„Wir hatten hier den Eindruck, ganz Schramberg wäre kaputt“

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Schramberg. Am 21. März 1945 wurde Schramberg im Zweiten Weltkrieg zum ersten und einzigen Mal bombardiert. Ziel des Angriffes war der Bahnhof, die Bomben schlugen jedoch in Wohngebieten ein. Dabei starben 13 Menschen und vier Häuser wurden vollständig zerstört.

Im Zweiten Weltkrieg war der Luftkrieg von Anfang an von großer Bedeutung. Nach der „Luftschlacht um England“, in der die Deutschen zunächst englische Industrie- und später auch Wohngebiete angriffen, antworteten die Briten und später auch die Amerikaner mit Gegenschlägen auf deutsche Städte. Die gezielte Bombardierung der Wohngebiete sollte den Kriegswillen der deutschen Bevölkerung brechen. Durch amerikanische Angriffe bei Tag und britische Angriffe bei Nacht lebten die Bewohner deutscher Städte rund um die Uhr in Angst vor Bombardierungen. Bei den Angriffen auf deutsche Städte starben wohl über 500.000 Menschen. Die Angriffe auf Zivilisten konnten die Moral der Bevölkerung auf beiden Seiten jedoch nicht brechen – eher verstärkten sie den Durchhaltewillen und den Hass auf den Feind.

B-26-Marauder-Bomber der französischen Luftwaffe. Foto: Stadtarchiv Schramberg

Am 21. März 1945 flog ein kleiner Bomberverband, bestehend aus sechs zweimotorigen B-26-Marauder-Bombern über Süddeutschland. Diese kleinen, wendigen Flugzeuge wurden nicht für Flächenbombardements auf große Städte, sondern zu punktuellen Angriffen auf Kleinstädte und Verkehrsknotenpunkte eingesetzt. Bei den sechs Maschinen handelte es sich um eine Einheit der Groupe Bombardement II/63 „Senegal“ der französischen Luftwaffe. Diese war Ende 1943 in Nordafrika neu formiert und mit amerikanischen Bombern ausgestattet worden. Sie flog von Flugplätzen, die kurz vor Kriegsende nahe dem Rhein provisorisch errichtet wurden, Angriffe auf Südwestdeutschland. Das Geschwader hatte den Auftrag, den Bahnhof von Riegel im Kaiserstuhl zu bombardieren. Dichte Wolken versperrten jedoch die Sicht auf das Ziel, weshalb die Bomber abdrehten.

Zwischen 15.00 Uhr und 15.30 Uhr flogen sie aus nördlicher Richtung durch ein Wolkenloch, unter dem Schramberg lag. Am Bahnhof, der sich auf dem Gelände des heutigen Kaufland-Supermarktes befand, wurde rangiert. Die Bomber erkannten den Dampf einer Lokomotive, stürzten hinunter und warfen zwischen 28 und 35 Sprengbomben unterschiedlicher Kaliber ab. Der Abwurf erfolgte jedoch Sekundenbruchteile zu früh, so dass nicht der Bahnhof, sondern die Wohngebiete Hammerwerkshalde und Siedlungsstraße (heute Landenbergerstraße) getroffen wurden.

Karte des Angriffsgebietes mit den Bombentrichtern im Tagebuch von Ernst Huber aus dem Jahr 1945. Foto: Privatbesitz Familie Huber

Während das eigentliche Ziel nur leichte Beschädigungen davontrug, wurden vier Wohnhäuser vollständig zerstört. Die Wucht der Explosionen drückte bei den umliegenden Häusern die Fensterscheiben ein und deckte die Dächer ab, einige wurden schwer beschädigt.

Zwölf Menschen starben dabei: Julius Mauthe (75), Rosa Mauthe (64), Johanna Hils (32), Gisela Hils (4), Johanna Schneider (50), Maria Schneider (59), Alois Schneider (9), Maria Michaelsen (34), Maria Wössner (30), Wolfgang Wössner (1), Ingrid Wössner (eineinhalb Wochen) und Maria Haas (52). Sie wurden in einer bis heute bestehenden Ehrengrabanlage auf dem städtischen Friedhof beigesetzt. Vier Tage später, am 25. März, erlag Magdalene Haas (52) im Krankenhaus ihren durch Verschüttung erlittenen Verletzungen. Somit kamen bei dem Angriff insgesamt dreizehn Menschen um, einige wurden verletzt.

