Seit sieben Jahren ist die OneCoin-Betrügerin Ruja Ignatova spurlos verschwunden. Die Strafverfolgungsbehörden suchen die in Schramberg aufgewachsene Deutsch-Bulgarin weltweit. Ende Juni hat das FBI das Kopfgeld auf sie noch einmal erhöht: fünf Millionen Dollar. Bisher ohne sichtbaren Erfolg.
Um Ignatovas Verschwinden ranken sich viele Geschichten und Gerüchte: Ist sie tot, in Stücke zerhackt und in der Ägäis versenkt? Lebt sie fröhlich auf einer Yacht im Mittelmeer und berät die Mafia in Geldwäschedingen? Oder lebt sie in einem luxuriösen Anwesen in Dubai? Aber es gibt auch neue Spuren.
Die Dokumentation „Kryptoqueen – Die Jagd“ geht ihnen nach. Dokumentarfilmer und Podcast-Autor Johan von Mirbach hat unter anderem mit den Zielfahndern des Landeskriminalamts in Nordrhein-Westfalen, die den Fall in Deutschland betreuen, gesprochen: „Ungewöhnlicherweise haben uns die Behörden Einblick in die Ermittlungen gewährt. Ihre Erkenntnisse widersprechen den Gerüchten über Ruja Ignatovas angebliche Ermordung.“
Im Gespräch mit der NRWZ erzählt Mirbach von seinen neuen Recherchen. Die wichtigste Frage: „Wissen Sie, wo Ruja Ignatova steckt?“, beantwortet der aus Villingen stammende Dokumentarfilmer mit: „Ja und nein!“
Wasserdichtes Alibi
Er sei sich aber sehr sicher, dass sie nicht ermordet und in der Ägäis versenkt worden sei. Er habe einen Tipp bekommen und tatsächlich von den Fahndern des Landeskriminalamts (LKA) in Düsseldorf die Bestätigung erhalten, der angebliche Mörder habe zur Tatzeit schon lange in den Niederlanden im Gefängnis gesessen.
In vom bulgarischen Online-Magazin „Bird“ veröffentlichen Dokumenten, die ihren Tod belegen sollen, heißt es, der angebliche Mörder sei höchstwahrscheinlich Hristo Hristov, Spitzname Kyoravi.
Dieser sei der „Hauptmörder“ von Hristophoros Amanatidis, genannt Taki, der wiederum den Mord an Ignatova angeordnet haben soll. Taki gilt als einer der wichtigsten und gefährlichsten Unterweltgrößen Bulgariens.
Doch der angebliche Ruja-Killer Hristov saß nachweislich im Gefängnis und schipperte nicht in der Ägäis rum. Die Geschichte mit der zerstückelten Leiche war schon früh angezweifelt worden. Aber mit diesem wasserdichten Alibi ist die These sehr unwahrscheinlich.
Die damals auf verschlungenen Wegen angeblich aufgetauchten Dokumente machten nur Sinn, wenn es darum gehe, eine Spur zu verwischen, ist von Mirbach überzeugt. „Wer macht sich so viel Mühe, wenn Ruja Ignatova tatsächlich tot ist?“
Das Kap der guten Hoffnung
Eine andere Spur führt nach Südafrika, dafür gebe es „einige Hinweise“, so die Sprecherin des Landeskriminalamts Sabine Dässel in der neuen Doku. Auch Filmemacher Mirbach hat eine solchen Tipp bekommen und ist dem nachgegangen.
Am Kap der guten Hoffnung tauchten viele Unterweltgrößen unter, erzählt er der NRWZ. „Es gibt dort Leute in der Polizei und bei anderen Behörden, die sich bestechen lassen.“ Neue Papiere, Identität, für Geld gehe da praktisch alles.
Hinzu kommt, dass es eine große bulgarische Community in Südafrika gibt. Krasimir „Kuro“ Kamenov, ein ehemaliger Freund und „Geschäftspartner“ von Hristophoros Amanatidis, wurde gemeinsam mit seiner Frau und zwei Hausangestellten in Kapstadt brutal ermordet – bis heute ist der Vierfachmord nicht aufgeklärt.
Das Spannende daran: „Kuro kannte Ignatova“, sagt von Mirbach. Und zwar über Taki. Weshalb sich die beiden bulgarischen Mafiosi zerstritten haben, ist unklar. Gerüchte besagen, Kuro habe mit dem FBI in Sachen Ignatova und OneCoin kooperieren wollen und musste deshalb sterben. Gehört habe er das auch, so Mirbach, er wisse aber nichts Näheres dazu.
In Kapstadt lebten einige sehr reiche Leute in streng überwachten Bezirken. Videoüberwacht und hinter hohen Stacheldrahtzäunen. „Da gibt es Polizei, Sicherheitsdienste und inoffizielle Sicherheitsdienste.“
Er habe einen Privatdetektiv beauftragt, eine bestimmte Straße im Auge zu behalten, berichtet Johan von Mirbach. „Nach zwei Tagen hat er aufgegeben, Sicherheitsleute haben ihm sehr deutlich gemacht, dass er besser verschwindet.“
Im Gegensatz zu Dubai kann man in Südafrika wirklich ohne Sorgen untertauchen, ist Mirbach überzeugt. In Dubai kann sich die politische Lage ändern und die schützende Hand wird weggezogen. „In Südafrika braucht man nur Geld.“
In Dubai besaß Ignatova und eine ganze Reihe von OneCoin-Verkäufern Villen, Penthäuser oder Appartements. Die Suche nach ihr dort blieb bislang vergebens.
