Münster/Sofia/New York. Vor dem Landgericht Münster hat am Dienstag einer der drei Angeklagten, der Münchner Rechtsanwalt Martin B., eine Erklärung abgegeben. Gemeinsam mit Frank R. und Manon H. aus Greven muss sich Martin B. unter anderem wegen Geldwäsche und Beihilfe zum Betrug verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten vor, Millionensummen aus OneCoin-Erlösen für Immobilienkäufe in London oder auf Karibikinseln verschoben zu haben. In Bulgarien gab es ein mysteriöses Attentat auf den Generalstaatsanwalt und in New York rückt ein Urteil für Sebastian Greenwood näher.
Martin B. : Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts
Die Sprecherin des Landgerichts Münster berichtet auf Nachfrage der NRWZ der angeklagte Rechtsanwalt Martin B. habe sich „so eingelassen, dass er nicht von einem Betrug, sondern davon ausging, dass es sich um legale – erfolgreiche – Unternehmenstätigkeiten handelte.“ Martin B. verlas in 40 Minuten seine 14-seitige Erklärung, die er vorab an die Verfahrensbeteiligten zum Mitlesen verteilt hatte.
Wie die Westfälischen Nachrichten (WN) in ihrer Lokalausgabe für Greven weiter berichten, habe der Münchner Anwalt versichert, er würde „heute“ die Auffassung des Gerichts sogar bestätigen. „Ich hätte die Überweisungen wesentlich intensiver geprüft.“ Der Anwalt hatte im Frühjahr 2016 im Auftrag von Ruja Ignatova in zwei Tranchen etwa 20 Millionen Euro an eine Londoner Kanzlei überwiesen, damit diese ein Luxus-Apartment in Kensington und eine zweite Wohnung im selben Komplex für Ignatova und ihre Leibwächter kaufe.
Laut Gerichtssprecherin habe der Angeklagte erklärt, er habe gegenüber den Empfängern der 20 Millionen Euro zwar falsche Erklärungen abgegeben, könne heute aber auch selbst dafür keine Erklärung oder Begründung abgeben. Die Anklage wirft ihm unter anderem vor, „leichtfertig übersehen zu haben, dass es sich um ein illegales Betrugssystem handelt“, zitieren ihn die WN. Doch im Jahr 2016 habe er noch keinen Verdacht gehabt, dass etwas an dem System „OneCoin“ mit illegalen Absichten zu tun hatte.
Es habe auch noch keine Medienberichte zu OneCoin gegeben, berichtet der Gerichtsreporter der WN auf Nachfrage der NRWZ. Der allererste Bericht zu OneCoin erschien auf Behind MLM am 23. September 2014. Schon dort in der Überschrift fällt der Begriff „Ponzi“, also Schneeballsystem.
Ignatova in München kennengelernt
Ignatova habe er 2010 oder 2011 in München über einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt, berichtet Martin B. nun in Münster. Von 2012 bis 2014 habe er nur „sporadischen Kontakt“ zu ihr gehabt. Ignatova hatte bekanntlich in dieser Zeit eine in Insolvenz gegangene Gießerei im Allgäu gekauft und anschließend ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Wegen Insolvenzverschleppung hat das Amtsgericht Kempten sie im Frühjahr 2016 zu einer Haftstrafe von 14 Monaten auf Bewährung und 18.000 Euro Geldbuße verurteilt. Der Staatsanwalt hatte ihr damals „erhebliche kriminelle Energie“ attestiert, wie die „Allgäuer Zeitung“ am 13. April 2016 berichtete.
Martin B. erklärt dazu jetzt in Münster, er habe nicht den Eindruck gehabt, dass sie unglaubwürdig oder ihr Handeln mit unseriösen Absichten verbunden war, hat der Gerichtsreporter der WN notiert. Etwa einen Monat nach Ignatovas Verurteilung in Kempten überwies Martin B. das Geld für das Penthouse in Kensington an die Anwaltskanzlei Locke Lord in London. Die Londoner Kanzlei gehört zu einer internationalen Großkanzlei. Auch der wegen Geldwäsche für Ignatova in New York verurteilte Mark Scott war Anwalt bei Locke Lord. Weil das Geld ja nicht über Panama, über Briefkastenfirmen oder in Geldkoffern in Hinterzimmern weitergeleitet worden sei, habe er keinen Verdacht geschöpft, sagt B. jetzt.
In seiner Erklärung berichtet B., er habe Ruja Ignatovas Ehemann Björn S. im Jahr 2014 kennengelernt, die beiden hätten ihn kontaktiert und erklärt, sie wollten OneCoin machen.
