„Der nächste Tagesordnungspunkt hat es in sich“, leitete Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr im Verwaltungsausschuss ein. Es ging um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulbereich. Das sei „ein Thema, das uns noch stark beschäftigen wird“.
Schramberg. Diesen Rechtsanspruch hatte die große Koalition im September 2021 beschlossen, das Gesetz trat im Oktober 2021 in Kraft. Der Bundesrat hat nach Beratungen und Änderungen im Vermittlungsausschuss zugestimmt. Die Länder und die Kommunen müssen es nun schrittweise ab Schuljahr 2026/27 umsetzen. Und was sich auf dem Papier so gut anhört, das bringt in der Praxis große Probleme mit sich.
Das machten die Abteilungsleiterin Kerstin Flaig und ihr Kollege Marcel Dreyer im Ausschuss deutlich. Sie berichteten über den aktuellen Stand der Vorbereitungen. In einem 36 Seiten langen Arbeitspapier haben sie ein Konzept erarbeitet, wie dieser Rechtsanspruch umgesetzt werden kann.
Räume und Personal fehlen
Es sei ein Arbeitspapier, das weiterentwickelt werde, „denn viele Fragen sind noch nicht geklärt“, betonte Flaig. Sie ist für die Schramberger Kitas und Schulen verantwortlich. Bisher biete die Stadt eine Ganztagsbetreuung von acht Stunden an vier Tagen an. Der Rechtsanspruch gilt dann für fünf Tage. Klingt nicht so kompliziert, ein Tag mehr. Ist es aber. Es fehlt an qualifiziertem Personal, an ausreichenden Räumen und am Geld.
Weil der Bund nicht in die Bildungshoheit der Länder eingreifen will, ist die Ganztagsbetreuung über die Jugendhilfe geregelt. Dafür ist der Landkreis zuständig. Also: „Der Rechtsanspruch besteht gegen den Landkreis“, erläutert Flaig. Doch der hat bisher nichts damit zu tun. Die Ganztagsbetreuung organisierten die Kommunen als Schulträger.
Wie viele Kinder werden betreut werden?
So soll es auch bleiben und die Schulen sollen mit dem Schulträger, also der Stadt, einen Kooperationsvertrag abschließen. Ob die Eltern die Ganztagsbetreuung in Anspruch nehmen oder nicht, ist ihre Entscheidung. Wie viele es machen werden? Fachleute schätzen, dass es zehn bis 20 Prozent mehr werden als bisher. In den kleineren Kommunen wird die Ganztagsbetreuung bisher oft nicht angeboten, weil dort die Eltern keinen Bedarf haben.
Anders in Schramberg-Tal und auf dem Sulgen. An der Berneckschule sind 70 Prozent der Kinder im Ganztagsbereich, weitere 17 Prozent nutzen das Angebot der „Verlässlichen Grundschule“. In Sulgen sind 22 Prozent im Ganztag, 43 Prozent in der „Verlässlichen Grundschule“. Auch an der Peter-Meyer-Schule nehmen 43 Prozent der Schülerinnen und Schüler Zusatzangebote in Anspruch. In Waldmössingen nutzen knapp 30 Prozent ergänzende Betreuungsangebote, in Tennenbronn fast die Hälfte.
Nur Schramberger Kinder oder auch aus dem Umland
Wie das beim Ganztagsangebot aussehen wird, sei schwer abzuschätzen, so Flaig. Auch ist unklar, ob es ausreicht, in Sulgen und Schramberg den Ganztag anzubieten. Es muss in „zumutbarer Entfernung“ ein solches Angebot geben. „Was ist zumutbar?“ Auch die Interkommunale Abstimmung mit den Nachbargemeinden sei nötig. „Wir wollen die Standorte Sulgen und Berneckschule im Tal ausbauen“, betont Flaig. Für die Absprachen sei das Team der Stadt auf den Landkreis zugegangen, berichtet OB Eisenlohr.
Die Stadt wolle weg vom Status Quo der Betreuung: Schule soll Lebensraum für Kinder sein, versichert Flaig. Um das zu schaffen, brauche es qualifiziertes Personal. Die vorhandenen Mitarbeitenden müsse man qualifizieren.
Bisher betreuten sie von 12 bis 14 Uhr. Das sei wenig attraktiv. In Zusammenarbeit mit den Schulen sollen die Mitarbeitenden längere Arbeitszeiten nämlich bis 16 Uhr angeboten bekommen. Flaig erhofft sich so „mehr Stabilität“. Man müsse aber jetzt schon alles daransetzen, genügend Personal zu gewinnen und zu halten.
Ferienbetreuung
Unklarheiten bestehen auch noch bei der Ferienbetreuung, so Dreyer. Offen sei, ob die Kinder verpflichtet seien daran Teil zu nehmen. Jedenfalls müssen die Kommunen auch an zehn von13 Ferienwochen an fünf Tagen eine Acht-Stunden-Betreuung gewährleisten.
