Vergiftet: Beziehungsdrama vor Gericht

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In einem Punkt waren sich gleich alle Beteiligten einig: Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und Verteidiger Ulrich Müller-Arenz: „So einen Fall haben wir noch nie erlebt.“

Eine 29-jährige Frau aus einem Schramberger Teilort sitzt auf der Anklagebank, etwas pummelig, dunkelbrauner Pferdeschwanz, dezentes Piercing. Sie soll ihrem damaligen Freund im vergangenen Sommer vier Mal vergiftete Vesperbrote „ins Geschäft“ gebracht haben. Ein halbes Jahr zuvor hatte die Polizei bei einer Durchsuchung ihres Zimmers ein ganzes Waffenlager mit illegalen Waffen wie Wurfsternen, Schlagringen, eine Kurzwaffe und mehrere unerlaubte Messer beschlagnahmt. Außerdem haben die Beamten gleich noch acht Cannabispflanzen einkassiert. Wegen etlicher Verstöße gegen das Waffengesetzes und wegen gefährlicher Körperverletzung muss sie sich nun verantworten.

„Ich wollte ihn nicht umbringen“

Richter Heuer fokussiert sich auf die Vergiftungen des damaligen Freundes, geschehen mit einem Gift, das sich offenbar im Internet leicht beschaffen lässt.  Er fragt die junge Frau, ob es stimme, was die Staatsanwältin ihr vorwerfe. „Leider, ja“, sagt sie fast flüsternd. Sie habe sich das Gift über eBay besorgt und sich im Internet informiert, wie man es benützt und welche Folgen es hat. „Ich habe ihn aber nie umbringen wollen“, versichert sie.

Dass das Leben des jungen Mannes „an einem seidenen Faden“ hing, bestätigt später eine eigens aus München angereiste Gutachterin. Aus einem Fläschchen habe sie das Giftpulver auf ein Brot gestreut und dann Schokoladencreme drüber geschmiert. Das Brot habe sie ihm zum Vesper in seine Firma bei Rottweil gebracht. Warum sie das gemacht hat, will Richter Heuer wissen. „Das war total bescheuert“, meint sie, „ich weiß es nicht.“ Und als Heuer nachbohrt: „Ich wollte, dass er sich auch so schlecht fühlt wie ich.“

Es habe öfter Streit gegeben, weil er Verabredungen nicht eingehalten habe, da habe er sie enttäuscht. Heuer will wissen, weshalb sie weiter gemacht habe. Nach dem ersten Mal  Anfang Juni 2017 musste der Freund in ärztliche Behandlung, beim zweiten Mal am 29. Juni sogar ins Oberndorfer Krankenhaus. Nach der  dritten Giftattacke am 5. Juli ließ seine Hausärztin ihn ins Schwarzwald-Baar-Klinikum bringen – und selbst danach brachte sie ihm am 21. Juli noch einmal ein vergiftetes Pausenbrot.

Sie habe doch wissen müssen, was sie da anrichtet, meint Heuer. „Ich weiß nicht, was mich da geritten hat.“ Wie es um die Beziehung stand, will er weiter wissen. Sie habe vor den Giftattacken Schluss gemacht, erzählt sie. Das mache doch keinen Sinn, findet nicht nur Richter Heuer. Danach seien sie freundschaftlich verbunden geblieben.

 Schaurige Bilder in Whatsapp-Gruppe

Aufgeflogen ist das Waffenlager, weil die junge Frau in einer Whatsapp-Gruppe Bilder von den Waffen und ihrem  blutverschmierten Arm verbreitet hatte. Das berichtet ein Polizeibeamter. Er sei Jugendleiter beim Fußball und einer seiner Jugendlichen habe ihm die Bilder gezeigt und gefragt, was man da tun solle. Die Begleittexte seien heftig gewesen. Von Grabsteinen für die Eltern ihres Freundes  („Dreckserzeuger“) war da unter anderem die Rede. Er habe die Bilder und Texte dokumentiert  und eine Anzeige erstattet.

Aushang am Gerichtssaal

Daraufhin hat die Polizei die Schule besucht und die Wohnung der jungen Frau, berichtet ein weiterer Polizeibeamter als Zeuge. Das Zimmer sei voller Pflanzen gestanden, man habe kaum hinein gelangen können. Die Waffen lagen in einem Schrank, diese und die Cannabispflanzen hätten sie mitgenommen. Auch Chemikalien hätte man gefunden. Sie habe eigene Böller herstellen wollen, habe die Angeklagte dazu erklärt.

Ob die Polizei auch präventiv aktiv geworden sei, fragt Richter Heuer. Ja, er habe der Frau Vorhaltungen gemacht und das Ordnungsamt der Stadt Schramberg informiert. Es sei aber nichts geschehen. „Vielleicht ist zwischenzeitlich etwas passiert.“  Bei der Vernehmung hätte die Frau ihm erklärt, sie habe ihren Freund von sich abhängig machen wollen, „damit er von seinen Eltern wegkommt“. Der Verteidiger gerät ins Staunen, er hält seine Mandantin offenbar für gefährlich: „Wenn das in Bayern wäre, säße sie in Untersuchungshaft…“

„Schlohweiß im Gesicht“

Die Hausärztin des Giftopfers schildert die Symptome des jungen Mannes: Erbrechen, Herzrasen, Magenkrämpfe. „Er war schlohweiß im Gesicht.“ Er habe starke Schmerzen gehabt und sicher auch große Ängste ausgestanden. Sie habe auf Magen-Darmgrippe getippt. Beim zweiten Mal sei er in wesentlich schlechterem Zustand gewesen, deshalb habe sie ins Krankenhaus eingewiesen.  Aber auch dort  diagnostizierte man Magen-Darm. Kein Wunder, so die medizinischen  Sachverständigen. Das verwendete Gift sei äußerst selten, da könne man nicht drauf kommen.