Der Anwalt hatte in einem Gutachten 2014 für Ignatova die Legalität ihres Projektes mit dem Verkauf von Bildungspaketen und darin enthaltenen Token bestätigt. Er war außerdem der erste „Director“ einer OneCoin-Firma in Gibraltar. Dazu hat er nun im Gericht erklärt, Ignatova habe ihn gefragt, in welchen Ländern Kryptowährungen zulässig seien: „Anhaltspunkte für Illegalität konnten nicht angenommen werden“, behauptete er nun. „Vor allem, weil diese Kryptowährung noch in den Kinderschuhen steckte.“
In seiner Erklärung hat B. nun auch einen Blogger, Thomas Storås, erwähnt, der ihn per E-Mail über Ungereimtheiten bei OneCoin informiert hatte. Dessen Angaben hätten „in diametralem Gegensatz“ zu dem gestanden, was andere Anwaltskanzleien zu OneCoin erklärt habe, so der Gerichtsreporter der WN. Den Blogger habe er nicht ernst genommen, weil dieser sich ansonsten mit Sportberichten über Wasser gehalten habe.
Zwei Anwaltskanzleien sind heute schlauer
Die beiden Kanzleien waren die von Schulenberg und Schenk SBS Legal, sowie der Münchner Anwalt Norbert Olesch. Schulenberg und Schenk sind spezialisiert auf Multi-Level- Marketing. Einer seiner früheren Kollegen verteidigte in Münster einen der Angeklagten, war aber zu Jahresbeginn bei SBS ausgeschieden, wie Schulenberg der NRWZ im Februar bestätigte. Er sei davon ausgegangen, dass OneCoin existiert. Heute sehe er, „dass es offenbar ein betrügerisches System war.“
Norbert Olesch hatte noch im Juli 2016 ein Gutachten zum Kompensationsplan von OneLife Network verfasst und kam zum Schluss, das System verstoße nicht gegen das deutsche Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Sein Gutachten habe sich nicht auf OneCoins bezogen, nur auf die Bildungsangebote, betonte Olesch im Gespräch mit der NRWZ Anfang Februar. Und erklärte nur kurz: „Wir haben das Mandat niedergelegt. Warum brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Das unterliegt der anwaltlichen Schweigepflicht.“
Bei Martin B. schrillten keine Alarmglocken
Die Mail von Thomas Storås hat bereits im Verfahren eine Rolle gespielt. Der vorsitzende Richter hatte sie dem Angeklagten vorgehalten und erklärt, da hätten „die Alarmglocken klingen“, das hätte ihm die Augen öffnen müssen. Diese Einschätzung gehe „völlig an der Lebenswirklichkeit vorbei“, meint Martin B. nun. Er habe der Einschätzung einer „weltweit renommierten Anwaltskanzlei“, nämlich Locke Lord mehr vertraut als einem unbekannten Blogger.
Als auch von der Deutschen Bank Hinweise an das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft gegangen seien, und diese den Geldwäscheverdacht geprüft hätten, habe er Ignatova vertraut. Das LKA und die Staatsanwaltschaft hätten auch keine Illegalität bei den Überweisungen in Sachen OneCoin festgestellt und die arrestierten Gelder wieder frei gegeben.
Er bestritt Mitwisser gewesen zu sein. „Mir wurde kein geheimes Insiderwissen übertragen“, zitiert ihn der Gerichtsreporter. Er habe niemals „zum engeren Kern von OneCoin“ gehört, versicherte Anwalt Martin B. laut WN. Dass er in zahlreichen Dokumenten und Kaufverträgen auftaucht, blieb unerwähnt.
Martin B. gibt in seiner Erklärung zu, dass es ab 2015 erste kritische Anmerkungen zu OneCoin im Internet gegeben, er aber keine Verschleierungstendenzen gesehen habe.
OneCoin habe sich damals als sehr erfolgreiches Unternehmen erwiesen. Ignatova habe gar eine Bank kaufen wollen. „Das unterstrich für mich, dass OneCoin’ in einer ganz anderen Liga spielte als meine bisherigen Kunden.“ Martin B. versicherte, hätte er gewusst, dass über den Wohnungskauf in London Geld „beiseite geschafft“ werden sollte, hätte er das Geschäft nicht gemacht.
Nachdem die umfangreiche Erklärung verlesen war, stellte der Vorsitzende Richter in Münster laut Gerichtsreporter der WN dem Angeklagten die „Frage aller Fragen“: Ob er wisse, wo sich Ruja Ignatova aufhalte. Martin B. wusste es natürlich nicht, berichtete aber, er habe im September 2017 noch mit ihr telefoniert. Am 25. Oktober war sie von Sofia mit Ryan-Air nach Athen geflogen und ist seither spurlos verschwunden.