Die Bevölkerung war erschüttert. Obwohl es fast täglich Luftalarm gegeben hatte, war Schramberg bis zu diesem Tag, einen Monat vor Kriegsende, nie angegriffen worden. Entsprechend hatte niemand mehr mit einem Bombenabwurf gerechnet. Beim Aufheulen der Sirenen hatte sich kaum noch jemand, wie eigentlich vorgeschrieben, in Bunker oder Luftschutzkeller begeben. „An diesem Nachmittag des 21. März 1945“, hinterließ ein Zeitzeuge, „war der Krieg auch nach Schramberg gekommen.“

Irma Müller (1914 – 1999), damals 30 Jahre alt und in der Landenbergerstraße 66 wohnhaft , hielt drei Jahre vor ihrem Tod in einem Bericht fest: „Ich blieb immer vollkommen ruhig und war überzeugt, bei uns passiert nichts […] Ich saß im Wohnzimmer, meine Heidi, damals 8 Jahre alt, war bei mir. Fliegeralarm. Ohne Wirkung auf mich, ‚die Bahn‘ rangierte und weiße Wölkchen stiegen von der Lok auf. Flieger hörten wir, schon nahe, weil aber einige Tage früher ein einzelnes Flugzeug von Schiltach herkommend, ganz tief durch unser enges Tal geflogen kam, und nichts geschehen war, wollte ich zum Fenster rausschauen und zusehen. wie wieder so ein Wagemutiger durchs Tal geflogen kam. Dann gleich die ersten Einschläge, es polterte auf unser Dach, ich beugte mich über Heidi, um sie zu schützen. Meine Kinder, Ingrid, 11 Jahre und Wolfgang 5 Jahre, fielen mir ein mit Schrecken, sie spielten mit Nachbars Kindern draußen. Die Einschläge der Bomben dauerten ganz kurz, ich ging nach den Kindern zu schauen, sie waren in unserm Keller, unversehrt. Dann ging ich in den oberen Stock nach Großvater, Mutter und meiner Schwester zu sehen. Alle unversehrt, halt aufgeregt und erschrocken. Der Schaden: Das Dach war kaputt, wir sahen in den Himmel, Fenster waren mit Rahmen herausgerissen, überall Scherben und ‚Gartendreck‘. Eine Stunde vor dem Angriff hatte ich 2 Zugseile Wäsche aufgehängt, Seile vom Haus in den Garten. Alles kaputt unter Haufen von Dreck. Wir hatten hier den Eindruck, ganz Schramberg wäre kaputt. Eine Staubwolke verhüllte jede Sicht zur Stadt. Mein erster Eindruck war, soviel zerstört an unserm Haus, wir aber ohne jeden gesundheitlichen Schaden. Glück.“ Abschließend schreibt sie: „Angst hatte ich immer noch nicht vor weiteren Angriffen.“

Der damals 16-jährige Ernst Huber (1928 – 2018) erlebte den Angriff aus einer anderen Perspektive: Als Luftwaffenhelfer war er in einer Flakstellung auf dem Schlossberg stationiert. In seinen Lebenserinnerungen aus dem Jahr 2003 beginnt er mit dem schönen Wetter in den letzten Märztagen im Frühjahr 1945. Eindrücklich beschreibt er die Bomberpulks, bestehend aus riesigen B-17-Bombern, die „in fünftausend Meter Höhe mit tausenden Maschinen über uns hinwegfliegend, durch die Masse ihrer Kondensstreifen einen ursprünglich blauen Himmel zu einem dichtbewölkten machten“, und die Jagdbomber, „welche wie böse Wespen über das Land dröhnten.“

