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    Steigeunfall: „Aufprall hat das Auto verschüttelt“

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    Am dritten Verhandlungstag um den schweren Unfall an der Steige am frühen Morgen des 17. März 2018 hatten vor allem die Gutachter das Wort. Dabei ging es um den Unfallhergang, wie ihn der Dekra-Sachverständige anhand der Spuren analysiert hat. Außerdem hat eine Rechtsmedizinerin die Verletzungen des Nebenklägers geschildert. Ein psychiatrischer Gutachter hat erläutert, dass er eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten ausschließe.

    Zunächst aber hörte das Schwurgericht unter dem Vorsitzenden Richter Karlheinz Münzer  einen Schramberger Augenarzt. Dabei ging es um die Frage, ob das Lasern  an den Augen des Angeklagten zu einer Sehstörung in der verhängnisvollen Nacht hat führen können.

    Neues Gutachten soll Nachtsichtfähigkeit ermitteln

    Der Augenarzt berichtete, dass der Angeklagte von  2001 bis 2009 bei ihm in Behandlung gewesen sei, seither von anderen Ärztinnen und Ärzten der Klinik behandelt wurde. Wegen einer Laseroperation 2002 in der Türkei sei der Angeklagte zu Nachuntersuchungen bei ihm gewesen. Die  Sehstärke bei Tag habe zwischen 70 und 100 Prozent gelegen. „Für einen Führerschein wäre das ausreichend.“

    Nicht untersucht habe man die Nachtsichtfähigkeit. Da könnte es sein, dass beobachtete Vernarbungen nach dem Lasern an der Linse die Sehfähigkeit beeinträchtigen. Einen eindeutigen Nachweis könne dafür nur eine Spezialuntersuchung an der Uniklinik in Frankfurt erbringen.

    Nach einer Unterbrechung entschied das Gericht, dass ein augenärztliches Gutachten des behandelnden Augenarztes feststellen soll, ob es anatomische Komplikationen nach der Laser-OP gegeben hat, die tatsächlich das Sehen bei Nacht beim Angeklagten beeinträchtigen. Erst wenn dieses Gutachten keine Klarheit bringe, könnte die Untersuchung in Frankfurt nötig werden. Der Arzt soll sein Gutachten am 21. Oktober erstatten. Der Verhandlungstermin am 7. Oktober ist daher aufgehoben, und das Verfahren wird am 21. Oktober fortgesetzt.

    Als Zeuge sagte anschließend das Unfallopfer (und Nebenkläger) aus und berichtete von seinen zahlreichen Klinikaufenthalten. Zuletzt verbrachte er in diesem Sommer weitere Wochen in der Klinik: „Insgesamt hatte ich geschätzt 28 Operationen.“

    Akribische Spurensuche

    Zentral war an diesem dritten Verhandlungstag das Gutachten des Dekra-Unfallsachverständigen Frank Rauland. Er schilderte anhand von mehr als 100 Fotos, wie er das Unfallgeschehen  dokumentiert hat und welche Schlüsse er aus den Spuren gezogen hat. Demnach lag das Unfallopfer mit den Füßen Richtung Tal und dem Kopf Richtung Sulgen etwa zwei Meter vom Fahrbahnrand auf der Straße. Das Auto des Angeklagten sei mit etwa 50 bis 70 Stundenkilometern unterwegs gewesen.

    Wäre er viel langsamer gefahren seien die Schäden am Kühler und am vorderen Teil des VW Golf nicht zu erklären. Wäre er wesentlich schneller gefahren, hätte sich die Kleidung des Opfers nicht unter dem Auto verhakt, sondern wäre durchgerissen.  An der Fahrzeugfront sei ein Schuhabdruck deutlich erkennbar gewesen. „Die Beschädigung unterhalb der Kennzeichenebene war massiv.“

    An der Auffindestelle hat Rauland eine Blutspur  vom Vorderreifen etwa sechs Meter talwärts verfolgt. Daraus schließt er, dass das Auto diese sechs Meter nach unten gerollt war, nachdem sich der Körper des Nebenklägers gelöst hatte. Auf dem Asphalt  habe er deutliche Spuren der Kleidung des Unfallopfers festgestellt. Diese Schleifspur sei „ziemlich zielgerichtet, keine Schlangenlinie“. Das spreche eigentlich dagegen, dass dichter Nebel geherrscht habe, sonst wäre der Autofahrer  unsicherer hin und her gependelt.

