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Zeitzeugin Christa Lörcher: „Die Unbequeme“ berichtete

Schramberg. Am frühen Samstagabend zeigte das Subiaco-Kino in der Majolika den Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ von Torsten Körner. Im Anschluss berichtete die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Christa Lörcher aus Villingen-Schwenningen über ihre Erfahrungen als Frau in der Bonner und später in der Berliner Republik. (Trailer hier.)

Herbert von Karajan dirigiert. Natürlich ein  ausschließlich  mit Männern besetztes  Sinfonieorchester. Bilder alter Kabinette mit  Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger. Alles Männer im dunklen Anzug.

Körner zeigt eine ganz Reihe Politikerinnen aus allen Parteien, die von Beginn der Bundesrepublik an versucht haben, sich in dieser männerdominierten Welt des Parlaments und der Regierung durchzusetzen. Viele sind in alten Filmdokumenten im Parlament zu sehen, auf Parteitagen oder im Wahlkreis. Viele der Protagonistinnen lässt Körner nun Jahrzehnte später zu Wort kommen.

Macht und Ohnmacht

Renate Schmid (SPD) beispielsweise erzählt, dass sie damals  oft gehört habe, Politik habe mit Macht zu tun, das sei nichts für Frauen. Sie habe das nicht verstanden, was denn an Macht schlecht sein soll. „Ich will nicht ohnmächtig sein.“ Ursula Männle (CSU)berichtet, ihr habe man vorgehalten, Politik sei doch unweiblich. Eine Fernsehwerbung von damals bringt es auf den Punkt. „Zwei Lebensfragen beschäftigen die Frau“, so die Stimme aus dem Off, „was ziehe ich an und was koche ich heute.“

Gegen diesen Muff  gingen die Unbeugsamen an.

Feixende Männer ertragen keine starken Frauen

In  etlichen Kapiteln zeigt der Film etwa den Sexismus im Bundestag. Etwa in „Mad Men“ wie  der CSU-Politiker Richard Stücklen feixend seinen Fraktionskollegen zeigt, dass die FDP-Bildungspolitikerin Helga Schuchardt keinen BH trage. Erschütternd ist auch das Gelächter und Geschrei, als die grüne Bundestagsabgeordnete Waltraud Schoppe im Plenum für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe plädiert. Oder ein anderer über eine CSU-Abgeordnete bemerkt, die sei unverheiratet: „So hässlich ist die doch gar nicht.“

Waltraud Schoppe im Film bei einer Rede im Bundestag. Foto: him

Hannelore und Petra

Ein Kapitel widmet der Film Petra Kelly und Hannelore Kohl. Die grüne Friedensaktivistin, die als Bundestagsabgeordnete Angst vor den Männern entwickelt und schließlich von ihrem Lebensgefährten und Parlamentskollegen Bastian erschossen wird, bevor dieser sich das Leben nimmt. Die Kanzlergattin, als Provinzhascherl verlacht und massiv unterschätzt, nimmt sich das Leben, weil sie ihre Krankheit und die Gehässigkeiten nicht mehr erträgt.

Heute kaum noch nachvollziehbar auch der zähe Kampf der Frauen, eine zweite Ministerin in Kohls Regierung unterzubringen. Kohl gibt schließlich nach – und präsentiert die Seiteneinsteigerin Rita Süssmuth. Als diese Kohl zu (eigen)mächtig wird, schiebt die Männerriege Süssmuth auf den Posten der Bundestagspräsidentin ab.

Am Ende des Films dirigiert eine junge Frau ein bunt besetztes Orchester. Eine der inzwischen alten Damen zitiert die SPD-Politikerin Käthe Strobel: „Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männer überlassen könnte.“

Tiefschlag gleich am Anfang

Im Anschluss an den Film berichtete im kleinen Kreis Christa Lörcher im Gespräch mit Gabriele King von ihrer Zeit im Bundestag zwischen 1993 und 2002. „Ich muss schon sehr alt sein“, meint sie schmunzelnd, „weil ich die alle noch kenne.“ In diesem Sommer hat Lörcher ihren 80sten gefeiert. Ein Erlebnis aus ihrer Anfängerinnenzeit ist ihr ins Gedächtnis eingebrannt. Ursula Männle von der CSU habe sich intensiv dem Kampf gegen den Sextourismus gewidmet. Sie habe immer wieder Parlamentarierreisen organisiert, um auf das Elend der Frauen und Kinder hinzuweisen.