Über ein Megaphon ertönte am 21. März die Warnung vor Flugzeuggeräuschen aus nördlicher Richtung. „Da waren sie auch schon zu sehen. Sechs zweimotorige MARAUDER in nahezu direktem Anflug […] Einer von uns rief: ‚Die machen die Bombenklappen auf.‘ Auch ich sah noch die nach unten klappenden Schachtverkleidungen, dann aber auch schon wie Bleistiftstriche die fallenden Bomben, hörte deren zischendes Pfeifen und sah dann auch schon im hinteren Tierstein schlagartig, gelbrot aufblitzende Explosionen. Dann war nur noch eine zu immer gewaltigerer Größe aufwachsende Rauch- und Staubwolke zu sehen, in welche weitere Bomben hineinfielen und grellrot explodierten. Dies alles geschah fast gleichzeitig. Und dann war es auch schon vorbei. Es war nur noch eine, den ganzen Tiersteinhang einnebelnde weißbraungelbe Wolke zu sehen. Und, nach dem Verklingen der letzten Detonationen war es still, wahnsinnig still.“

Erst dann realisierte er, dass sich unter der Wolke auch sein Elternhaus befand. Panische Angst um seine Eltern, seine beiden Großmütter und seine Verwandten im Nachbarhaus überwältigte ihn. Sein Flakhelferkamerad Georg Holderied sagte: „Hast du gesehen, die ersten Bomben explodierten direkt neben unserem Haus. Die sind tot, alle tot.“ Die Beiden warteten, bis sich die Wolke verzog und die Sicht auf das Angriffsgebiet freigab. Für sie „waren dies schrecklich lange Minuten. Oder waren es nur Sekunden? Bis heute habe ich noch kein Gefühl für die Zeit, welche verging“, schrieb er als 75-Jähriger im Rückblick.

Dann die Erleichterung: Die beiden Häuser standen noch: „Georg Holderied fiel mir, ich höre noch heute, wie unsere Stahlhelme zusammenklapperten, buchstäblich um den Hals […] ‚Gott sei Dank‘, diese drei Worte kamen zuinnerst aus dem Herzen, jedes Wort in seiner vollen Bedeutung.“ Zu sehen war jedoch auch, dass die Häuser Schneider, Mauthe, Wolber und Wößner vollständig zerstört worden waren. Als er sein Elternhaus erreichte, sah er, dass seine Familie unverletzt geblieben war. Seine Eltern und eine seiner Großmütter waren bereits mit der Beseitigung der Glasscherben und zerstörten Dachziegel beschäftigt.
Auf der Straße bahnten sich das Rote Kreuz, die Feuerwehr, die Technische Nothilfe, die Polizei und ein Leichenwagen den Weg durch die Trümmer. In den nächsten Stunden stellte sich heraus, wer zu Tode gekommen war: „Alle Menschen zeigten sich zutiefst betroffen. Man kannte ja Jeden vom täglichen Miteinander. Anteilnahme und Hilfsbereitschaft waren riesengroß.“

Die zerstörten Häuser wurden nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut. Der Schmerz, den die Menschen, die ihre Familie und ihre Heimat verloren haben, war jedoch unermesslich.

Beim Wiederaufbau des Hauses Wößner entdeckten Bauarbeiter im Sommer 1951 einen mittelschweren Blindgänger. Dieser wurde von einem Entschärfungsspezialisten entfernt. Beim Bau einer Garage stieß ein Baggerfahrer im Herbst 2011 auf eine weitere, nicht detonierte Bombe. Der 250 Kilogramm schwere Sprengsatz wurde von zwei Spezialisten entschärft und ist heute im Stadtarchiv Schramberg zu sehen.

Am 10. September 2011 stößt ein Baggerfahrer in der Tiersteinstraße auf eine scharfe Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg.
Spezialisten haben den Zünder entfernt und der Baggerfahrer hievt die entschärfte Bombe aus der Baugrube. Archiv-Fotos: him

Eine zum 75. Jahrestag geplante Gedenkstunde am heutigen Samstag kann wie alle anderen städtischen Veranstaltungen derzeit nicht stattfinden.

Info: Der Autor Robin Wußler hat im vergangenen Jahr am Gymnasium Schramberg das Abitur abgelegt und arbeitet derzeit in einem Freiwilligen Sozialen Jahr Kultur im Stadtarchiv und Stadtmuseum Schramberg mit.

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NRWZ-Redaktion Schramberg
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