Sofia/New York. Am 21. März hat eine Meldung aus New York unter OneCoin-Fachleuten für großes Aufsehen gesorgt: Die bulgarischen Behörden hatten Irina Dilkinska an die USA ausgeliefert. Nach Sebastian Greenwood und Konstantin Ignatov sitzt nun ein weiteres Mitglied aus der obersten Führungsriege des mutmaßlichen OneCoin-Betrugssystems in US-Gewahrsam. Fehlt nur noch die Crypto-Queen selbst. Aber Ruja Ignatova bleibt trotz weltweiter Fahndung und einer versprochenen Belohnung von 100.000 Dollar spurlos verschwunden.
Doch mit Irina Dilkinska ist den US-Behörden ein weiterer dicker Fisch ins Netz gegangen. Nun könnte es auch für Frank Schneider, Ignatovas Sicherheitschef, eng werden. Er wartet im Hausarrest in Nordfrankreich auf seine Auslieferung.
Doch hier geht es um Dilkinska:
Wer ist die Frau?
Die heute 41-jährige Bulgarin hat zwei Universitätsabschlüsse. Nach eigenen Angaben einen Master of Laws (LLM) von der britischen Anglia Ruskin Universität und einen weiteren LLM mit Schwerpunkt Öl und Gas. Nach dem Studium war sie Chefin der Rechtsabteilung eines bulgarischen Lebensmittelherstellers, wechselte zu einem Logistikunternehmen in Bulgarien und weiter zu einer großen Anwaltskanzlei in Sofia. 2014 schließlich wechselte sie zu OneNetwork Services Ltd.
Nach einer internen Liste, die der NRWZ vorliegt, stand sie in der Hierarchie ganz weit oben. Nach dem COO, dem CFO und weiteren Positionen taucht Dilkinska auf – noch vor Konstantin Ignatov, dem „Head of Global Administration“ und seiner Mutter Veska, die für die Verwaltung in Sofia verantwortlich war.
Ihre Rolle bei OneCoin:
Offiziell war Dilkinska verantwortlich für Rechtsfragen und Compliance, also das regelgetreue Verhalten des Unternehmens. Laut US-Justizministerium habe sie aber „das genaue Gegenteil davon“ gemacht. Sie sei diejenige gewesen, die “mutmaßlich OneCoin in die Lage versetzt hat, Millionen von Dollar der illegalen Einnahmen über Tarnfirmen zu waschen.“ (allegedly enabled OneCoin to launder millions of dollars of illegal proceeds through shell companies.)
Im Verfahren gegen Mark Scott hat Konstantin Ignatov auf die Frage, wer bei OneCoin die meisten dieser Tarnfirmen aufgezogen hat, geantwortet: „Irina Dilkinska.“
Dilkinska und die Tarnfirmen
Sie arbeitete eng mit Scott, dem verurteilten Geldwäscher und Juristenkollegen aus Florida, zusammen. Scott hatte auf den Cayman Islands die Fenero-Funds gegründet, auf die die illegalen OneCoin-Gelder flossen. Getarnt als Zahlungen für Dienstleistungen anderer Firmen. So habe sie in den Jahren 2015 und 2016 eine Firma B&N Consult EOOD genutzt, um angebliche Investments von vielen Millionen Dollar auf die Fenero-Funds von Scott zu überweisen.
B&N sollte angeblich Dienstleistungen und Beratung im Bereich von IT-Software-Lösungen anbieten und 200 Millionen Dollar erwirtschaften. „In Wahrheit“, so das Justizdepartment, „war es eine Tarnfirma, die kein rechtlich einwandfreies Einkommen hatte und die Dilkinska nutzte, um Gelder zu waschen.“
Mark Scott gründete beispielsweise am 5. April 2016 die Fenero Tradenext Holding mit Sitz in Dublin – und am 22. Juni wurde Irina Dilkinska ebenfalls Direktor dieses Unternehmens, das inzwischen aufgelöst ist.
Etwa zur selben Zeit wurde Dilkinska Direktorin einer weiteren Firma Organic Health Ltd. Anders als es der Name vermuten lässt, soll sich das Unternehmen mit Buchhaltung und Buchprüfung befasst haben. Ob sie ebenfalls für die Geldwäsche von OneCoin diente, ist nicht bekannt. Als Wohnort gab Dilkinska damals Dubai an. Dort hatte auch OneCoin eine wichtige Niederlassung.