Manon H. dachte, alles sei legal
Martin B. war nicht der erste, der sich in Münster zu den Tatvorwürfen geäußert hat. Manon H. die zusammen mit Frank R. die IMS betrieb und 320 Millionen Euro für OneCoin eingenommen und weiter geschoben haben soll, hat sich bereits vor einiger Zeit geäußert.
Sie habe in ihrer Einlassung „die objektiven Umstände weitgehend eingeräumt, allerdings dargestellt, nie Anhaltspunkte für einen Betrug gesehen zu haben“, berichtet die Sprecherin des Landgerichts Münster auf Nachfrage der NRWZ. Sie sei vielmehr davon ausgegangen, dass es sich bei Ruja Ignatova „um eine erfolgreiche Geschäftsfrau gehandelt habe und alles legal gewesen sei“.
Auch Frank R. aussagebereit?
Der Verteidiger des dritten Angeklagten Frank R. hat mehrere Beweisanträge gestellt, bestätigt die Sprecherin des Gerichts. Auch R. will damit wohl belegen, dass er ja nicht habe ahnen können, dass OneCoin ein Betrugssystem war. Lustigerweise soll dazu als „Beweis“ ein Heft der bulgarischen Ausgabe von „Forbes“ vorgelegt werden. Ruja Ignatova zierte da die Titelseite des amerikanischen Wirtschaftsmagazins. Die OneCoin-Verkäufer präsentierten dieses Heft gerne, um die Seriosität ihres Geschäfts zu belegen – sie verschwiegen allerdings, dass es sich bei dem Titelbild und dem dazugehörigen Artikel im Heft um von OneCoin bezahlte Anzeigen handelte.
Frank R. trat jahrelang als Top-Verkäufer in Erscheinung, war bei zahlreichen Großereignissen dabei, stand auf der Bühne und zeichnete gute Verkäufer der Bildungspakete aus. Konstantin Ignatov, Rujas Bruder und Nachfolger an der Spitze von OneCoin, erklärte in einem Gerichtsverfahren am 6. November 2019 in New York als Zeuge, R. sei Ignatovas Berater in rechtlichen Dingen gewesen.
R. habe seine Schwester beraten, wie sie juristische Verfahren gegen sich vermeiden könne. Frank R. habe selbst viele juristische Schwierigkeiten gehabt, „aber er landete dafür nie im Knast und ist immer davongekommen.“ Frank R. habe ihm das oft erzählt und wie stolz er sei, „Rujas Berater in diesen Dingen gewesen zu sein“, so Ignatov als Zeuge.
Nachdem Frank R. mit OneCoin aufgehört hatte, hat er sich an einem ähnlichen Geschäft versucht. Diesmal ging es um Plastikmüll aus den Meeren, das in einer thailändischen Fabrik in Benzin umgewandelt werden sollte. Und wieder läuft der Verkauf über das Network-Marketing System. Ein finnisches Online Magazin berichtet im Sommer 2022, die Methoden der Firma seien „nicht zuverlässig“. Die italienische Polizei vermute, es handle sich um ein Pyramidensystem“ – wie OneCoin.
Nun will sich wohl auch Frank R. äußern, berichtet die Sprecherin des Landgerichts Münster der NRWZ. „Am 25. Mai ist mit einer Einlassung des ‚letzten‘ der drei Angeklagten zu rechnen.“ Wir sind gespannt. Update: Nach Auskunft der Gerichtssprecherin will Frank R. nun am 30. Mai seine Erklärung abgeben.
Bulgarische Journalisten sollen eingeschüchtert werden
Derweil sorgt ein mysteriöses Attentat auf den Bulgarischen Generalstaatsanwalt Ivan Geshev in Bulgarien für Aufsehen. Gleichzeitig werfen internationale Journalistenverbände Geshev vor, er versuche Investigativjournalisten, die auch im Fall von Onecoin berichtet haben, einzuschüchtern.
Im Februar hatten Journalisten im bulgarischen online Magazin Bird enthüllt, dass zwischen dem mutmaßlichen Drogenbaron Hristoforos Amanatidis, genannt Taki, und bulgarischen Behördenvertretern sehr enge Beziehungen bestanden. (wir haben berichtet.) Auch Taki und die OneCoin-Gründerin Ruja Ignatova sollen miteinander in Verbindung gestanden haben. Laut BIRD soll Taki die Ermordung und Zerstückelung von Ruja Ignatova im November 2018 angeordnet.