Bisher biete das JUKS mit Kooperationspartnern auch schon in zehn Ferienwochen eine Ferienbetreuung an. Im letzten Jahr waren es insgesamt 765 Plätze. Dreyer hat hochgerechnet: Für die Ganztagsbetreuung müssten dreieinhalb Mal so viele Plätze sein: 2920 im Jahr 2030. Offen ist, wer die Kosten dafür tragen soll. Bisher war die Teilnahme von der Anmeldung der Eltern abhängig, wie soll das künftig sein? Woher sollen die Betreuerinnen und Betreuer kommen? Viele offene Fragen.
Wo bleibt die Zeit zum Quatsch machen?
Aber auch grundsätzlich ist Dreyer skeptisch. Die „Permanentbetreuung“ der Kinder stehe im Widerspruch zum Ziel der Entwicklung zum selbstständigen Menschen. “Die Kinder haben dann weniger Ferien als Arbeitnehmer.“ Für Kinder sei es wichtig, auch mal allein in den Wald oder in die Stadt zu gehen, “Quatsch zu machen“. Dreyer sorgt sich, die Kinder würden „überbetreut“.
Bisher biete das JUKS³ eine hohe Qualität der Betreuung. „Was jetzt kommt, ist ein Systemwechsel. Es wäre gut, wenn wie vom Land ein paar Anhaltspunkte bekämen“, findet Dreyer.
Frechheit
CDU-Sprecher Thomas Brantner sprach von einer „Mammutaufgabe für die Kommunen, die fast nicht leistbar ist“. Er sah neben der Personalfrage auch das Platzproblem und befand: „Es ist eine Frechheit, das den Kommunen aufs Auge zu drücken.“ Wenn die Bundesregierung das wolle, dann solle sie auch bezahlen. Er fragte, was passiere, wenn die Umlandgemeinden ihre Ganztagskinder alle nach Schramberg schicken.
Tanja Witkowski, Sprecherin von SPD-Buntspecht und geschäftsführende Schulleiterin sah den Raumbedarf als ein „Riesenthema, das hohe Kosten bedeutet“. Da sei überhaupt kein Land in Sicht. Sie denke, die Stadt werde bei der Ganztagsschule „irgendwie anfangen müssen und es dann im laufenden Betrieb weiterentwickeln“.
Kosten ungewiss
Auf die Frage von Thomas Brugger (CDU) nach den Kosten entgegnete Dreyer das hänge von vielen Faktoren ab. Welche Qualität der Betreuung sei gewünscht? Welche Räume brauchen wir? Zum Personal stellte er lapidar fest: „Wir können nicht jeden nehmen, der nicht bei Drei auf den Bäumen ist.“
Lob für die Vorlage und den Vortrag gab es vom Sprecher der Freien Liste, Udo Neudeck. Umso harscher seine Vorwürfe an die Politik: Das sei ein Hauruck-Verfahren. Die Kommunen hätten jetzt die Probleme. „Wenn man genauer hinschaut, entdeckt man viele Fallstricke.“ Es sei auch frech zu sagen, wenn kein Personal da sei, „dann sollen es die Vereine machen.“
Ralf Rückert (Freie Liste) schlug vor, sich das Offenburger Modell zur Ganztagsbetreuung anzuschauen. Dort gibt es in den Kitas Kernzeiten von sechs bis sieben Stunden und anschließend bis zu zwei Stunden Spiel- und Betreuungszeit mit angelernten Kräften eines externen Anbieters.
Auch Hilmar Bühler von den „Aktiven Bürgern“ lobte den „super Vortrag“. Er forderte, dass das JUKS³ Mini-Schramberg weiter anbieten müsse. Er fragte, ob das nicht nur alle vier Jahre und dann nicht nur zwei, sondern sechs Wochen möglich wäre. Der Aufwand für Mini-Schramberg sei enorm, entgegnete Dreyer. Mini-Schramberg dauere sechs Tage, gut 500 Kinder könnten teilnehmen. In den Jahren dazwischen biete das JUKS kleinere Projekte mit 150 bis 300 Plätzen an. Hinzu komme der Bauspielplatz mit 100 Plätzen.
Die Kinder sind fertig
Gertrud Nöhre (SPD/Buntspecht) schließlich taten die Kinder leid. Die seien oft bei der Ganztagsbetreuung am Nachmittag „einfach nur fertig. Grundschulkinder brauchen doch auch Rückzugsmöglichkeiten.“
Der Ausschuss nahm den Bericht zur Kenntnis Er beschloss, die Verwaltung zu beauftragen, sowohl in Sulgen als auch in der Talstadt die Ganztagsschule vorzubereiten. Entsprechende Vereinbarungen soll die Verwaltung mit den beiden Schulen schließen.