Die Talstadtumfahrung für Schramberg ist für die Verantwortlichen seit Jahrzehnten ein Problem. Seit 2016 hat es das Projekt immerhin wieder in den „Vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans geschafft. Anfang Februar kam eine Meldung aus dem Regierungspräsidium, dass man bis 2025 den „ersten großen Meilenstein“, nämlich die technische Vorplanung, abschließen möchte. Die hierfür erforderliche Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) liege vor.
Das Regierungspräsidium Freiburg hatte 2018 schon angekündigt, dass bis 2025 vorgeplant werde. In einer Fußnote aber angemerkt, dass bei „Maßnahmen mit einem niedrigen NKV (2,2) (Nutzen-Kosten-Verhältnis, die Red.) in topografisch anspruchsvollem Gelände“ eine Grundlagenermittlung zeitnah durchzuführen sei. Was das bedeutet, hat Julia Pieper, Pressesprecherin des Landesverkehrsministeriums der NRWZ erläutert: „Ein Projekt ist unwirtschaftlich, wenn das NKV unter 1 fällt. Das NKV ist im Rahmen des Planungsprozesses bei zunehmender Planungstiefe immer wieder zu prüfen.“
Als der Bundestag den Bundesverkehrswegeplan beschlossen hat, lagen die Kosten für die Talumfahrung bei 116,9 Millionen Euro. Inzwischen geht das Regierungspräsidium Freiburg von etwa 160 Millionen Euro aus. Das hätten die Fachleute „im Zuge der jetzt abgeschlossenen Grundlagenermittlung“ errechnet. Dabei hätten sie „neben der Machbarkeit, auch die Kosten für die bautechnisch und sicherheitstechnisch erforderlichen Maßnahmen bewertet“, so Pieper.
Keine neue Nutzen-Kosten-Berechnung
Eine neue Nutzen-Kosten-Berechnung habe es aber nicht gegeben, das bestätigen sowohl das Bundesverkehrsministerium, das Landesverkehrsministerium als auch das Regierungspräsidium. Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) erläutert dazu auf Nachfrage der NRWZ, das Ministerium habe „die zuständige Straßenbauverwaltung des Landes Baden-Württemberg gebeten, bei den weiteren Planungsschritten besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der Kosten zu legen. Eine neue Nutzen-Kosten-Berechnung wird erst bei zunehmendem Detaillierungsgrad der Planungen erstellt.“
Das erstaunt, denn ganz offensichtlich haben sich die Bedingungen zum Bau der Talstadtumfahrung entscheidend verändert.
Kostenprognose von 117 Millionen auf 160 Millionen Euro gestiegen
Die Kosten sind seit Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans 2016 in vier Jahren von 117 Millionen auf 160 Millionen Euro gestiegen. Dennoch geht das Landesverkehrsministerium davon aus, „dass weiter eine NKV von ca. 2 erreicht wird“, so Pieper. Damit werde die Bauwürdigkeit der Talstadtumfahrung bestätigt. Tatsächlich berechnet hat man das NKV aber nicht, wie das BMVI ausdrücklich erklärt.
Beim Nutzen-Kosten-Verhältnis betrachten die Experten mehr als zehn Nutzenkomponenten: das reicht von einer Verbilligung der Transportkosten, über Ersparnisse beim Straßenerhalt, Unfallkosten, Transportzeitersparnis, Verminderung der Geräusch- und Abgasbelastung bis hin zur Zeitersparnis wenn schienengleiche Bahnübergänge beseitigt werden. Diese Nutzenkomponenten werden ins Verhältnis zu den zu erwartenden (Bau-)Kosten gesetzt. Nun sollte man vermuten, dass bei einer Kostensteigerung um 43 Millionen Euro, aber praktisch keiner Veränderung auf der Nutzenseite nachgerechnet wird. Das Landesverkehrsministerium sieht die Kostensteigerung locker, „da auch die Nutzenseite einer Preissteigerung unterliegt“.
Verkehr: statt 19.600 prognostizierter Fahrzeuge konstant 14.000 seit 2007
Auf der Nutzenseite, sagt das Bundesverkehrsministerium, sei ein Faktor hierbei „auch das aktuell prognostizierte Verkehrsaufkommen“. Da geht der Bundesverkehrswegeplan im „Prognosefall 2020 von 19.600 Fahrzeugen“ aus. Tatsächlich aber gezählt hat man an der Oberndorfer Straße im Jahr 2019 14.200 Fahrzeuge. Das sind 5.400 weniger als vorhergesagt – und in der Nutzenrechnung aufgeführt.