Russisch sprechende Männer
Dass Ignatova sich nach Russland abgesetzt hat, mag Johan von Mirbach nicht glauben. Ihr Bruder Konstantin Ignatov hatte in New York vor Gericht ausgesagt, in Athen sei seine Schwester von „russisch sprechenden Männern“ abgeholt worden. Seither habe er nie mehr von ihr gehört.
Ignatov habe russisch später auf „osteuropäisch“ abgeschwächt. Auch spreche dieser selbst kein russisch. „Ich habe außerdem nie irgendetwas dazu gehört, dass Ignatova in Russland wäre“, versichert von Mirbach.
Auch die Idee, sie könne sich im Raum Frankfurt verstecken, hält von Mirbach für Quatsch. Dort soll ihr Ehemann Björn S. mit ihrer Tochter D. in einem luxuriösen Anwesen leben. „Die deutschen Behörden haben das mit Sicherheit im Auge.“
Jamie Bartlett, der den preisgekrönten Podcast „The Missing Cryptoqueen“ für die BBC macht, hat einmal die Idee vertreten, sie könne auf einer Superyacht im Mittelmeer außerhalb der „Zwölf-Meilen-Zone“ unterwegs sein. „Im Gespräch mit mir hat er sich dazu sehr vorsichtig geäußert“, so von Mirbach.
Lebt sie noch?
In der neuen Folge von der Kryptoqueen sagt Sabine Dässel, die Sprecherin des Landeskriminalamts, ihre Behörde arbeite mit der Hypothese, „dass Ruja Ignatova noch am Leben ist“. Dafür spreche auch, dass man die Mutter Veska Ignatova vernommen und dabei nicht den Eindruck gehabt habe, Ruja würde von ihr betrauert.
Das bestätigt Duncan Arthur einmal mehr: „Es gibt keinen Mord. Sie ist am Leben, Punkt.“
Arthur ist nicht irgendwer. Er hat eng mit Ignatova und mit ihrem Bruder Konstantin zusammengearbeitet. Er war dabei, als Ignatov im Frühjahr 2019 in Los Angeles verhaftet wurde. Arthur hat schon mehrmals erzählt, Konstantin habe mehrere Telefonnummern seiner Schwester auf einem Laptop gespeichert gehabt und sicher mit ihr nach ihrem Untertauchen telefoniert.
Und Frank Schneider?
Bleibt noch eine Spur ans andere Ende der Welt: Südostasien, Neuseeland, Bali. Dorthin hat Frank Schneider verschiedene Beziehungen. Auf Bali hat er eine Firma gegründet, in Neuseeland ein Grundstück besessen, das die Behörden in diesem Frühjahr beschlagnahmt haben.
Frank Schneider war einst im Luxemburgischen Geheimdienst Operationschef, dann jahrelang für Ruja Ignatovas Sicherheit verantwortlich. Er soll ihr geheime Informationen aus den europäischen Sicherheitsdiensten besorgt und ihr Untertauchen mitorganisiert haben.
Schneider sollte in die USA ausgeliefert werden. Er saß mit einer elektronischen Fußfessel im Hausarrest in Nordfrankreich.
Im Mai 2023 entledigt er sich der Fessel, taucht unter und ward nicht mehr gesehen. „Frank Schneider hat bewiesen, es ist möglich, spurlos zu verschwinden“, sagt Mirbach.
In der neuen Folge kommt Schramberg nicht vor, bemerke ich zum Schluss unseres Gesprächs. Mirbach lacht: „Ja, vielleicht hat sie ja Sehnsucht nach ihrer alten Heimat. Also Augen offen halten!“
(Transparenzhinweis: Ich war bei der Produktion der ersten vier Videos wie auch bei der neuen Folge als gelegentlicher Berater und Rechercheur beteiligt. Martin Himmelheber)
Auch vier Podcastfolgen
Johan von Mirbach hat neben den Filmen auch einen spannenden vierteiligen Podcast „Die Kryptoqueen – Ruja Ignatova und ihr Milliardenbetrug“ produziert. Darin sind einmalige O-Töne zu finden. Etwa aufgezeichnete Telefongespräche zwischen Ruja Ignatova und ihrem damaligen Geliebten Gilbert Armenta.
Der gesamte Podcast erzählt die Geschichte des Betrugs, den Aufstieg und das mysteriöse Verschwinden von Ignatova.
Info „Kryptoqueen – Die Jagd“ von Johan von Mirbach. Ab sofort in der ARD-Mediathek, Ausstrahlung im WDR-Fernsehen am 13. November, 23 Uhr
„Die Kryptoqueen – Ruja Ignatova und ihr Milliardenbetrug“. Vierteiliger Podcast von Johan Mirbach. Ab dem 9. November in der ARD Audiothek.
Der WDR hat den Fall bereits 2022 in der vierteiligen Doku-Serie „Die Kryptoqueen“ in der ARD-Mediathek erzählt. Diese Folgen sind weiterhin abrufbar.