    Unter dem Auto fanden sich nur im vorderen Teil Spuren des Opfers. Das spreche dagegen, dass das Opfer erst beim Rückwärtsfahren  sich vom Auto gelöst habe.

    Unfall nachgestellt

    Um den Unfall nachzustellen, hatte Rauland ein typgleiches Auto gemietet. Das Licht hat er gleich wie im Unfallauto eingestellt und auch die Sitzposition des Fahrers.  Auf die Straße legte er eine Puppe, bekleidet wie das Opfer beim Unfall. Nach seiner Analyse hätte der Fahrer bei Abblendlicht etwa aus 50 Meter Entfernung  erkennen können, dass auf der Straße „etwas, was dort nicht hingehört“, liegt. Bei Fernlicht aus etwa 80 Metern. Ab 15 Meter „hätte man den Eindruck gewinnen können, dass dort ein Mensch liegt“. Da wäre aber ein Zusammenprall kaum noch zu vermeiden gewesen. Der Anhalteweg hätte etwa 26 Meter betragen.

    Klar sei, der Fußgänger hätte nicht auf der Straße liegen dürfen. Wie es zu Sturz kam, könne er nicht sagen. Sicher sei aber, dass kein weiteres Fahrzeug beteiligt war. Alle  Spuren und Autoteile stammten vom Auto des Angeklagten. Zur Frage Nebel meinte der Sachverständige: Bei schlechterer Sicht wäre der Autofahrer langsamer gefahren. Er hätte deshalb auch bei Nebel anhalten können, wenn er das Opfer erkannt hätte.

    Er muss es gemerkt haben

    Rauland ist überzeugt, dass der Fahrer den Zusammenprall gemerkt haben muss, betrachtet man die Schäden  am Auto: „Da sind wir weit, weit weg von dem, was man bei kleineren Kollisionen sieht. Es gibt einen harten Schlag, einen lauten Knall.“  Das ganze Auto müsse es „verschüttelt“ haben. Das sei deutlich spürbar und anders als wenn man über ein Schlagloch fahre, meinte er später auf Nachfrage.

    Als er zurückgefahren sei, müsse der Angeklagte eigentlich gesehen haben, da ist etwas. Nur dann mache es auch Sinn, dass er nach links ausgewichen sei, als er nach oben weg fuhr. Dass sich das Opfer unter dem Auto an der Vorderachse verhakt habe, das sei ein Zufallsprodukt.  Dass unter dem Auto ein Mensch hängt, das müsse der Fahrer nicht unbedingt gemerkt haben, antwortet Rauland auf eine Frage des Richters. Aber das Streifgeräusch der abgerissenen Plastikteile, das höre man.

    Die Kühlwasseranzeige habe geleuchtet, als er das Auto nach dem Unfall begutachtet habe. Das könne aber erst später aufgeleuchtet haben, nicht schon gleich nach dem Unfall. Auf die Frage eines Schöffen nach dem Autoradio berichtete Rauland, als er den Zündschlüssel umgedreht habe, sei Musik in normaler Lautstärke gelaufen. Ob von CD oder aus dem Radio könne er nicht sagen.

    Außerdem berichtet er, dass bei Tempo 70 das Auto für die 320 Meter Schleifstrecke etwa 17 Sekunden brauchte, bei 50 Stundenkilometern wären es 23 Sekunden. Für den Vorsitzende Richter bleibt die Frage, wenn der Unfall vor dem Anruf bei der Zeugin um 4.05 Uhr passiert war und er in der Hohlgasse um 4.15 eintraf, was ist in der Zwischenzeit geschehen?

    Die Rechtsmedizinerin Professor Ulrike Schmidt von der Uniklinik Freiburg hatte das Unfallopfer am 21. März 2018, vier Tage nach dem Unfall als untersucht. Ein weiteres Gutachten schrieb sie nach einer Untersuchung Anfang August dieses Jahres.

    Eine Stunde länger hätte er nicht überlebt

    Beim ersten Gutachten dokumentiert sie die Vielzahl an Verletzungen Knochenbrüchen Hautabschürfungen und inneren Verletzungen, die des Opfer bei dem Unfall und durch das auf der Straße Schleifen erlitten hatte. Anhand von Fotos, die auch der Nebenkläger noch einmal sehen mochte, schilderte Professor Schmidt den Verfahrensbeteiligten die zahlreichen Verletzungen.

