Der OneCoin-Betrug geht zwar unverdrossen weiter. In Sofia versuchen die Krypto-Verkäufer in der Zentrale immer noch Menschen für ihre „Bildungspakete“ und Onecoin zu gewinnen. Doch die juristische Aufarbeitung des Milliardenschwindels um Ruja Ignatova und ihren Bruder Konstantin Ignatov geht diesseits und jenseits des Atlantiks weiter.
Ruja, wie ihr Bruder in Schramberg aufgewachsen und zur Schule gegangen, ist seit dem 25. Oktober 2017 spurlos verschwunden. Auch die nun schon seit mehr als einem Jahr laufende Fahndung des FBI auf seiner Liste der zehn meistgesuchten Personen blieb trotz einer viertel Million Dollar Belohnung bislang ergebnislos.
Spekulationen, sie sei auf Befehl eines bulgarischen Mafioso auf einer Jacht bei Griechenland ermordet und ins Meer geworfen worden, haben sich bislang nicht erhärten lassen. Ihr Schicksal bleibt weiter im Dunkeln.
Konstantin Ignatov
Auch bei ihrem Bruder ist nicht klar, in welcher Lage er sich befindet. Seit seiner Festnahme am 8. März 2019 in Los Angeles saß er abwechselnd im Gefängnis und stand dann wieder unter Hausarrest. Derzeit deutet einiges darauf hin, dass Ignatov in New York im Hausarrest auf sein Gerichtsverfahren wartet. Ende Mai hatte das Gericht die Kautionsbedingungen für ihn geändert. Auch hat er in jüngster Zeit Kontakte übers Internet aufgenommen.
Einen eigentlich für Ende August angesetzten Gerichtstermin hat Richter Edgardo Ramos auf Wunsch der Staatsanwaltschaft um weitere zwei Monate auf den 2. November verschoben. Wie bei den vielen Male zuvor, hatte die Staatsanwaltschaft damit argumentiert, dass „die Zusammenarbeit des Angeklagten noch nicht abgeschlossen“ sei. Ignatov hatte einige Monate nach seiner Festnahme einen „Deal“ geschlossen: Mildere Strafe gegen Aussage gegen alle in den USA angeklagten OneCoiner.
Sebastian Greenwood
Karl Sebastian Greenwood, der gemeinsam mit Ruja Ignatova den OneCoin-Schwindel aufgezogen hatte, soll am 12. September sein Strafmaß erfahren.
Dem schwedischen Staatsbürger drohen bis zu 60 Jahre Haft. Etwa fünf Jahre hat er bereits in New York im Metropolitan Correctional Center (MCC) in Untersuchungshaft gesessen. Greenwood hatte schon vor OneCoin sehr viel Geld bei Multi-Marketing-Geschäften verdient. Erst mit seinem Fachwissen, wie man solche Netzwerke aufzieht und mit seinen marktschreierischen Auftritten wurde OneCoin zum großen „Erfolg“ im MLM-Geschäft.
Von Anfang an dabei
Er wusste von Anfang an, dass OneCoin auf Betrug angelegt war. Er fragte schon vor dem OneCoin Start 2014 Ignatova in einer Mail, was er machen soll, wenn der Schwindel auffliegt. Ihre berühmte Antwort: „Take the money and run, and blame somebody else for it.“ Greenwood nahm das Geld und verschwand – nach Thailand. Nur mit der Schuldzuweisung hat es nicht geklappt.
In Thailand verhaftete ihn die Polizei im Sommer 2018 und lieferte ihn drei Monate später an die USA aus. Dass Greenwood mit einem in den Knast geschmuggelten Smartphone Millionen-Dollar-Geschäfte gemacht haben soll, das berichtete vor zwei Jahren der Londoner Rechtsanwalt Jonathan Levy.
Greenwood hatte kurz vor Weihnachten 2022 ein umfassendes Geständnis abgelegt. Das Urteil „schuldig“ ist bereits ergangen. Nun will Richter Edgardo Ramos am 12. September das Strafmaß festlegen. Vor wenigen Tagen haben seine Anwälte ein mehr als 50-seitiges Memorandum an Richter Ramos geschickt, in dem sie dafür plädieren, Greenwood frei zu lassen.
Die fünf Jahre im berüchtigten Gefängnis Metropolitan Correctional Center (MCC) in New York und die drei Monate in einem Thai-Gefängnis seien Strafe genug, argumentieren seine Anwälte. Viele Absätze, teilweise ganze Seiten, in diesem Papier sind allerdings geschwärzt.
