Mit einer ausführlichen Erklärung des Angeklagten begann der zweite Prozesstag um den schweren Verkehrsunfall am 17. März 2018 an der Steige zwischen Schramberg Tal und Sulgen. Darin betonte der Angeklagte B., es sei ihm „ein dringendes und aufrichtiges Bedürfnis“ sich beim Nebenkläger A. V. dafür zu entschuldigen, dass er durch ihn schwer verletzt wurde. Die Erklärung hat sein Anwalt Bernhard Mussgnug aus Tuttlingen verlesen.
Im weiteren Verlauf des Prozesses kam auch das Opfer als Zeuge zu Wort. Er sagte, die Wochen und Monaten nach dem Unfall seien für ihn „die Hölle gewesen“. Er sei bis heute arbeitsunfähig, habe große körperliche und geistige Probleme. Er verstehe nicht, dass der Angeklagte nicht angehalten habe: „Dieser Mensch hat keine Ehre und keinen Stolz.“
Unfassbar
Mussgnug erläuterte, dass sein Mandant am ersten Tag schon eine Erklärung habe abgeben wollen, dass ihm das Verfahren aber so zugesetzt habe, dass er sich nicht richtig ausdrücken konnte. Deshalb verlese er die Einlassung seines Mandanten. Dieser hoffe, dass für den Nebenkläger „zumindest nachvollziehbar wird, was zunächst unfassbar scheint“. Er würde sehr gerne mit ihm außerhalb des Hauptverfahrens reden, wenn der Nebenkläger das zulassen sollte.
Er berichtet ,wie er sich mit seiner Bekannten verabredete, diese und ihre Tochter am frühen Morgen des 17. März zum Flughafen nach Stuttgart zu fahren. Er sei gegen 3.45 Uhr aus dem Haus gegangen, um nach Sulgen zu fahren. Er habe sich wenige Stunden hingelegt, aber nicht tief geschlafen und wohl auch ein Schlafmittel genommen.
Auf der Strecke habe dichter Nebel geherrscht und es sei sehr dunkel gewesen. Er habe plötzlich ein Ruckeln am Fahrzeug bemerkt und gedacht er sei über ein Schlagloch gefahren.
Ein Ast?
„Kurze Zeit später bemerkte ich, dass sich das Fahrzeug irgendwie anders verhielt. Ich dachte jetzt, dass ich eventuell über einen größeren Ast oder einen sonstigen Gegenstand gefahren sein muss und dieser sich noch am Fahrzeug befinden könnte. Ich dachte noch für einen Moment, dass es eine Anhalte-Falle sein könnte, und ich zum Anhalten gezwungen werden sollte“.
Er sei deshalb ein Stück weiter gefahren und habe dann erst gehalten „Ich traute mich nicht aus dem Auto.“ Dazu erklärte er, er sei sehr ängstlich und habe oft unbegründet Panik und Ängste. Schließlich habe er angehalten, sei wieder ein Stück zurückgefahren und dann in einem Bogen wieder geradeaus gefahren.
Da habe sich der vermutete Ast wohl gelöst. Er habe nicht gesehen was es war. Er habe zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass es ein Mensch gewesen sein könnte. Dafür habe er morgens um 4 Uhr auf einer nachts kaum befahrenen Strecke kaum Anhaltspunkte gehabt. Er habe kein Fahrrad oder Auto gesehen, was auf eine Person hätte hindeuten könne.
„Ich hätte mich gekümmert“
„Wenn ich einen Menschen erkannt oder damit gerechnet hätte, hätte ich doch sofort angehalten und mich selbstverständlich um diese Person gekümmert.“
Er sei weiter gefahren, habe bei seiner Bekannten und deren Tochter gehalten. Die Frauen hätten gesagt, am Auto klappere etwas. Er habe nachgeschaut und lose Plastikteile unter dem Auto entfernt. Sie hätten auch bemerkt, dass Wasser aus dem Auto tropft. Er habe sich geärgert, weil er deswegen vor einigen Tagen in der Autowerkstatt war.
Fahrt nach Stuttgart
Man habe beschlossen, mit dem Auto der Bekannten nach Stuttgart zu fahren, und er dann wieder nach Schramberg zurückkehren sollen. Er habe auf der Rückbank gesessen und sei wohl eingeschlafen.