    Sie dokumentierte auch, dass durch den hohen Blutverlust die Notärzte  große Mengen an Kochsalzlösung und Blutkonserven gegeben hatten. Deshalb seien die späteren Blutproben nicht sehr aussagekräftig.  Eindeutig sei aber, dass das Opfer auf der Straße gelegen habe. Sonst hätte es an den Unterschenkeln typische Verletzungen gegeben. „Die Verletzungen waren lebensbedrohlich“, so Schmidt, „ wäre er eine halbe oder eine Stunde später gefunden worden, hätte er wohl nicht mehr gelebt.“

    Bei den Häusern im „Kühlloch“ war das Unfallopfer lebensgefährlich verletzt liegen geblieben. Das Gebäude links am BIldrand ist inzwischen abgebrochen. Archiv-Foto: him

    Die Rechtsmedizinerin berichtete auch im zweiten Gutachten von mehreren Komplikationen, die die zahlreichen Krankenhausaufenthalte  später verursacht hätten. Es werde wohl Verbesserungen im Gesamtzustand geben, „aber keine völlige Wiederherstellung“.

    Um die 2,5 Promille Alkohol im Blut des Opfers

    Um zu klären, weshalb der Mann auf der Straße lag, hat Professor Schmidt den Blutalkohol nach den Zeugenangaben berechnet und kam bei einer 0,7 Liter Flasche Wodka, die das Opfer demnach an dem Abend und in der Nacht getrunken hatte, auf einen Blutalkoholwert von  zwischen 2,3 und 2,9 Promille. Bei diesem Wert sei es nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die nicht regelmäßig exzessiv trinken, hinfallen und einfach liegen bleiben. „Das geht auch ohne Betäubungsmittel oder sonstige Substanzen.“

    Schmidt hatte auch den Angeklagten beziehungsweise dessen Blutwerte beurteilt. Die  Blutentnahme ergab keinen Alkohol und auch keine Spuren von Betäubungsmitteln. Auf  Medikamente habe man nicht getestet. Möglich sei, dass sich beim Fahrer die Müdigkeit aufgestaut habe. Andererseits konzentriere man sich ja auf einer solchen kurvenreichen Strecke besonders.

    Keine verminderte Schuldfähigkeit

    Chefarzt Roman Knorr vom Zentrum für Psychiatrie Reichenau sollte zu einer möglichen verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten Aussagen machen. Er hatte mit dem Angeklagten in diesen Sommer bei einem Interview  über seine Kindheit und Jugend und seine Zeit in Deutschland gesprochen.  Die beiden Trennungen von  seinen damaligen Ehefrauen hätten ihn depressiv gemacht. Deshalb sei er mehrmals ambulant und stationär in Behandlung gewesen.

    Andererseits sei ihm Arbeiten sehr wichtig, er sehe sich als gefühlsbetonten, eher ängstlichen, korrekten Menschen. Die Medikamente gegen seine Schlafstörungen könnten keine starke Sedierung verursacht haben. Von den vier Merkmalen, die zu einer verminderten Schuldfähigkeit führen könnten, läge seiner Ansicht nach keines vor, so Knorr.

    Offene Fragen

    Richter Münzer fragt, wie der Angeklagte mit seiner Ängstlichkeit wohl gehandelt hätte, wenn er sieht, da liegt jemand schwerst verletzt oder gar tot?  Knorr meint, er würde eher erstarren, innehalten. Der Angeklagte sei jemand, der „alles richtig machen“ wolle. „Es braucht verdammt viel, um von dieser Grundstruktur abzuweichen.“ Die Staatsanwältin hakt nach: „Halten Sie es für möglich, dass der Angeklagte anhält, sieht, was passiert ist und sich sagt: ‚Bloß weg!‘“ Das hält Knorr für „wahnsinnig unwahrscheinlich.“

    Am Ende des dritten Tages bleibt für den Vorsitzenden Richter die Frage offen, weshalb der Angeklagte die beiden Frauen, die er zum Flughafen fuhr, anlog: „Es war nichts.“ Auch dass er den Schaden am Auto erst bei der Ankunft in der Hohlgasse bemerkt haben will, erfordere eigentlich eine weitere Erklärung. Nach einer Unterbrechung, in der Anwalt Bernhard Mussgnug mit dem Angeklagten sprach, kam – nichts.

