Saal 134 im Rottweiler Landgericht. Montag, 4. Oktober, 14 Uhr. Die Kammer für Handelssachen verhandelt in der Sache KAUYU gegen die Ratholit Unternehmensgesellschaft „wg. Übertragung von Geschäftsanteilen“. Das Publikumsinteresse hält sich in Grenzen, nur ein Journalist schreibt mit. Zwei andere Herren im Publikum sind wohl eher aus Zufall anwesend.
Und dabei geht es um nicht weniger als den „zügigen Ausbau der Elektromobilität“ in Deutschland und Europa. Der sei nämlich entscheidend davon abhängig, „wie schnell, zuverlässig und preislich wettbewerbsfähig unsere Hersteller die dafür notwendigen Batterien erhalten“, so die Baden-Württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut im Dezember 2018.
Um solche Batterien herstellen zu können, benötigt man Lithium. Dieses Lithium gibt es unter anderem in riesigen Salzseen in Südamerika. Gewinnen will es eine kleine Firma aus Zimmern bei Rottweil, ACI Systems Alemania. Diese ACISA hat im Dezember 2018 ein Joint Venture mit dem bolivianischen Staatsunternehmen YLB Yacimientos de Litio Bolivianos geschlossen. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist dabei und lobt: „Wenn solche Aufträge an deutsche Unternehmen gehen, ist das immer für den Umweltschutz gut.“
Feierliche Vertragsunterzeichnung
In der Landesvertretung Baden-Württembergs herrschte damals beste Stimmung: Etliche Herren in dunklen Anzügen, auch einige Damen im Business-Kostüm sind gekommen. Dazwischen mischen sich Herren in traditioneller Kleidung der indigenen Bevölkerung Boliviens. Als Gastgeberin begrüßt Landeswirtschaftsministerin Hoffmeister-Krauth den bolivianischen Außenminister Diego Pary Rodriguez und den Energieminister Rafael Alarcón Orihuela Alarcon.
Ebenfalls gekommen ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Unter den etwa 200 Personen eilt ein groß gewachsener Mann hin und her. Schüttelt hier eine Hand, plaudert da. Er ist der eigentliche Star der Veranstaltung: Professor Dr. Wolfgang Schmutz aus Zimmern ob Rottweil.
Boliviens Außenminister Pary spricht über die große Bedeutung des Tages für die beiden Länder, sein Kollege aus dem Energieministerium freut sich ebenfalls. Professor Schmutz sieht im Joint Venture gar „eine Chance für die zukünftige Energieversorgung der Welt. Und vor allem für Bolivien.“ Man müsse nachhaltig denken, den Umweltschutz beachten und es sei „an der Zeit, alle Beteiligten zu Gewinnern zu machen.“
Was Professor Schmutz aus Zimmern ob Rottweil und seine bolivianischen Partner planen, ist tatsächlich groß: Sie wollen 70 Jahre lang jährlich 35.000 bis 40.000 Lithiumhydroxid fördern und dafür etwa 300 Millionen Euro investieren. Davon würde etwa die Hälfte in Maschinen und Anlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz fließen. Etwa 1000 Arbeitsplätze verspricht Schmutz bei der Vertragsunterzeichnung in Berlin.
Juristisches Tauziehen
Was am 12. Dezember 2018 so euphorisch begann, das endet nun – vorläufig zumindest – im Saal 134 des Landgerichts. Es handle sich um einen Gütetermin, betont Richter Dirk Hornikel gleich zu Beginn. Doch die Rechtsanwälte beider Seiten schenken sich nichts. Gekommen sind der Geschäftsführer der Firma KAUYU Bernd Alsleben und zwei Anwälte der Nürnberger Kanzlei Rödl und Partner.
Für die beklagte Ratholit ist deren Geschäftsführer und gleichzeitig als ihr Rechtsanwalt Christoph Tschirdewahn aus Rottweil im Gerichtssaal. Die Kläger fordern ihre Gesellschafter-Anteile aus der Ratholit zurück, weil „Schmutz und Tschirdewahn entscheiden, ohne dass unsere Mandanten Einfluss haben“, wie Anwalt Vincent Max Döbrich erklärt.