Schlimme Knasterfahrungen in Thailand und New York
Über die Bedingungen in seiner Zelle in Thailand schreiben die Anwälte unter anderem: Greenwood habe in einer Zelle mit 75 bis 120 anderen Häftlingen gesessen. „Er hatte einen schmalen Platz zum Schlafen in der Zelle direkt neben dem Loch gehabt, das die Häftlinge als Toilette benutzten. Das Essen war kaum genießbar und voller Maden.“
In New York sei es nicht viel besser gewesen: Auch dort seien „Schmutz, Ratten, Gewalt und Drogenmissbrauch“ an der Tagesordnung gewesen. Während der Pandemie sei er praktisch in Einzelhaft völlig isoliert gewesen. Er saß bis 2021 im MCC, danach und bis heute im kaum weniger berüchtigten Metropolitan Detention Center (MCD).
Andererseits geht aus den Gefängnisunterlagen hervor, dass Greenwood seit dem Haftantritt am 19. Oktober 2018 bis heute an etwa zwei Dutzend Kursen im Gefängnis teilgenommen hat. Darunter waren Kurse der Columbia University zu Philosophie, aber auch Kurse zu Schach, Buchhaltung, Unternehmertum und Finanzwesen. Greenwood lernte Spanisch, beschäftigte sich mit Dichtung und Mathematik, Konfliktlösung und Kreativität. Zwölf Stunden lang beschäftigte sich Greenwood gar mit „Business Ethics“.
Auch schreiben seine Anwälte, Greenwood habe die „volle Verantwortung für seine Verbrechen“ übernommen und empfinde „tiefe Reue“ für seine Taten.
In ihrem Memorandum schildern die Verteidiger Greenwood als „hart arbeitend, großzügig und aufopferungsvoll“. Er sei Vater von vier Kindern. Die Haft habe sein Familienleben zerstört, seine Eltern au8s Schweden hätten ihn nur ein einziges Mal im Jahr 2019 besuchen können. Sie seien von den Zuständen im MCC „zutiefst erschüttert“ gewesen.
Von der Uni über KPMG zu Bigcoin
Nach seinem Uniabschluss an der European Business School in London habe er von 2001 bis 2005 für die Beratungsfirma KPMG in Deutschland gearbeitet. Danach habe er „etliche Jahre“ in der Werbefirma seiner Eltern in Schweden gewirkt.
Von 2009 bis 20012 war er in Singapur. Dass er dort für eine Firma „Sitetalk/Unaico“ tätig war, ein Unternehmen, das später Frank Ricketts an OneCoin verkauft hat, steht allerdings nicht im Memorandum. „Sitetalk“ war ebenfalls eine Multilevel-Marketing Firma, bei der die Leute an der Spitze Provisionen abgesahnt haben.
Seine Anwälte habe auch „vergessen“, Greenwoods Engagement 2013 bei „BigCoin“, einem Vorläufer von Onecoin, zu erwähnen. Bei „BigCoin traf er auf Ruja Ignatova….
Bewegtes Liebesleben
Karl Sebastian Greenwood hat ein bewegtes Liebesleben hinter sich. Bei uns würde man sagen, er hat nichts anbrennen lassen: In Schweden leben bei seiner Ex-Ehefrau zwei Kinder im Teenageralter. In seiner Zeit in Thailand hatte er nichtsdestotrotz ebenfalls eine Liebesbeziehung, aus der eine heute sieben Jahre alte Tochter hervor ging.
In den zwei Jahren vor seiner Festnahme 2018 habe er auch in Panama gelebt und dort ebenfalls ein Kind mit einer Frau gezeugt. Der Junge sei heute sechs Jahre alt, schreiben die Anwälte. Dass Greenwood in dieser Zeit auch eine „romantic relashionship“ mit seiner Schwester Ruja hatte, bezeugte Konstantin Ignatov im Scott-Prozess 2019.
Um eine Ungerechtigkeit gegenüber anderen OneCoin-Tätern wie Gilbert Armenta oder Mark Scott zu vermeiden, sollte der Richter „time served“, also Strafe verbüßt, urteilen, fordern Greenwoods Anwälte. Armenta habe fünf Jahre bekommen und nur 12 Tage im MCC verbracht. Scott sei nur sieben Tage im Gefängnis gewesen und warte bis heute auf sein Strafmaß.
Sollte der Richter doch eine Strafe für angemessen halten, dann solle er Greenwood nach Schweden ausweisen und dort unter Hausarrest setzen. Greenwoods Anwälte finden auch, dass er weder dazu verurteilt werden soll, die Opfer zu entschädigen, noch zu einer Geldstrafe. Er habe schließlich kein Geld.
Ihr Fazit: „In den letzten fünf Jahren hat Karl mehr als den Preis für seine Verbrechen bezahlt.“ (For the past five years, Karl has more than paid the price for his crimes.) Ob das Richter Ramos – und die Millionen OneCoin Opfer genauso sehen?