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    Martin Himmelheber (him)
    Martin Himmelheber (him)
    ... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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    Am dritten Verhandlungstag um den schweren Unfall an der Steige am frühen Morgen des 17. März 2018 hatten vor allem die Gutachter das Wort. Dabei ging es um den Unfallhergang, wie ihn der Dekra-Sachverständige anhand der Spuren analysiert hat. Außerdem hat eine Rechtsmedizinerin die Verletzungen des Nebenklägers geschildert. Ein psychiatrischer Gutachter hat erläutert, dass er eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten ausschließe.

    Zunächst aber hörte das Schwurgericht unter dem Vorsitzenden Richter Karlheinz Münzer  einen Schramberger Augenarzt. Dabei ging es um die Frage, ob das Lasern  an den Augen des Angeklagten zu einer Sehstörung in der verhängnisvollen Nacht hat führen können.

    Neues Gutachten soll Nachtsichtfähigkeit ermitteln

    Der Augenarzt berichtete, dass der Angeklagte von  2001 bis 2009 bei ihm in Behandlung gewesen sei, seither von anderen Ärztinnen und Ärzten der Klinik behandelt wurde. Wegen einer Laseroperation 2002 in der Türkei sei der Angeklagte zu Nachuntersuchungen bei ihm gewesen. Die  Sehstärke bei Tag habe zwischen 70 und 100 Prozent gelegen. „Für einen Führerschein wäre das ausreichend.“

    Nicht untersucht habe man die Nachtsichtfähigkeit. Da könnte es sein, dass beobachtete Vernarbungen nach dem Lasern an der Linse die Sehfähigkeit beeinträchtigen. Einen eindeutigen Nachweis könne dafür nur eine Spezialuntersuchung an der Uniklinik in Frankfurt erbringen.

    Nach einer Unterbrechung entschied das Gericht, dass ein augenärztliches Gutachten des behandelnden Augenarztes feststellen soll, ob es anatomische Komplikationen nach der Laser-OP gegeben hat, die tatsächlich das Sehen bei Nacht beim Angeklagten beeinträchtigen. Erst wenn dieses Gutachten keine Klarheit bringe, könnte die Untersuchung in Frankfurt nötig werden. Der Arzt soll sein Gutachten am 21. Oktober erstatten. Der Verhandlungstermin am 7. Oktober ist daher aufgehoben, und das Verfahren wird am 21. Oktober fortgesetzt.

    Als Zeuge sagte anschließend das Unfallopfer (und Nebenkläger) aus und berichtete von seinen zahlreichen Klinikaufenthalten. Zuletzt verbrachte er in diesem Sommer weitere Wochen in der Klinik: „Insgesamt hatte ich geschätzt 28 Operationen.“

    Akribische Spurensuche

    Zentral war an diesem dritten Verhandlungstag das Gutachten des Dekra-Unfallsachverständigen Frank Rauland. Er schilderte anhand von mehr als 100 Fotos, wie er das Unfallgeschehen  dokumentiert hat und welche Schlüsse er aus den Spuren gezogen hat. Demnach lag das Unfallopfer mit den Füßen Richtung Tal und dem Kopf Richtung Sulgen etwa zwei Meter vom Fahrbahnrand auf der Straße. Das Auto des Angeklagten sei mit etwa 50 bis 70 Stundenkilometern unterwegs gewesen.

    Wäre er viel langsamer gefahren seien die Schäden am Kühler und am vorderen Teil des VW Golf nicht zu erklären. Wäre er wesentlich schneller gefahren, hätte sich die Kleidung des Opfers nicht unter dem Auto verhakt, sondern wäre durchgerissen.  An der Fahrzeugfront sei ein Schuhabdruck deutlich erkennbar gewesen. „Die Beschädigung unterhalb der Kennzeichenebene war massiv.“

    An der Auffindestelle hat Rauland eine Blutspur  vom Vorderreifen etwa sechs Meter talwärts verfolgt. Daraus schließt er, dass das Auto diese sechs Meter nach unten gerollt war, nachdem sich der Körper des Nebenklägers gelöst hatte. Auf dem Asphalt  habe er deutliche Spuren der Kleidung des Unfallopfers festgestellt. Diese Schleifspur sei „ziemlich zielgerichtet, keine Schlangenlinie“. Das spreche eigentlich dagegen, dass dichter Nebel geherrscht habe, sonst wäre der Autofahrer  unsicherer hin und her gependelt.