„vegane Singles“

Über die Vergiftungsattacke hatte die Angeklagte in einem Facebook –Chat in einer Gruppe „vegane Singles“ mit einem jungen Mann aus dem Raum Stuttgart ausgetauscht.  Richter Heuer liest aus den Chatprotokollen vor, in denen die Angeklagte sich ausgiebig über die Vorzüge des verwendeten Giftes auslässt. Er habe den Eindruck gehabt, dass seine Chat-Partnerin psychopathisch sei. „Ich dachte, vielleicht vergiftet sie mich auch.“ Schließlich ist er zur Polizei gegangen. „Sie haben möglicherweise durch ihr vorbildliches Verhalten einem Menschen das Leben gerettet“, lobt Richter Heuer den Zeugen.

Sitzungssaaal 1

Der damalige Freund, ein 25-jähriger aus dem Rottweiler Umland, berichtet als Zeuge, er habe von der Polizei von den Giftanschlägen erfahren. Er sei dann zu seiner Freundin gefahren und die habe sich entschuldigt. Ihm fällt die Aussage sichtlich schwer, Heuer muss eine Pause machen. Heuer wundert sich, weshalb der 25-Jährige trotz der Giftanschläge die intime Beziehung zur Angeklagten fortgesetzt hat. „Ich habe eine Weile gebraucht, bis mir alles klar war.“

Nach und nach kommt heraus, dass es die Angeklagte sehr gestört hat, dass ihr Freund  bei seinen Eltern Fleisch isst. Da habe sie „Rabatz gemacht“ und er habe „Glück gehabt, wenn ich keine gefangen habe“.  Ob sie ihn vielleicht bestrafen wollte, fragt Heuer. „Das kann man so sagen.“

Näherungsverbot für die Ex

Das Verhältnis seiner Freundin zu seinen Eltern sei sehr angespannt gewesen. Auch seine Eltern seien sehr gegen die Beziehung gewesen, weil er kaum noch nach Hause gekommen sei. Die intime Beziehung zu ihr sei bis Ende Oktober etwa weiter gegangen. Damals habe er sich in psychosomatische Behandlung begeben müssen. Inzwischen hat er ein Näherungsverbot gegen die Ex erwirkt.

Für den psychiatrischen Gutachter ist die Angeklagte zwar in ihrer Persönlichkeit gestört, aber er sehe “keine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit“. Die Diagnose sei nicht so einfach. Die junge Frau sei emotional instabil,  sie habe vieles angefangen, nichts abgeschlossen. Derzeit sei sie ohne Arbeit. In der Schule sei bei ihr ADHS festgestellt worden, sie habe Ritalin genommen. Sie leide unter Höhenangst, könne die Folgen ihres Tuns nicht abschätzen.

„Jemand ohne Persönlichkeitsstörung macht doch sowas nicht“

Sie sei zwei Mal kurz in der Psychiatrie gewesen, einmal weil sie volltrunken war, das andere Mal weil sie eine hohe Dosis eines Antidepressivums geschluckt habe. „Es gibt keine langjährige psychiatrische Anamnese.“ Ihre Kriminalitätsprognose sei nicht schlecht, so der Gutachter. Das Risiko, wieder etwas Kriminelles zu machen sei leicht erhöht bis mittel. Er rate ihr aber dringend zu einer Therapie, um dieses Risiko zu senken.

Für Richter Heuer ist das schwer nachzuvollziehen: „Jemand ohne Störung macht so etwas doch nicht.“ Es bestehe ein Missverhältnis zwischen Anlass und Tat. Sie lasse keinerlei Empathie für ihr Opfer erkennen. Der Gutachter bleibt aber dabei, trotz der vorhandenen Persönlichkeitsstörung könne er eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ im Sinne von Paragraf 21 Strafgesetzbuch nicht feststellen.  Eine tiefenpsychologische Therapie müsse sich über Jahre hinziehen, damit die Angeklagte ihre Persönlichkeitsstörung überwinden könne.

Schließlich schaltet sich ihr Anwalt ein und betont, das Verhalten seiner Mandantin sei absolut strafwürdig. „Sie sehen hoffentlich ein, dass Sie psychiatrische Hilfe brauchen. Es geht doch nicht einfach jeder her und vergiftet jemand anderes?“ – „Ich habe eimerweise geheult“, meint die junge Frau kleinlaut.

Die Richterbank. Fotos: him

Ein Urteil will Heuer „nicht übers Knie  brechen“. Er wolle gründlich nachdenken, wie  dieser außergewöhnliche Fall gelöst werden kann. Die Plädoyers und das Urteil folgen am kommenden Mittwoch.

Nachtrag: Weil Richter Heuer erkrankt ist, ist die nächste Verhandlung mit Urteilsverkündung auf Montag, 19. November verschoben worden.

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.