers habe Dr. Hans- Jochem Steim geprägt. Die Hoffnung in den Erfolg dieses Bündnisses, sei in den vergangenen drei Jahren mehr und mehr auf eine harte Zerreisprobe zwischen Geschäftsführung, IG Metall und deren Mitglieder bei Kern-Liebers gestellt worden.
Zuletzt seien mit dem Abschluss eines Ergänzungstarifvertrags in 2020 zwischen IG Metall und dem damaligen Geschäftsführer Dr. Schnell, 370 Arbeitsplätze gerettet worden.
Fragen an die Geschäftsleitung
Dafür hätten die Beschäftigten schmerzhafte, finanzielle Einschnitte bei tariflichen Sonderzahlungen hinnehmen müssen. Der Ergänzungstarifvertrag habe noch eine Laufzeit bis Ende 2022. Für Faigle sei es wichtig, Klarheit darüber zu bekommen, welche unüberwindbaren, unterschiedlichen Vorstellungen über die Weiterentwicklung bei Kern-Liebers es bei den Gesellschaftern gegeben hat.
„Die Beschäftigten brauchen jetzt weniger an Gerüchten und Spekulationen in Bezug Verlautbarungen der Geschäftsführung. Die Belegschaft erwartet Antworten und einen „strategischen Zukunftsplan“ und das so schnell wie möglich“, so Faigle.
Entscheidend hierfür sei die daran anknüpfende Frage: „Wer übernimmt die Geschäftsanteile der Familie? Die Familie selbst, oder ein strategischer Partner der das Familienunternehmen mittelfristig womöglich nach anderen Vorstellungen umbauen möchte?“
Diese und weitere Fragen werde die IG Metall mit Geschäftsführer Dr. Erek Speckert zu klären haben, heißt es abschließend.