Was hat das alles nun mit Lithium in Bolivien zu tun? Für sein Lithium-Projekt hat sich Professor Schmutz Partner in Bolivien gesucht, berichtet Richter Hornikel nach dem Aktenstudium. Dieser hätte gemeinsam mit Stefan Kosel und Carlos Delius in Bolivien „ein tolles Projekt aufgetan“, um Lithium zu produzieren, so Richter Hornikel. Später bestätigt Tschirdewahn dies, „die Herren aus Bolivien“ seien „einflussreiche Geschäftsleute mit Kontakten in die Gas- und Energieindustrie“.
Wer hat das Sagen bei ACISA?
Diese Herren haben Geschäftsanteile an der Firma ACISA gekauft, einer Ausgründung aus Schmutz‘ ACI. Aber auch einige andere Firmen und Personen aus Deutschland haben sich an der ACISA beteiligt. Um die Anteile zu bündeln und Entscheidungen schnell treffen zu können, kam man auf die Idee, eine Treuhandgesellschaft zu gründen. Das sei im November 2017 bei einem Treffen der Geschäftsleute mit Schmutz besprochen worden.
Die Herren seien auf ihn als Anwalt zugekommen, er könne doch den Treuhänder machen, als Anwalt ohne Vorschuss. Dafür bekam Tschirdewahn einen kleinen Anteil an der neuen Gesellschaft, der Ratholit. Die wiederum besaß gut 72 Prozent an der ACISA, der Rest gehörte Schmutz‘ ACISystems.
Die ACISA sei ja auch „gar nicht so unerfolgreich“ gewesen, meint Tschirdewahn und erinnert an den Deal mit dem Staatskonzern YLB vom Dezember 2018. „Alles lief gut, doch dann kam ein böser Schlag.“ In der Provinz Potosi gab es Proteste gegen das Vorhaben. Der damalige bolivianische Präsident Evo Morales stand vor einer Wahl und „wollte sich erkenntlich zeigen, indem er das Projekt cancelte“, so Tschirdewahn.
In Bolivien geht nichts mehr
Lange hatte danach Funkstille geherrscht. Doch inzwischen gibt es einen neuen Präsidenten Luis Arce in Bolivien. Der erklärte anfangs, das Projekt mit den Deutschen, sprich ACISA, fortsetzen zu wollen. In einem Interview mit der FAZ hatte Arce erklärt: „Wenn die deutsche Firma die Bedingungen anpasst, dann setzen wir die Zusammenarbeit fort.“ Mitte August erschien in Capital ein Artikel zu einem neuen Anlauf beim Lithium-Projekt der ACISA: „Es gibt wieder Kontakte“, bestätigte ACISA-Geschäftsführer Wolfgang Schmutz der Zeitschrift.
Das scheint aber inzwischen auch schon wieder vorbei zu sein, wie Rechtsanwalt Tschirdewahn im Gerichtssaal erklärte: „Es ist nach langer Zeit wieder gelungen, mit dem Geschäftsführer von YLB zu sprechen.“ Doch dann sei Kosel, einer der Geschäftsführer der KAUYU, bei YLB aufgetaucht und habe erklärt: „Schmutz kann doch gar nicht erfüllen, was er verspricht. Seither herrscht wieder Funkstille.“ Tschirdewahns Vorwurf lautet, nicht alle Gesellschafter wollten das Projekt noch verwirklichen.
ACISA geht die Liquidität langsam aus
Doch auch die Gegenseite erhebt schwere Vorwürfe. Es habe bei der ACISA Zahlungsströme, „die ein ungutes Gefühl auslösen“, gegeben, sagt Rechtsanwalt Vincent Max Döbrich, der die KAUYU vertritt. Daran sei eine Mediation gescheitert. Tschirdewahn poltert dagegen, Döbrich versuche, Stimmung zu machen. Die Tabelle enthalte beispielsweise nicht die 600.000 Euro, die an Kosel und dessen Anwälte gegangen seien.