Dilkinska und die „hater“
Die studierte Juristin nahm sich aber auch der OneCoin-Kritiker an, in den OneCoin-Kreisen gerne als hater, Hasser bezeichnet. Einer der frühen Warner vor der angeblichen Kryptowährung war der Finne Petteri Järvinen.
Ihm schrieb Dilkinska am 11. Februar 2015, also noch ganz zu Beginn der OneCoin-Geschichte, sollte er seinen Blog-Post über OneCoin nicht löschen, werde OneCoin gezwungen sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, „um unsere legitimen Rechte und Interessen zu schützen“.
Dilkinska, Ruja Ignatova und Co.
Dilkinska gehörte zum engsten Kreis der OneCoin-Führungsriege. Im Scott-Verfahren zeigte der Staatsanwalt Konstantin Ignatov zwei Fotos und fragte, wer dort zu sehen sei: „Es sind Sebastian Greenwood, Ruja und Gilbert Armenta und auf dem rechts Irina Dilkinska und Sebastian Greenwood.“
Dilkinska taucht selten auf Fotos auf, aber bei einem großen OneCoin-Event in Macau jubelt sie an der Seite von Sebastian Greenwood. Auch bei Ruja Ignatovas Geburtstagsparty im Mai 2016 feierte sie mit. Doch echte Porträtfotos von ihr sind kaum zu finden. Sie wird gewusst haben, warum.
Dilkinska und die Zeit nach Ignatovas Verschwinden
Nach Ruja Ignatovas Verschwinden am 25. Oktober 2017 folgte ihr Bruder Konstantin an die Spitze von OneCoin. Er arbeitete sehr eng mit Dilkinska zusammen, wie er als Zeuge im Prozess gegen Mark Scott ausgesagt hat: „Wir saßen fast täglich zusammen und diskutierten.“ (7.November 2019). Sie habe ihm auch erzählt, wer alles Geld von OneCoin „gestohlen“ hatte: Ein Herr aus China 30 bis 40 Millionen Euro, ein Mann aus Dubai, Amer Abdulaziz, mehr als 100 Millionen und auch Sebastian Greenwood, Mitgründer und Geliebter der Crypto Queen, habe ebenfalls so um die 100 Millionen Euro gestohlen.
Nach Ignatovas Verschwinden habe Dilkinska eine ihrer Firmen mit Namen „Leon“ genommen und so getan, als ob sie nur noch für diese arbeite, erzählt Konstantin dem Gericht in New York. „Sie hat aber immer noch für OneCoin gearbeitet.“ (6. November 2019)
Dilkinska habe ihm auch erzählt, ihre Hauptaufgabe sei es, Firmen zu erfinden, damit diese Bankkonten eröffnen konnten, so dass niemand erfuhr, woher die Gelder tatsächlich stammten. (7. November 2019)
Nach dem 25. Oktober 2017 hätten Dilkinska und er versucht, Gelder für OneCoin aus den verschiedenen Firmen zurückzuholen. „Nach Rujas Verschwinden war die Fima mehr oder weniger tot. Es war kein Geld mehr da“, so Ignatov vor Gericht. Aber Scott und Abdulaziz hätten noch Geld, habe Dilkinska erklärt. Das wollten sie zurückholen.
Wie nah die beiden sich standen, zeigt eine Mail von Dilkinska an Ignatov vom 18. April 2018. Sie beginnt mit: „Morning bro….“
Als die US-Behörden im Herbst 2018 Mark Scott in den USA festnehmen, wird Irina Dilkinska sehr nervös. Sie sei in Panik in sein Büro gekommen und habe erklärt, nun sei sie „gef…t“. Ihr Name sei in allen Schriftstücken mit Scott zu finden, sagt Ignatov aus. „Und wenn sie den kriegen, kriegen sie mich auch.“
Was geschah mit Dilkinska nach Konstantins Verhaftung?
Am 24. September 2020 haben die Staatsanwälte in New York ihre Anklageschrift gegen Irina Dilkinska fertig gestellt, und das Gericht hat sie zunächst versiegelt. Ebenso wurde ein Haftbefehl gegen sie ausgestellt.
