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„Streit um Winzigkeit“: Prozess endet mit Freispruch

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SCHRAMBERG /OBERNDORF (him) –  So einig sieht man Staatsanwaltschaft und Verteidigung selten. Nach gut zwei Stunden Verhandlung plädiert die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf Freispruch: „Es stehen Aussage gegen Aussage.“ Rechtsanwalt Dr. Jürgen Bett schließt sich einfach  an – und Richter Wolfgang Heuer verkündet kurz darauf. Der Angeklagte wird frei gesprochen, die Kosten trägt die Staatskasse.

Worum ging es vor dem Amtsgericht in Oberndorf? Eine recht handfeste Auseinandersetzung zwischen zwei Männern am 8. April beim Schramberger Narrenbrunnen. Am Ende hatte einer der Kontrahenten einen gebrochenen Fuß und einige andere Blessuren, der andere Würgemale am Hals und Schürfwunden.

Wegen gefährlicher Körperverletzung hatte  einer der beiden einen Strafbefehl über 120 Tagessätze aufgebrummt bekommen und dagegen Widerspruch eingelegt.  Richter Heuer sollte nun in der Hauptverhandlung klären, was denn an diesem Abend genau passiert ist. In der Anklage heißt es, der beschuldigte habe seinen Kontrahenten beim Narrenbrunnen „unvermittelt einen Faustschlag“ verpasst und später noch mit dem Fuß gegen den am Boden Liegenden getreten.

„Hundert Prozent stimmt das nicht“ sprudelt es aus dem 39-jährigen Angeklagten heraus. Er habe von dem späteren Opfer einen Anruf in seinem nahegelegenen Imbiss erhalten. Darin habe dieser erklärt, seine Frau solle „die Klappe halten“ und erklärt: „Ich komme rüber und mach‘ dich fertig.“ ihn aufgefordert, das zu klären. Was denn da zu klären war, will Richter Heuer wissen.

Er habe für den anderen 30 Pizzen zum Sonderpreis für türkische Kinder gebacken. Daraufhin habe  sich der türkische Elternverein im Internet für die großzügige Spende bedankt. Seine Frau habe dann auf Facebook geschrieben, die hätten die Pizzen zum halben Preis geliefert und nichts dran verdient, da könne der Verein sich auch bei ihnen bedanken.

"Streit um Winzigkeit": Prozess endet mit Freispruch
Amtsgericht Oberndorf. Foto: him

Der Anrufer sei mit dem Auto gekommen und er sei raus auf die Straße: „Das Lokal war voll, ich wollte nicht, dass da was passiert.“  Er sei  ganz friedlich und habe noch nie Probleme gehabt.

Als Zeugen sagen zwei Polizeibeamte aus. Am Abend hatten sie die beiden Streithähne fotografiert und befragt. Weitere Zeugen Fehlanzeige.  Erst später befragt ein Kommissar einen weiteren Zeugen, den ihm das Opfer genannt hatte. Der berichtet der Polizei von dem Tritt gegen den Kopf.

Als dritter Zeuge kommt das Opfer zu Wort. Er habe  dem Pizzabäcker das Geld bringen wollen, von „fertigmachen“ habe er nie gesprochen. Aber sofort habe ihn der Andere geschlagen. Ob da ein Tritt gegen den Kopf war? „Ich hatte auch einen Black out.“ Der Bruch des Fußgelenks allerdings war schwerwiegend: Zwei Operationen, acht Monate arbeitsunfähig.

Da auch die weiteren Zeugen sich nicht sicher waren, ob es Tritte gab oder nicht, macht Richter Heuer kurzen Prozess und verkündet den Freispruch. Die Ehre spiele in diesem Milieu eine enorme Rolle. Es sei schlimm, dass „eine solche Winzigkeit Anlass für eine folgenschwere Schlägerei“ wurde. Die Kosten  auch für den acht-monatigen Arbeitsausfall zahle die Gesellschaft, so sein bitteres Resümee.

 

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Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.