Es geht wohl um ein Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, der Firma Ebner Stolz, die sich laut Tschirdewahn „auf Wunsch der bolivianischen Gesellschafter“ für ein Honorar von 25.000 Euro die Zahlen angeschaut hätten. Die Wirtschaftsprüfer hätten bestätigt, „alle wesentlichen Zahlungen“ seien „projektbezogen“ gewesen, betont der Rottweiler Anwalt.
Daran scheinen die bolivianischen Partner und die von KAUYU so ihre Zweifel zu haben. Deren Anwalt Döbrich berichtet von Zahlungsströmen, die nicht nachgewiesen seien, von auffallenden Zahlungen an Beratungsgesellschaften und „Zahlungen an Schmutz und an Sie“. Außerdem habe Tschirdewahn Rechnungen an die Gesellschaft gestellt. „Den ‚Armen Ritter‘ nehme ich ihnen nicht ab.“
Der Jahresabschluss 2019 sei „völlig aus dem Nichts“ gekommen, es habe eine ominöse Gesellschafterversammlung mit einer Ladungsfrist von zwölf Stunden gegeben. Er, Tschirdewahn, habe sich nicht für die Weisungsrechte der bolivianischen Treugeber eingesetzt. Deshalb hätten diese inzwischen drei Mal gekündigt.
Der Jahresabschluss 2019 kam reichlich spät, die Gesellschafter fühlten sich überrumpelt, wollten einen externen Rechtsanwalt die Zahlen prüfen lassen. Tschirdewahn entgegnet, die Gesellschafter hätten nach einem Anwalt gefragt, der weniger als 400 Euro Stundensatz verlange: „Und das in einer Situation, in der der Gesellschaft die Liquidität langsam ausgeht.“
Richterliche Befriedungsversuche
Richter Hornikel geht dazwischen. „Sie verwickeln sich im Klein-Klein. Es gebe nur noch wechselseitiges Misstrauen. Den Kündigungsgrund der ersten Klage, nämlich, dass Tschirdewahn nicht nur Schmutz‘ Anwalt, sondern auch dessen Schwager ist, findet Richter Hornikel nicht sonderlich plausibel, das hätten die Treugeber von Anfang an gewusst.
Er appelliert an die beiden Parteien vom „juristischen Klein-Klein“ wegzukommen. Das heutige Verfahren sei nur ein kleiner Ausschnitt von einer ganzen Reihe von Verfahren, Klagen und einstweiligen Verfügungen, mit denen er sich wegen ACISA zu befassen habe. Es sei ja unstreitig, dass es anfangs gut funktioniert habe. „Jetzt klappt es nicht mal mehr im Ansatz.“
Ziel aller Beteiligten müsse doch sein, zum Wohl der Gesellschaft zu arbeiten und Profit zu erzielen. Wenn es so weitergehe, bestehe das Risiko dass die Gesellschaft untergehe, zumal sie „vielleicht nicht so finanzstark“ sei. Klar sei doch auch, dass die Gesellschaft gegenüber den bolivianischen Partnern handlungsfähiger werde, wenn man einheitlich auftrete, argumentiert der Richter.
Lösung in Sicht?
Nach komplizierten rechtlichen Erwägungen, wann denn wer warum den Treuhandvertrag kündigen könnte, hat Richter Hornikel einen rettenden Gedanken: Statt das ganz mit Beweisen, Zeugenanträgen und weiteren Verhandlungen durchzufechten, könnte Tschirdewahn sein Amt als Treuhänder wie in der Satzung vorgesehen niederlegen. Dann müssten die Treugeber einen neuen Treuhänder suchen. Wenn sie keinen fänden, würden alle Gesellschafteranteile an die Gesellschafter zurückgegeben.
Tschirdewahn fürchtet zunächst „totales Chaos“, während Döbrich von einem „idealen Zustand“ spricht. Er bietet sogar an, seine Seite würde die Notarkosten für die Rückabwicklung übernehmen. Nun haben alle Parteien Zeit bis zum 5. November über Hornikels Vorschlag nachzudenken.