Beides hat die Richterin Sarah Nesburn am 21. März veröffentlicht. Ob sie von ihrem Haftbefehl gleich erfahren hat? Wir wissen es nicht. Aber spätestens, nachdem Konstantin Ignatov im Sommer 2019 die Seiten gewechselt und gegen Mark Scott im November 2019 ausgesagt hat, muss sie gewusst haben, dass es für sie eng wird. Dennoch muss sie sich in Sofia sicher gefühlt haben, denn es dauerte noch anderthalb Jahre, bis sie festgenommen wurde.
Was unternahmen die Behörden in Sofia?
Laut einer bulgarischen Online Zeitung haben die bulgarischen Behörden sie am 8. Juni 2021 festgenommen, „nachdem Bulgarien über diplomatische Kanäle aus den USA die Forderung nach ihrer Auslieferung erhalten hatte“. Gegen eine Entscheidung des Stadtgerichts von Sofia, das ihre Auslieferung genehmigte, hatte sie Berufung eingelegt. Im Februar habe das Berufungsgericht dies zurückgewiesen und die Auslieferung genehmigt, schreibt Sofiaglobe.
Nach Informationen der NRWZ soll Dilkinska in der Zwischenzeit unter Hausarrest gestanden haben. Das bestätigt ein anderes bulgarisches Online-Medium. BGonair schreibt, die bulgarischen Behörden hätten beantragt, dass Dilkinska „dauerhaft inhaftiert“ werde, sie habe dann aber „einige Zeit unter Hausarrest“ gestanden.
Nikolay Stoyanov, ein bulgarischer Investigativ-Journalist, hat den genauen Ablauf auf Twitter dargestellt. Er schreibt, die US-Behörden hätten ihr Auslieferungsbegehren im Wesentlichen auf die Aussagen Konstantin Ignatovas und Gilbert Armentas gestützt.
Armenta, der Ex-Geliebte von Ruja und einer ihrer Geldwäscher, war im Februar zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Richter Edgardo Ramos hatte zunächst angeordnet, dass Armenta am 30. März seine Strafe im Miami Satellite Prison Camp anzutreten hat. Ende März hat er auf Bitten von Armentas Anwalt den Termin auf den 1. Mai verschoben. Die Begründung: Es sei noch nicht entschieden, wo Armenta seine Strafe verbüßen soll.
Stoyanov berichtet, dass die bulgarischen Richter die Argumente von Dilkinskas Verteidigern gegen eine Auslieferung am 3. Februar abgelehnt hätten. Ein besonders eigenartiges Argument ihrer Verteidiger war, in Bulgarien gebe es keine OneCoin Company, deshalb habe Dilkinska auch nicht da angestellt gewesen sein können. Dilkinska war bei OneNetwork Services angestellt, einer der zahlreichen OneCoin-Unterfirmen.
Was bedeutet ihre Auslieferung an die USA?
Die Festnahme von Dilkinska hat für großes Aufsehen gesorgt, so gut wie alle Kryptowährungs-Infodienste berichten und zitieren aus der Pressemitteilung des US-Justizministeriums. Leute, die sich schon lange mit OneCoin und der Crypto Queen befassen, finden die Auslieferung „krass“, wie der Filmemacher Johan von Mirbach („Die Krypto-Queen“).
BBC-Podcaster Jamie Bartlett („The Missing Cryptoqueen“) schreibt der NRWZ, Dilkinska sei doch nur eine von Rujas „schlecht bezahlten Untergebenen“ gewesen. Er sehe keinen Grund, weshalb irgendwer aus der bulgarischen Mafia sie schützen sollte. Auf Behind MLM wird spekuliert, Dilkinska könne aufgehört haben, jemand in Bulgarien zu schmieren.
Ein deutscher Strafverfolger, der mit der Sache befasst ist, staunt ebenfalls über die plötzliche Kooperationsbereitschaft der Bulgaren. Er vermutet, die Amerikaner hätten vielleicht andere Mittel, die dortigen Behörden zur Zusammenarbeit zu bewegen.
Dr. Jonathan Levy wundert sich, dass Dilkinskas Festnahme und Hausarrest so lange im Dunkeln geblieben sind. Der „verstörende Teil“ an der Geschichte sei, dass Veska, die Mutter von Ruja und Konstantin Ignatov, und das OneEcoSystem nach wie vor arbeiteten. Levy vertritt zahlreiche OneCoin-Opfer und versucht an beschlagnahmte Gelder zu kommen, damit die Opfer entschädigt werden können.