    Unter dem Auto fanden sich nur im vorderen Teil Spuren des Opfers. Das spreche dagegen, dass das Opfer erst beim Rückwärtsfahren  sich vom Auto gelöst habe.

    Unfall nachgestellt

    Um den Unfall nachzustellen, hatte Rauland ein typgleiches Auto gemietet. Das Licht hat er gleich wie im Unfallauto eingestellt und auch die Sitzposition des Fahrers.  Auf die Straße legte er eine Puppe, bekleidet wie das Opfer beim Unfall. Nach seiner Analyse hätte der Fahrer bei Abblendlicht etwa aus 50 Meter Entfernung  erkennen können, dass auf der Straße „etwas, was dort nicht hingehört“, liegt. Bei Fernlicht aus etwa 80 Metern. Ab 15 Meter „hätte man den Eindruck gewinnen können, dass dort ein Mensch liegt“. Da wäre aber ein Zusammenprall kaum noch zu vermeiden gewesen. Der Anhalteweg hätte etwa 26 Meter betragen.

    Klar sei, der Fußgänger hätte nicht auf der Straße liegen dürfen. Wie es zu Sturz kam, könne er nicht sagen. Sicher sei aber, dass kein weiteres Fahrzeug beteiligt war. Alle  Spuren und Autoteile stammten vom Auto des Angeklagten. Zur Frage Nebel meinte der Sachverständige: Bei schlechterer Sicht wäre der Autofahrer langsamer gefahren. Er hätte deshalb auch bei Nebel anhalten können, wenn er das Opfer erkannt hätte.

    Er muss es gemerkt haben

    Rauland ist überzeugt, dass der Fahrer den Zusammenprall gemerkt haben muss, betrachtet man die Schäden  am Auto: „Da sind wir weit, weit weg von dem, was man bei kleineren Kollisionen sieht. Es gibt einen harten Schlag, einen lauten Knall.“  Das ganze Auto müsse es „verschüttelt“ haben. Das sei deutlich spürbar und anders als wenn man über ein Schlagloch fahre, meinte er später auf Nachfrage.

    Als er zurückgefahren sei, müsse der Angeklagte eigentlich gesehen haben, da ist etwas. Nur dann mache es auch Sinn, dass er nach links ausgewichen sei, als er nach oben weg fuhr. Dass sich das Opfer unter dem Auto an der Vorderachse verhakt habe, das sei ein Zufallsprodukt.  Dass unter dem Auto ein Mensch hängt, das müsse der Fahrer nicht unbedingt gemerkt haben, antwortet Rauland auf eine Frage des Richters. Aber das Streifgeräusch der abgerissenen Plastikteile, das höre man.

    Die Kühlwasseranzeige habe geleuchtet, als er das Auto nach dem Unfall begutachtet habe. Das könne aber erst später aufgeleuchtet haben, nicht schon gleich nach dem Unfall. Auf die Frage eines Schöffen nach dem Autoradio berichtete Rauland, als er den Zündschlüssel umgedreht habe, sei Musik in normaler Lautstärke gelaufen. Ob von CD oder aus dem Radio könne er nicht sagen.

    Außerdem berichtet er, dass bei Tempo 70 das Auto für die 320 Meter Schleifstrecke etwa 17 Sekunden brauchte, bei 50 Stundenkilometern wären es 23 Sekunden. Für den Vorsitzende Richter bleibt die Frage, wenn der Unfall vor dem Anruf bei der Zeugin um 4.05 Uhr passiert war und er in der Hohlgasse um 4.15 eintraf, was ist in der Zwischenzeit geschehen?

    Die Rechtsmedizinerin Professor Ulrike Schmidt von der Uniklinik Freiburg hatte das Unfallopfer am 21. März 2018, vier Tage nach dem Unfall als untersucht. Ein weiteres Gutachten schrieb sie nach einer Untersuchung Anfang August dieses Jahres.

    Eine Stunde länger hätte er nicht überlebt

    Beim ersten Gutachten dokumentiert sie die Vielzahl an Verletzungen Knochenbrüchen Hautabschürfungen und inneren Verletzungen, die des Opfer bei dem Unfall und durch das auf der Straße Schleifen erlitten hatte. Anhand von Fotos, die auch der Nebenkläger noch einmal sehen mochte, schilderte Professor Schmidt den Verfahrensbeteiligten die zahlreichen Verletzungen.

