SCHRAMBERG (him) –Mit einem Antrag der „Aktiven Bürger“ vom vergangenen August befasst sich der Gemeinderat am Donnerstag. Damals hatte die Faktion beantragt, „in Schramberg Stolpersteine, sowie am Eingang zum Luftschutzbunker Schramberg/Geishalde eine Gedenktafel mit allen Namen und Heimatorten der Zwangsarbeiter, sowie der Gefallenen und Vermissten anzubringen“.
Das Thema stand bereits im Januar auf der Tagesordnung des Rats. Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr hatte den Punkt damals aber wegen der Coronapandemie kurzfristig abgesetzt.
Umfangreiche Vorlage
In einer ausführlichen Vorlage plädiert die Verwaltung für die vorgeschlagene Gedenktafel und die Stolpersteine. Weitere Gedenktafeln zur Erinnerung an die gefallenen und vermissten Soldaten des zweiten Weltkrieges sollen aber in diesem Zusammenhang nicht angebracht werden.
Schon seit 1945 habe sich in Schramberg „eine vielgestaltige Erinnerungskultur an die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges entwickelt“, heißt es in der Vorlage. Die Namen der gefallenen und vermissten Soldaten seien in allen Stadteilen auf Denkmälern verzeichnet. Schon 1946 entstand zur Erinnerung an sechs Opfer aus dem politischen Widerstand ein „Ehrenmal für die Opfer des Faschismus“ errichtet. Es war eines der ersten Denkmäler dieser Art in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt.
An Flüchtlinge und Heimatvertriebene erinnere seit 1956 das „Ostkreuz“ auf dem Paradiesberg. Am Bernecksportplatz gibt es seit 2002 eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Kriegsgefangenen, Fremd- und Zwangsarbeiter. Eine weitere Gedenktafel erinnert seit 2011 in Waldmössingen am „Zigeunerhäusle“ an die ermordeten Sinti und Roma. Seit 1997 beteiligt sich Schramberg Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar.
Die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus sei „für das historisch-politische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland von zentraler Bedeutung“, betont die Stadtverwaltung.
Stolpersteine zur Erinnerung an NS-Opfer
Zu den Stolpersteinen führt die Verwaltung aus, dass diese mittlerweile in vielen Städten nicht nur in Deutschland sondern ganz Europa verlegt worden seien.
Seit 1996/97 verlege der Kölner Künstler Gunter Demnig Stolpersteine. Dies sind 10 mal 10 Zentimeter große Pflastersteine, auf denen auf einer Messingtafel die wichtigsten Daten zum Schicksal eines NS-Opfers aufgeschrieben sind. „Sie werden im öffentlichen Raum in die Gehwege vor den Gebäuden eingelassen, in denen diese Personen ihren letzten (freiwilligen) Wohnsitz hatten.“
Bisher habe Demnig in Deutschland mehr als 75.000 „Stolpersteine“ verlegt. Sie erinnerten an NS-Opfer– nicht nur an Menschen, die ermordet wurden, sondern auch an Menschen, die überlebt haben.
Finanziert werden sie oft über Spenden und sind nach der Verlegung kommunales Eigentum. Derzeit kostet ein „Stolperstein“ 132 Euro.
Kritische Stimmen
Das Projekt habe sich zum größten, dezentralen Mahnmal der NS-Zeit entwickelt und eine internationale Bekanntheit erlangt. Die Verwaltung erwähnt aber auch, dass es auch kritische Stimmen gebe, die in „Stolpersteinen“ auf Gehwegen „keine würdige Art der Erinnerung“ sähen. Die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch etwa lehnt die Stolpersteine ab. Dann würde wieder auf den Opfern „herumgetampelt“.
In unserer Region gibt es bereits in Tuttlingen und Villingen-Schwenningen seit Herbst 2021 Stolpersteine. In Villingen-Schwenningen hatte es jahrelange Diskussionen für und wider gegeben.
Neue Intensität für Erinnerungsarbeit
Bevor Demnig einen Stolperstein verlegt, gehen ausführliche Recherchen zu den Schicksalen der zu Ehrenden voraus. Dadurch entstünden „oft bewegende, auch immer wieder weltweite Kontakte zu Angehörigen und Nachkommen von NS-Opfern und zwischen den Generationen“.
Bereits 2017 habe Sarah Glocker zwei „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die untergetauchte Jüdin Charlotte Dreyfuss aus Berlin und den Redakteur August Ludwig Ackermann angeregt. Ackermann hatte Charlotte Dreyfuss 1944 im Gebäude Berneckstraße 20 versteckt.
Die Verwaltung schätzt, dass in allen Stadt- und Ortsteilen etwa 100 Personen als NS-Opfer anzusehen seien, an die man mit „Stolpersteinen“ erinnern könnte. Die Recherchen zu ihrem Leben und das Verlegen der Stolpersteine könne etwa zehn Jahre dauern. Dies könne „der Erinnerungsarbeit in der Großen Kreisstadt Schramberg in den 2020er-Jahren eine neue Intensität geben“.
Ein einvernehmlicher Grundsatzbeschluss im Gemeinderat und den Ortschaftsräten sollte „das Fundament für dieses neue Kapitel in der Erinnerungskultur“ sein. Laut Vorlage soll sich das Stadtarchiv um die Recherche und die Organisation der Stolpersteine kümmern. Zur Finanzierung möchte die Stadt noch in diesem Jahr Spenden sammeln.
Gedenktafel für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Gewerbepark
Zur beantragten Gedenktafel schlägt die Verwaltung die ehemaligen Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg im Gewerbepark Junghans vor. Diese Bunker seien „ein zeitgeschichtliches Baudenkmal von überörtlicher Bedeutung“. Sie gehörten zu den größten Fabrikbunkeranlagen des Zweiten Weltkrieges in Baden-Württemberg.
An ihrem Bau seien wohl keine Zwangsarbeiter beteiligt gewesen. In den Bunkeranlagen mussten aber viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schuften. Bei Kriegsende seien es 2750 Menschen gewesen. Ihre Namen seien bisher nur kaum bekannt. Entsprechende Firmenunterlagen hätten die Firmen „bis in die 1990er-Jahre vernichtet“. Weil man die Namen in französischen, polnischen und russischen Archiven wohl nur mit erheblichem Forschungsaufwand herausfinden würde, schlägt die Verwaltung eine Alternative vor:
„Denkbar wäre aber eine Bild-Text-Tafel zur Geschichte der Luftschutzbunker und einer beispielhaften Darstellung der Geschichte des Zwangsarbeiters Iwan Iwanowitsch Kriworutschko (1926-2019) aus der Ukraine, der 1995 zum damals 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs von der Großen Kreisstadt Schramberg zu einem Besuch eingeladen war.“ Zu seinem Leben habe das Stadtarchiv Schramberg anschauliche Fotos und Dokumente.
Keine zusätzlichen Gedenktafeln für die Gefallenen
Die von den „Aktiven Bürgern“ geforderten Gedenktafeln zur Erinnerung an die gefallenen und vermissten Soldaten hält die Stadtverwaltung für nicht erforderlich. An diese werde „auf eine allgemein übliche und würdige Art und Weise“ erinnert.