Streit um 50 Euro kommt Angeklagten teuer zu stehen

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Was sich da am 17. Oktober 2019 auf dem Schweizer-Parkplatz genau abgespielt hat, wir werden es wohl nie erfahren. Es gab allerdings ein blaues Auge,  einen ausgeschlagenen Zahn, etliche Blutergüsse und Schürfwunden und zwar auf beiden Seiten. Ordentlich Zoff hatten zwei Männer, weil der eine dem anderen 50 Euro zu viel für die Miete eines Raumes in einem Vereinsheim abgeknöpft haben soll. Es endete in einer Schlägerei, derentwegen sich der eine der beiden Streithansel am Montag auf der Anklagebank im Amtsgericht Oberndorf wieder fand.

Der Angeklagte, ein End-Vierziger aus Schramberg, soll sich, so die Staatsanwältin in ihrer Anklageschrift, an  besagtem Tag am frühen Abend auf dem Parkplatz an der Berneckstraße mit seinem Kontrahenten verabredet haben. Er habe ein Messer und eine Holzlatte bei sich gehabt und sei sofort auf den geschädigten losgegangen. Er habe die Latte auf dessen linke Schulter gehauen, worauf dieser ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzte. Beide gingen zu Boden. Der Angeklagte soll ein Messer gezückt haben und versucht haben auf den anderen einzustechen. Der nahm ihn in den Schwitzkasten, doch der Angeklagte habe das Messer wieder in die Hand bekommen. Schließlich seien beide wieder aufgestanden.

Der Geschädigte soll den Täter aufgefordert haben, aufzuhören. Doch dieser habe ihn mit dem Messer bedroht. Erst als das Opfer die Szene mit seinem Smartphone gefilmt habe, habe der Angeklagte aufgehört und sei weggegangen. Das Ganze, so die Staatsanwältin, sei eine schwere Körperverletzung und Bedrohung. Dafür erhielt der Angeklagte einen Strafbefehl, gegen den er Widerspruch eingelegt hatte. Nun also die Verhandlung im Amtsgericht Oberndorf.

Es war ganz anders – oder doch nicht?

Um  die Geschichte einordnen zu können, trug der Verteidiger die Version seines Mandanten vor. Danach hatte der Angeklagte mit der Freundin des Geschädigten am Tattag wegen der 50 Euro Kontakt über whatsapp. Die Freundin habe die 50 Euro zurückverlangt. Der Angeklagte sei damals Vorsitzender des Vereins gewesen. Die 100 Euro Miete seien satzungsgemäß gewesen. Nicht-Mitglieder hätten 100,  Mitglieder eben  50 Euro zu zahlen. Die Frau habe wüste Beschimpfungen gegen ihn, seine Frau und Kinder losgelassen. Sie habe ihm auch gedroht, wenn er die 50 Euro nicht zurückgebe, werde er Schmerzen erleiden. Ihr Partner sei total sauer. „Wenn er dich sieht, wird etwas Schlimmes passieren“, habe sie seinem Mandanten gedroht.

Dann habe das spätere Opfer ihn angerufen und vorgeschlagen, man solle sich am Schweizer-Parkplatz treffen. Weil er Angst gehabt habe, dass da noch andere Leute hinkommen, habe sein Mandant ein Holzstück mitgenommen. Ein Messer habe er nicht dabei gehabt. Nach einer kurzen Diskussion habe der andere ihm aufs Auge geschlagen, woraufhin er mit dem Holzstück zurückgeschlagen habe. Auf dem Boden liegend habe er dann das Messer gefunden. Er habe es genommen, um den anderen abzuwehren. Später habe er Drohbriefe bekommen, die wohl von seinem Gegner stammten.

„Elende Persönlichkeit“

Der Verteidiger möchte, dass eine Dolmetscherin die Whatsapp-Nachrichten von diesem Nachmittag für das Gericht übersetzt. Sie beginnt mit genauer Uhrzeit. „13.25 Uhr: Ihr könnt mir mein Leben nehmen, aber die 50 Euro bekommt Ihr nicht.“ – „Du bist so eine elende Persönlichkeit und Betrüger.“ –  „Ich werde Dir die 50 Euro aus der Nase ziehen!“

Irgendwann wird es der Richterin zu viel und sie bricht die Übersetzerei ab. Sie ruft  den Geschädigten als Zeugen auf. Noch bevor die Richterin die erste Frage stellt, erklärt er, seine Freundin sei am Morgen plötzlich erkrankt und könne leider, leider nicht kommen.

Geburtstagsfeier mit Folgen

Der Zeuge schildert den Vorfall im Wesentlichen so, wie es in der Anklageschrift steht. Auch er wohnt in Schramberg, ist deutlich jünger als der Angeklagte und ihm auch körperlich wohl überlegen. Er beschreibt die Vorgeschichte: Er habe ein Geburtstagsfest für sein Kind organisieren wollen und habe 100 Euro Miete für das Festzimmer bezahlt. „Später habe ich mitbekommen, dass andere nur 50 Euro zahlen.“ Seine Freundin habe sich betrogen gefühlt. Ihm sei es eher egal gewesen.