Jennifer McAdam twittert, das seien „wonderful news“, auf die sie jahrelang gewartet habe. McAdams hatte viel Geld auch ihrer Familie in OneCoin investiert und andere für OneCoin geworben. Sie gehört zu den schärfsten Kritikern von OneCoin in Groß-Britannien.
Crypto Xpose, ein Blog, der seit vielen Jahren über OneCoin aufklärt, verlinkt den NRWZ-Bericht zu Dilkinskas Auslieferung und schreibt: „Die Schlinge zieht sich zusammen.“
Was passiert nun mit Dilkinska?
In einem Brief an Richter Ramos bittet Dilkinskas Anwalt Jeremy Schneider, der Richter möge seine Kollegin Rachel Perillo als weitere Verteidigerin zulassen. Schneider begründet dies mit den vielen Themen, die im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen seine Mandantin zu beachten seien. „This is a complex matter involving an international $4 billion cryptocurrency fraud scheme.“ Es gehe um ein vier Milliarden Dollar Kryptowährungsbetrugssystem. Die Datenlage werde sehr umfangreich sein, es werde um Haftbefehle, Durchsuchungsbeschlüsse gehen, beschlagnahme Unterlagen von US- und internationalen Banken, Telefongespräche, E-Mail-Verkehr und andere Quellen.
Andere Beschuldigte seien angeklagt, hätten sich schuldig bekannt oder seien bereits verurteilt. All diese Dinge müssten gründlich geprüft werden, dafür brauche er Perillos Unterstützung.
Schließlich sei Dilkinska bulgarische Staatsbürgerin und habe keine Familie in den USA. Er werde Perillos Unterstützung brauchen, um den Kontakt zu Dilkinska zu halten, die im Essex County Correctional Center einsitze. Auch solle Perillo den Kontakt zu Dilkinskas Familie in Bulgarien aufrechterhalten, da Dilkinska „nicht die Möglichkeit habe, vom Gefängnis aus internationalen Gesprächen zu führen“.
Schließlich bittet Schneider, Perillo den üblichen Stundensatz von 120 Dollar für zunächst 100 Stunden ab dem 22. März zu gewähren. Richter Ramos gibt dem Antrag statt.
Am 6. April hat Dilkinska ihre erste Anhörung….
Sebastian Greenwoods Urteil um 60 Tage verschoben
Das eigentlich für den 5. April angesetzte Urteil gegen Karl Sebastian Greenwood wird sich wohl um zwei Monate verzögern. Die Staatsanwaltschaft hat mit Einverständnis Greenwoods, um 60 Tage Aufschub gebeten.
Greenwood ist einer der Mitbegründer von OneCoin und war zeitweise auch der Geliebte von Ruja Ignatova. Er sitzt seit Sommer 2018 in US-Gewahrsam. Im Dezember 2022 hatte er sich überraschend schuldig bekannt. Deshalb kommt es zu keinem Strafverfahren mehr. Richter Edgardo Ramos muss „nur“ das Strafmaß festlegen.
Darüber aber streiten sich Anklage und Verteidigung. Offen blieb nämlich am 16. Dezember 2022, für welche Taten Greenwood in den USA belangt werden kann: Nur für die die US-Opfer betreffen oder alle weltweit. Im zweiten Fall müsste Greenwood eine wesentlich höhere Strafe verbüßen, weil die Höhe des Strafmaßes von der Höhe des angerichteten Schadens abhängt.
Seit Monaten schicken deshalb die Anwälte beider Seiten Richter Ramos umfangreiche juristische Darstellungen zum Thema. Anders als bei uns arbeiten die Juristen in den USA sehr stark mit Präzedenzfällen früherer Gerichtsentscheidungen – und die können sich widersprechen. Das Thema, für welche Taten Greenwood bestraft wird, soll nun am 11. April mit dem Richter diskutiert werden.
In einem Brief von 4. April an Ramos erklärt die Staatsanwaltschaft, die 60 Tage Aufschub sollen beiden Seiten „Zeit … geben, ihre Schriftsätze zur möglichen Verurteilung abzufassen“. Auch seien mehrere Punkte der Anklage noch offen.
So bleibt nun also auch Sebastian Greenwoods Verfahren weiter in der Schwebe. Auch Ignatovas Bruder Konstantin wartet seit 2019 auf sein Gerichtsverfahren. Im Moment soll eine Anhörung in seinem Fall am 17. Mai stattfinden.