Nach der Veröffentlichung ihres Artikels im Februar habe ein Bekannter Takis, ein gewisser Razmig Kerope “Ami” Chakaryan Anzeige gegen die beiden BIRD Journalisten Dimitar Stoyanov und Atanas Tchobanov sowie einen weiteren bulgarischen Journalisten von bivol.bg wegen Verleumdung und „moralischem Schaden“ erstattet.
Die beiden Medien hatten über Korruption im Zusammenhang mit Grenzkontrollen und Parkplätzen an der Grenze zu Griechenland und der Türkei berichtet. Dort kontrolliere angeblich Taki die Geschäfte und schädige den bulgarischen Staat, berichtet das International Press Institute (IPI).
Generalstaatsanwalt Geshev habe am 16. März Journalisten vorgeworfen, sie hätten sich verschworen, ihn und andere hohe Justiz -und Polizeibeamte zu diskreditieren und zu belasten. Er habe zwar die Namen der beiden BIRD-Reporter nicht genannt, aber auf einer Leinwand hinter ihm waren der BIRD-Report und die Namen der Journalisten zu lesen.
Am 7. April habe dann die Staatsanwaltschaft von Sofia eine Abschrift und Screenshots einer privaten Unterhaltung von Stoyanov und einer seiner Quellen veröffentlicht. Das sei „ein außergewöhnlicher und sehr alarmierender Vorgang“, schreibt das IPI. Diese Veröffentlichungen hätten einen „eindeutig einschüchternden Effekt für die Freiheit der Presse“.
Attentat auf Generalstaatsanwalt Geshev
Am Tag bevor dieser IPI-Artikel zum Tag der Pressefreiheit, dem 3. Mai, erschien, ereignete sich laut bulgarischen Presseberichten eine gewaltige Explosion an einer Landstraße in dem Moment, als Geshevs Fahrzeugkolonne vorbeifuhr. Es sei „ein wahres Wunder“, dass es bei der Explosion keine Verletzten gegeben habe, so Geshevs Stellvertreter Borislav Sarafov am 1. Mai. Alles deute darauf hin, dass das Attentat „äußerst professionell vorbereitet und offensichtlich gut ausgeführt“ wurde.
In seinem Youtube-Kanal hat der Journalist Lyubomir Zhechev die Attentatsberichte in Zweifel gezogen. Es sei inszeniert worden. Auch die Kommentatoren sprechen von einem „dreisten und lächerlichen Theater“.
Zhechev thematisiert auch die Verbindungen von OneCoin-Gründerin Ignatova zu den bulgarischen Behörden und erinnert an die BIRD-Story von ihrer angeblichen Ermordung.
Andere bulgarische Medien berichten inzwischen, dass auch der bulgarische Innenminister Ivan Demerdzhiev im Parlament erklärt habe, die Explosion habe nur leichtere Schäden am Auto des Generalstaatsanwalts angerichtet. Man prüfe auch, ob die Explosion inszeniert worden sei, so der Minister.
OneCoin: Bulgarische Behörden bleiben weitgehend untätig
Seit Jahren kritisieren Kenner der Crypto-und OneCoin-Betrugsszene, dass bis heute aus dem Hauptquartier von OneCoin, heute OneEcoSystem genannt, unvermindert angebliche Bildungspakete verkauft werden. Im Newsletter von Mitte April versprechen die OneCoiner Käufern ihrer „Bildungspakete“ 48 mal mehr Token als bisher. Die Token sollen in OneCoin umgewandelt werden können.
Lediglich einmal fand auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bielefeld im Januar 2018 eine Durchsuchung der Räume statt. Auf Betreiben der USA hat Bulgarien dann im März 2023 Irina Dilkinska an die USA ausgeliefert. Sie war eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen von Ruja Ignatova. Laut Konstantin Ignatov war sie zuständig für die Gründung von Firmen, über die die OneCoin Einnahmen gewaschen wurden.
Greenwood: Urteil im September?
In New York haben sich unterdessen Staatsanwaltschaft und Verteidigung darauf geeinigt, dass Richter Edgardo Ramos sein Urteil und das Strafmaß für Sebastian Greenwood irgendwann nach dem „Labor Day“ – dem 4. September – verkünden möge. Sein Verteidiger hat gestern einen entsprechenden Brief an Richter Ramos geschickt. Update: Richter Ramos hat inzwischen den 12. September festgesetzt.
Greenwood, der Miterfinder von OneCoin und Ex-Geliebte von Ignatova, stand an der Spitze der Pyramide und nannte sich selbst „Zero zero one“. Er sitzt seit 2018 in US-Gewahrsam. Überraschend hatte Greenwood im Dezember ein Geständnis abgelegt und so einen Prozess vermieden.