An dem Oktobertag habe ihn seine Freundin in der Firma angerufen und gesagt, der andere wolle zu ihr nach Hause kommen. Daraufhin habe er seinen Kontrahenten angerufen und gesagt: „Wir treffen uns  beim Schweizer Parkplatz.“

Dort habe dieser zwischen den Autos gelauert, sei auf ihn losgesprungen und habe ihn mit der Holzlatte geschlagen. Am Ende habe er die Polizei gerufen, die nach etwa 20 Minuten gekommen sei.

Wer hat was gesagt?

Ob er denn von der Whatsapp-Konversation seiner Freundin mit dem Angeklagten etwas wisse. Ja, etwas, sie habe sich bedroht gefühlt. Ob er den Angeklagten bedroht habe, will die Richterin wissen. „Nein, ich bin nicht so ein Mensch.“ Er habe ihn angerufen, um sich zu treffen, damit man die Sache „ganz normal klärt“. Wo das Messer denn hergekommen sei? Das habe der andere vorne in der Hose stecken gehabt. Auf Nachfrage der Richterin erzählt der Zeuge, dass er die 50 Euro später zurück bekommen habe. Der Angeklagte habe sich auch bei ihm entschuldigt, und er habe die Entschuldigung angenommen.

Saal 1 im Amtsgericht Oberndorf. Foto: him

Der Verteidiger bohrt nach, will wissen, weshalb die Freundin sich bedroht gefühlt habe. Ob er gelesen habe, dass sie geschrieben hat, er sei sehr sauer. Nein, das habe er nicht gelesen. Er sei auch gar nicht sauer gewesen. Das scheint dem Anwalt „realitätsfern“.

Die Fragen des Verteidigers gehen dem Zeugen zusehends auf den Geist. „Muss ich das beantworten?“, fragt er die Richterin. – „Ja, müssen Sie.“ Als er zum dritten Mal den Verlauf der Schlägerei  schildern soll, fragt er den Anwalt, ob er nicht genug deutsch kann. Das erzürnt wiederumden Anwalt, er bittet die Richterin den Zeugen zur Ordnung zu rufen. Schließlich hat auch der Anwalt keine Fragen mehr und die Richterin entlässt den Zeugen.

Das Messer bleibt verschwunden

Nach einer coronabedingten Unterbrechung zum Lüften kommt als Zeuge ein Polizeikommissar aus Schramberg, der den Fall damals bearbeitet hat. Als die Meldung von der Schlägerei im Revier eingegangen sei, sei er mit einem Kollegen zu Schweizer Parkplatz gefahren. Dort sei allerdings nur noch das Opfer gewesen. Er habe Verletzungen im Gesicht gehabt und geblutet.

Der Geschädigte habe ihm das Video gezeigt, auf dem der Angeklagte mit dem Messer in der Hand zu sehen war. Auch habe er noch Holzsplitter gefunden, die von der zerbrochenen Holzlatte gestammt hätten. Da der Beschuldigte ja klar war, seien sie zu seiner Wohnung gefahren, berichtet der Kommissar weiter. Bei der Staatsanwaltschaft habe er einen Durchsuchungsbeschluss beantragt, um die Tatwaffe möglicherweise zu finden. Der Beschuldigte allerdings wollte von einem Messer nichts wissen. Auch im Auto habe er keines gefunden.

Im Gespräch habe er über die Hintergründe des Streits erfahren, von den gegenseitigen Vorwürfen und Drohungen. Bei den weiteren Ermittlungen sei er auch im benachbarten Dönerladen gewesen. „Am Tattag wollten die Leute dort nichts gesehen haben“, berichtet der Zeuge. Tags drauf aber habe sich doch einer aus dem Döner erinnert, dass der Angeklagte zuerst geschlagen habe. Aber dieser Zeuge ist, o Wunder, auch nicht zur Verhandlung erschienen.

Ausweg: Einstellung gegen Geldauflage

Die Richterin hat die Faxen dick und macht der Staatsanwältin einen salomonischen Vorschlag: „Einstellung nach Paragraf 153a Strafprozessordnung?“ Diese nickt. Blick zum Verteidiger, der nickt auch. Der Paragraf 153a regelt die Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit und wenn kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht. Allerdings kann die Staatanwaltschaft Auflagen machen, etwa dass der Angeklagte im Gegenzug Geld an eine gemeinnützige Einrichtung zahlt. Die Richterin findet angesichts der doch erheblichen Vorwürfe 1500 Euro angemessen.

Der Verteidiger bittet um zwei Minuten, um sich mit seinem Mandanten zu besprechen. Nach wenigen Sekunden sind die beiden wieder im Gerichtssaal und stimmen zu. Dann stellt die Staatanwältin ihren Antrag, fordert aber 2000 Euro. Nun geht’s hin und her, ob das in Raten zahlbar wäre. Der Angeklagte will die Auflage mit monatlich 100 Euro abstottern. „Zu wenig“, so die Richterin, 500 müssten es schon sein. Schließlich einigen sich alle auf acht mal  250 Euro an den Kinderschutzbund.

Sichtlich erleichtert verlässt der Angeklagte das Gericht. Immerhin ist er nun weiter nicht vorbestraft.

 

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.