Nur zwei Monate, nachdem sie 1993 in den Bundestag nachgerückt war, sei sie aufgefordert worden, an einer solchen Reise in die Dominikanische Republik teilzunehmen. Eine „furchtbare Reise“, wie sie sagt, „zu sehen wie Kinder und Frauen ausgebeutet werden.“ Sie hätten aber auch Projekte angeschaut, in denen die Frauen andere Chancen zum Verdienst erhalten sollten. Auch mit Regierungsvertretern hätten sie gesprochen.

Nach ihrer Rückkehr habe sie für die Zeitungen einen Artikel über ihre Eindrücke und Erlebnisse verfasst. Die Kommentare machten sie noch heute tief betroffen: „Kaum ist sie im Bundestag, macht sie eine Luxusreise in die Dominikanische Republik!“

Sie erinnert sich auch noch, wie Männle später „von ihrer eigenen Partei abserviert“ wurde, indem sie nicht mehr für die Bundestagswahl nominiert wurde. Sie war den Männern zu unbequem geworden.

Christa Lörcher berichtet im Subiaco über ihre Zeit im Bundestag. Foto: him

Nach der Afghanistan-Entscheidung außen vor

Den Sexismus der frühen Jahre habe sie nicht mehr erlebt: „Ich bin eigentlich immer normal behandelt worden.“ Erst als sie 2001 gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr gestimmt habe, sei sie danach „lange links liegen gelassen“ worden, wie sie „nicht mehr in der Spur gewesen“ sei. Sie hatte einen Tag vor der Abstimmung die SPD-Fraktion verlassen.

Sie erinnere sich aber auch daran, dass der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering sie angesprochen und gebeten habe in der SPD zu bleiben: „Wir brauchen auch die Unbequemen.“

Nach wie vor sei der Frauenanteil im Parlament zu niedrig, bedauerte sie. Trotz aller Quotierungen und „Reißverschlussmethoden“. Für Frauen sei es  wichtig, Ideen und Durchsetzungskraft zu zeigen. Sie interessierten und engagierten sich häufig, für Themen, die nicht so besonders beliebt sind. Sie etwa für die Altenpflege. „Du und deine Alten“, habe sie oft gehört. Auf den Pflegenotstand habe sich schon vor 30 Jahren hingewiesen.

Die CDU war überall

Ein Besucher berichtete davon, dass Lörcher bei Veranstaltungen in ihrem Wahlkreis häufig bei der Begrüßung „übersehen“ wurde. Der Pfarrer, der Landrat, der Bürgermeister, alle seien begrüßt worden, nur die SPD-Bundestagsabgeordnete nicht.

Lörcher erinnerte sich in diesem Zusammenhang an die Eröffnung des Dögginger Tunnels, eines Bundesstraßenvorhabens, zu dem die damalige Bundesjustizministerin als Festrednerin geladen war. Fünf Minuten vor dem offiziellen Beginn sei der damalige CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel vorgefahren, die Kapelle habe gespielt – und Teufel die Festrede gehalten. Däubler-Gmelin, die pünktlich da war, sei fuchsteufelswild gewesen. Das B 31-Straßenbauprojekt sei schließlich ein Bundesprojekt gewesen. „Präsenz ist wohl etwas sehr wichtiges“, so Lörchers Fazit, „wenn man in der Zeitung ist…“

Weiter ging es um Gleichberechtigung auch in den Betrieben, um das Ehegattensplitting und den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Dass die Bundesverteidigungsministerin in Zeitunganzeigen ausgerechnet mit diesem Einsatz für die Bundeswehr wirbt, findet Lörcher „unglaublich“.

Mit Gewissensentscheidung ins Geschichtsbuch

Sie sei inzwischen ja schon in den Geschichtsbücher gelandet, wusste ein Besucher. Nun, tatsächlich habe ein Schulbuchverlag ihre Entscheidung, gegen den Afghanistaneinsatz und damit gegen den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder zu stimmen, als Beispiel für eine Gewissensentscheidung aufgenommen.

Dass Abgeordnete sich an die Fraktionsdisziplin halten sollten, mache schon Sinn. Es komme vor, dass man an 90 Abstimmungen an einem Tag teilnehme. Da müsse man sich auf die Fachleute in der Fraktion verlassen. Für sie gebe es aber zwei Bereiche, wo das Gewissen entscheide: Krieg und Frieden sowie vorgeburtliches Leben und das Sterben.

Mit Applaus bedankte sich die kleine Besucherschar bei Lörcher für ihren Einblick in die Arbeit einer Unbeugsamen.

 

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