Gegen 16.20 erheben sich die Beteiligten, Richter Hornikel verschwindet in sein Richterzimmer, die Anwälte ziehen ihre Roben aus. „Fahren Sie nun zurück nach Nürnberg?“, fragt Tschirdewahn seine Kollegen, die das bejahen. Ein Gespräch mit dem Reporter möchten Alsleben und seine Anwälte mit Blick auf das „schwebende Verfahren“ nicht führen.
In Bolivien Skepsis
Und in Bolivien? Da scheinen Schmutz und seiner ACISA inzwischen die Felle davonzuschwimmen. Das Unternehmen sei aus der Ausschreibung für die direkte Lithiumgewinnung gar nicht beteiligt gewesen, schreibt einer der bolivianischen Gesellschafter, „und das Joint Venture mit der bolivianischen Lithium-Staatsfirma ist tot.“
Juan Carlos Zuleta Calderón, der die Lithium-Wirtschaft analysiert, sieht Bolivien am Scheideweg. Es gebe zwei Wege der Lithiumgewinnung, aber Bolivien könne nur einen Weg beschreiten. Calderon bezieht sich auf einen Vortrag Präsident Arces an der Columbia-Universität in New York. Dort habe der Präsident angedeutet, seine Regierung setze nun auf „neue Firmen“. Calderón kommt am 30. September zu dem Schluss, die Pläne mit den Deutschen seien nicht mehr umsetzbar.
Ministerien in Berlin und Stuttgart: Nicht unser Ding
Und wie reagieren unsere Wirtschaftsministerien in Berlin und Stuttgart auf die Turbulenzen? Erstaunlich schmallippig. Die Presssprecherinnen der Wirtschafts-Ministerien haben wir im Sommer zu den jüngsten Entwicklungen im Lithium-Geschäft der ACISA um Stellungnahmen gebeten. Gefragt, ob der Bundes- oder Landesregierung bekannt sei, dass sich die Investoren heftig streiten, oder wie denn der Stand der Gespräche zwischen der deutschen Firma und Bolivien sei, verweisen beide Ministerien auf die Firma.
Hatten sich sowohl Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, als auch seine baden-württembergische CDU-Kollegin Dr. Nicole Hoffmeister-Krauth im Dezember 2018 sehr gerne hinter die Vertragsunterzeichner am Tisch gestellt und die Bedeutung des Projektes hervorgehoben, lassen sie nun ausrichten, das sei alles nicht ihr Ding: Die Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums schreibt: „Es handelt sich bei dem Projekt um ein unternehmerisches Vorhaben. Zum aktuellen Stand müssten Sie sich daher bitte an die beteiligten Unternehmen wenden bzw., sofern Ihre Fragen die bolivianische Regierung betroffen ist, an diese.“
Ihre Kollegin aus dem Landeswirtschaftsministerium hat fast denselben Tipp parat. „Das Wirtschaftsministerium ist nicht in die von Ihnen angefragten aktuellen Vorgänge eingebunden. Daher können wir Ihnen bei Ihren Fragen leider nicht weiterhelfen und auch keine Einschätzung zum Thema vornehmen. Wir möchten Sie bitten, sich mit Ihren Fragen direkt die ACI Systems Alemania GmbH zu wenden.“
Schmutz warnt vor strafrechtlichen Konsequenzen
Auch ein umfangreicher Fragenkatalog ging im Vorfeld der Verhandlung an Professor Schmutz, die dieser auch beantworten ließ. Er schreibt aber vorneweg: „Bevor ich Ihre Fragen beantworte, möchte ich eine generelle Anmerkung machen. Ihnen sind offensichtlich Interna und Geschäftsgeheimnisse der ACISA zugespielt worden, die ausschließlich für die Gesellschafter bestimmt sind und auf keinen Fall auf irgendeine Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen. Verstöße können, wie Sie wissen, strafrechtlich verfolgt werden.“
Da wir uns eine solche Auseinandersetzung nicht leisten können, finden sich in unserem Artikel lediglich die Informationen, die in der Verhandlung am 4. Oktober 21 in öffentlicher Sitzung bekannt wurden. Dazuhin Zitate aus Zeitungen und anderen öffentlichen Quellen beziehungsweise Antworten auf Anfragen.