Bei seiner Rückkehr habe er die Polizeibeamten bei seinem Auto gesehen. Er habe nicht im Entferntesten daran gedacht, das die Polizei wegen ihm dort sei. „Als die Beamten mir sagten, was geschehen sein soll, war ich geschockt, fassungslos, traurig und am Boden zerstört.“
Unerklärlich bis heute
Er sein in stationäre Behandlung gekommen. Er habe sich damals und könne auch heute sich „das alles nicht erklären“.
In einem Beweisantrag möchte der Verteidiger ein meteorologisches und ein Klimagutachten einholen lassen, um zu beweisen, dass zur Tatzeit im Unfallbereich plötzlich auch nur kurzzeitige Nebelschwaden und Nebelbänke vorhanden waren. Damit möchte der Anwalt beweisen, dass Die Sicht des Angeklagten ganz erheblich beeinträchtigt war und er das Unfallopfer nicht sehen konnte.
Die Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitzenden Richter Karlheinz Münzer will am Montag bekannt geben, ob diesem Beweisantrag stattgegeben wird.
Nebenkläger im Rollstuhl
Als erster Zeuge des Tages befragte das Gericht den Nebenkläger, der wie am ersten Prozesstag schon im Rollstuhl in den Sitzungssaal gekommen war. Münzer fragte den 29-jährigen Fachlageristen ob er noch irgendeine Erinnerung an den Unfall habe.
Das erste, was er wisse, sei, dass er als er aus dem Koma erwacht sei, nicht einmal die Hände bewegen konnte. Die Zeit danach sei „einfach die Hölle“ gewesen, Panikattacken, er habe kein Ruhe gefunden, sei mit Medikamenten vollgepumpt worden. Er habe ein halbes Jahr nur im Krankenhaus verbracht. „Ich habe drei Jahre verloren.“
„Sitzen ist Sch…“
Zwischendurch habe er ans Aufgeben gedacht. Erst im August sei er erneut operiert worden. „Sitzen ist Sch…., Stehen ist beschissen. Ich bin behindert für mein Leben.“
Er wohne bei seinen Eltern, die ihn betreuten. Er brauche weitere Rehamaßnahmen und lebe derzeit von Hartz 4.
Nach der Haft den Tag genießen
Richter Münzer wollte wissen, was V. an diesem 16. März gemacht hat, ob er auf Zechtour war und mit wem. „Ich war frisch aus der Haft entlassen und wollte den Tag genießen.“ Seine Eltern hätten ihn nach verbüßten 50 Tagen in Hechingen abgeholt. Ob neben Alkohol auch Drogen im Spiel waren, will Münzer wissen. „Nein, auf keinen Fall, nur Wodka.“
Am nächsten Tag habe er nach Hamm fahren und dort ein neues Leben beginnen wollen. Zuerst war man in einer Bar in Sulgen, wo man zusammen eine Flasche Smirnoff-Wodka geleert habe. Anschließend ging es zu Freunden in der Talstadt, wo man zu viert eine angebrochene und eine volle 0,7 Liter Wodka geleert habe.
Eine Flasche Wodka intus
Er habe dann beschlossen nach Hause nach Sulgen zu laufen. Da seinen auf der Steige nachts ja kaum Autos unterwegs. Hindernisse auf der Straße habe er da auch noch nie gesehen.
Ob er denn schon früher mal beim Trinken zusammengeklappt sei, will die Staatanwältin wissen. V. erinnert sich an einen Fall im Dezember 2017, da habe er den ganzen Tag getrunken und einen kompletten Blackout gehabt. Ob das öfters passiert sei, fragt die Staatsanwältin. „So dumm bin ich nicht.“
Über die anschließende Zeugenbefragung berichten wir noch ausführlich.
Der Angeklagte ist unschuldig.Der Nebenkläger hat sich selbst in Gefahr gebracht.Ihm hätte so vieles in seinem Zustand passieren können.Ich bin der Meinung,er hat sich selbst in diese Lage gebracht.Er ist nicht das erste Opfer,dem ihm nach durchzächter Nacht unter die Räder kommt.