    Sie dokumentierte auch, dass durch den hohen Blutverlust die Notärzte  große Mengen an Kochsalzlösung und Blutkonserven gegeben hatten. Deshalb seien die späteren Blutproben nicht sehr aussagekräftig.  Eindeutig sei aber, dass das Opfer auf der Straße gelegen habe. Sonst hätte es an den Unterschenkeln typische Verletzungen gegeben. „Die Verletzungen waren lebensbedrohlich“, so Schmidt, „ wäre er eine halbe oder eine Stunde später gefunden worden, hätte er wohl nicht mehr gelebt.“

    Bei den Häusern im „Kühlloch“ war das Unfallopfer lebensgefährlich verletzt liegen geblieben. Das Gebäude links am BIldrand ist inzwischen abgebrochen. Archiv-Foto: him

    Die Rechtsmedizinerin berichtete auch im zweiten Gutachten von mehreren Komplikationen, die die zahlreichen Krankenhausaufenthalte  später verursacht hätten. Es werde wohl Verbesserungen im Gesamtzustand geben, „aber keine völlige Wiederherstellung“.

    Um die 2,5 Promille Alkohol im Blut des Opfers

    Um zu klären, weshalb der Mann auf der Straße lag, hat Professor Schmidt den Blutalkohol nach den Zeugenangaben berechnet und kam bei einer 0,7 Liter Flasche Wodka, die das Opfer demnach an dem Abend und in der Nacht getrunken hatte, auf einen Blutalkoholwert von  zwischen 2,3 und 2,9 Promille. Bei diesem Wert sei es nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die nicht regelmäßig exzessiv trinken, hinfallen und einfach liegen bleiben. „Das geht auch ohne Betäubungsmittel oder sonstige Substanzen.“

    Schmidt hatte auch den Angeklagten beziehungsweise dessen Blutwerte beurteilt. Die  Blutentnahme ergab keinen Alkohol und auch keine Spuren von Betäubungsmitteln. Auf  Medikamente habe man nicht getestet. Möglich sei, dass sich beim Fahrer die Müdigkeit aufgestaut habe. Andererseits konzentriere man sich ja auf einer solchen kurvenreichen Strecke besonders.

    Keine verminderte Schuldfähigkeit

    Chefarzt Roman Knorr vom Zentrum für Psychiatrie Reichenau sollte zu einer möglichen verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten Aussagen machen. Er hatte mit dem Angeklagten in diesen Sommer bei einem Interview  über seine Kindheit und Jugend und seine Zeit in Deutschland gesprochen.  Die beiden Trennungen von  seinen damaligen Ehefrauen hätten ihn depressiv gemacht. Deshalb sei er mehrmals ambulant und stationär in Behandlung gewesen.

    Andererseits sei ihm Arbeiten sehr wichtig, er sehe sich als gefühlsbetonten, eher ängstlichen, korrekten Menschen. Die Medikamente gegen seine Schlafstörungen könnten keine starke Sedierung verursacht haben. Von den vier Merkmalen, die zu einer verminderten Schuldfähigkeit führen könnten, läge seiner Ansicht nach keines vor, so Knorr.

    Offene Fragen

    Richter Münzer fragt, wie der Angeklagte mit seiner Ängstlichkeit wohl gehandelt hätte, wenn er sieht, da liegt jemand schwerst verletzt oder gar tot?  Knorr meint, er würde eher erstarren, innehalten. Der Angeklagte sei jemand, der „alles richtig machen“ wolle. „Es braucht verdammt viel, um von dieser Grundstruktur abzuweichen.“ Die Staatsanwältin hakt nach: „Halten Sie es für möglich, dass der Angeklagte anhält, sieht, was passiert ist und sich sagt: ‚Bloß weg!‘“ Das hält Knorr für „wahnsinnig unwahrscheinlich.“

    Am Ende des dritten Tages bleibt für den Vorsitzenden Richter die Frage offen, weshalb der Angeklagte die beiden Frauen, die er zum Flughafen fuhr, anlog: „Es war nichts.“ Auch dass er den Schaden am Auto erst bei der Ankunft in der Hohlgasse bemerkt haben will, erfordere eigentlich eine weitere Erklärung. Nach einer Unterbrechung, in der Anwalt Bernhard Mussgnug mit dem Angeklagten sprach, kam – nichts.

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