Macht nichts, sagt das Bundesverkehrsministerium: Maßgebend für die einheitliche Bewertung aller im BVWP 2030 enthaltenen Projekte sei die bundesweite Verflechtungsprognose für das Jahr 2030. „Demnach wird im Bereich der Dauerzählstelle Schramberg eine Verkehrsbelastung von rund 16.000 Kfz/24h im Jahr 2030 prognostiziert (ohne Ortsumgehung).“ Der Vergleich mit den aktuellen Verkehrsbelastungen von mehr als 13.000 Kfz/24h bestätige „die Plausibilität der Verkehrsprognose 2030 unter Beachtung der Prognosegenauigkeit“.
Das Bundesverkehrsministerium hat also selbst schon die ursprünglich vorhergesehene Zahl von 19.600 Fahrzeugen auf 16.000 zurückgenommen. Knapp 20 Prozent weniger Fahrzeuge als ursprünglich angenommen, müsste sich ja eigentlich im Nutzen-Kosten-Verhältnis nieder schlagen – würde man es denn berechnen.
Stickoxidbelastung stark rückläufig
Ganz aktuell kommt ein weiterer Nutzenfaktor hinzu, der sich gravierend geändert hat: Als der Bundestag den Bundesverkehrswegeplan verabschiedete, im Jahr 2015, dem Basisjahr für den Bundesverkehrswegeplan, lag die Stickstoffdioxidbelastung an der Messstelle Oberndorfer Straße mit 44 Mikrogramm noch über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft. Letztes Jahr lag der Wert bei 27 Mikrogramm pro Kubikmeter. Genau aus diesem Grund hat auch das Regierungspräsidium Freiburg gestern angekündigt, man werde die Umweltzone in Schramberg wieder abschaffen.
Wenn man diese Fakten betrachtet, würde man doch annehmen, in den Planungsbehörden würden die Experten ihre Taschenrechner zücken und nochmal das Nutzen-Kosten-Verhältnis ausrechnen, bevor sie sich an die konkrete Planung machen. Wenn sich die Grundvoraussetzungen für ein Projekt so wesentlich geändert haben, scheint das doch logisch.
Aber nein. Man plant erst nochmals fünf Jahre: „Eine erneute Berechnung des NKV erfolgt üblicherweise für die mit Abschluss der Vorplanung gefundene Zielvariante. Davon gehen wir auch hier im Projekt aus, wir streben dies für 2025 an“, erläutert Heike Spannagel, die Sprecherin des Regierungspräsidiums Freiburg, der NRWZ.
Was sagt die Wissenschaft?
Professor Udo Becker von der Universität Dresden hat in einem Aufsatz über das Nutzen-Kosten-Verhältnis im Bundesverkehrswegeplan erläutert: „Mit der Erarbeitung der Eingabedaten für vorgeschlagene Projekte eröffnen sich Möglichkeiten der Einflussnahme.“
Zahlentricks beim NKV
Das BMVI beobachte seit Jahrzehnten, dass die Investitionskosten „tendenziell zu niedrig angegeben werden“, so Becker Denn natürlich verbessere sich dadurch das damit errechnete NKV. Umgekehrt scheint ihm plausibel, wenn die Angaben im Zähler, also die Nutzenfaktoren „im Zweifel eher etwas übertrieben werden würden“.
Becker weist dabei darauf hin, dass „insbesondere in ländlicheren Räumen“ mit den realistischen Verkehrsmengen keine größeren Summen im Zähler des NKV zu erzielen seien. Die Verkehrsmengen allerdings schlügen sich beispielsweise direkt in Reisezeit- oder Transportkostensenkungen nieder.
Dass der Nutzen-Kostenfaktor keine in Stein gemeißelte Größe darstellt, zeigt auch eine andere Untersuchung. Die hatte die Industrie und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg bei Professor Wolfgang Echelmeyer von der ESB Business School in Reutlingen bestellt. Echelmeyer errechnete 2015 einen Schaden seit 1979 von exakt 233,327.034 Millionen Euro. Der entstünde, wenn die Talstadtumfahrung nicht gebaut werde oder sich der Bau andauernd verzögere.
Auch ein bezahltes Gutachten kommt nur auf ein schwaches Nutzen-Kosten-Verhältnis
Etwas realistischer waren 2017 die Berechnungen von Professor Wolfgang Schulz von der privaten Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Er hat im Auftrag der Industrie- und Handelskammer (IHK) und des Regionalverband Schwarzwald-Baar-Heuberg alle Ausbauvorhaben in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg untersucht, die im neuen Bundesverkehrswegeplan im „Vordringlichen Bedarf“ gelistet sind.
Schulz errechnete ein Nutzen-Kosten-Verhältnis für die Talumfahrung. Er kam auf einen Wert von gerade mal 1,9. Zum Vergleich: Die Umfahrungen von Villingen-Schwenningen und Spaichingen kämen auf NKVs von 8,6 und 7,2. Am besten schnitten mit 9,5 die Umfahrungen Zollhaus und Randen ab.