Update: Die Staatsanwaltchaft antwortet: 30 Jahre mindestens
Am 5. September haben die New Yorker Staatsanwälte ihr Memorandum abgeliefert. Sie halten 30 Jahre Haft für angemessen, das sei noch weit unter den 60 Jahren, die die Richtlinien vorsähen. Greenwood habe zwischen 2014 und 2018 Millionen von Investoren über OneCoin um mehr als 4,5 Milliarden Dollar betrogen. Gemeinsam mit Ruja Ignatova habe er jeden Tag Investoren dazu verführt, in eine angebliche “Finanzrevolution“ einzusteigen. Er selbst habe „seine Taschen mit mehr als 300 Millionen Dollar gefüllt“.
Seine Opfer seien keineswegs wohlhabend gewesen, sondern hart arbeitende Leute, die OneCoin ihre Ersparnisse anvertraut hätten. Greenwood habe fünf Prozent der weltweiten OneCoin-Einnahmen kassiert, das seien zwischen Ende 2014 und Anfang 2016 allein mehr als 200 Millionen Dollar gewesen.
Die Staatsanwälte listen auf, welch luxuriöses Leben Greenwood mit dem Geld der OneCoin Opfer geführt hat. Teure Klamotten, Schmuck, eine Jacht, Immobilien unter anderem in Spanien, Dubai und Thailand.
Sie zitieren aus Schreiben von Opfern des OneCoin-Betrugs. Darin schildern zahlreiche Opfer, wie sie betrogen wurden und welche Folgen das für sie hatte. Neben dem finanziellen Verlust hätten sie auch gesundheitliche und seelische Schäden davongetragen.
Die Staatsanwälte halten Greenwood vor, er habe nicht aus der Not heraus seinen Betrug gestartet, sondern schlicht aus Gier, Gier nach noch mehr Geld: „He was simply greedy for more.“
Mark Scott
In den Gerichtsakten zu Mark Scott findet sich seit längerem nichts Wichtiges. Scott, der für OneCoin etwa 400 Millionen US-Dollar auf karibischen Inseln in Funds angelegt haben soll, hat eine Jury schon vor mehr als drei Jahren schuldig gesprochen.
Doch weil Konstantin Ignatov, der damals als Zeuge der Anklage ausgesagt hatte, nachweislich zwei Mal gelogen hat, versuchen Scotts Anwälte eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Seit dem Frühjahr 2022 herrscht in diesem Fall Stillstand.
Frank Schneider
Völliges Schweigen herrscht auch im Zusammenhang mit Frank Schneider. Der Luxemburger-Ex-Geheimdienstler ist seit Mai 2023 spurlos verschwunden. Schneider diente als Ignatovas Mann fürs Grobe. Er soll seine alten Kontakte in die Geheimdienste und Polizeibehörden in Europa und den USA genutzt haben, um Ignatova über die Ermittlungen gegen sie und OneCoin auf dem laufenden zu halten. Er soll ihr auch verraten haben, dass ihr Geliebter Gilbert Armenta für das FBI arbeitete.
Die USA haben Schneiders Auslieferung beantragt, und die französischen Behörden hatten ihn festgenommen. Ein halbes Jahr saß Schneider in Auslieferungshaft und kam dann unter Hausarrest. Im Mai hat er sich offenbar von den Fußfesseln befreit und ist untergetaucht. Ob er seine alten Geheimdienstkontakte genutzt hat, ob er in sein Heimatland, nur eine halbe Autostunde von seinem Wohnort in Nordfrankreich geflohen ist? Nichts dringt an die Öffentlichkeit.
Irina Dilkinska
Irina Dilkinska, einst in Sofia für die juristischen Dinge wie Firmengründungen und Geldflüsse, aber auch fürs Einschüchtern von Gegnern bei OneCoin verantwortlich, sitzt bekanntlich seit März in den USA in Untersuchungshaft und wartet auf ihr Verfahren.
Seit einiger Zeit sitzt sie im Brooklyn MDC, einem ziemlich berüchtigten Gefängnis in New York. Auch bei ihr verschieben sich die Verhandlungstermine immer weiter.
Frank R., Manon H. und Martin B. in Münster
Einer der wichtigsten OneCoin-Leute in Deutschland, Frank R., steht weiterhin in Münster vor Gericht. Mit ihm warten Marion H. und Rechtsanwalt Martin B. auf ihr Urteil. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft bekanntlich einen Verstoß gegen das Finanzdienstleistungsgesetz, aber auch Geldwäsche und Betrug vor. R. und H. sollen über ihre International Marketing Services (IMS) etwa 320 Millionen Euro von OneCoin-Kunden eingenommen und auf andere Konten transferiert haben.
Martin B. soll etwa 20 Millionen Euro für den Kauf eines Luxus-Appartements und einer Wohnung für Ruja Ignatova nach London geschafft haben. Die drei Angeklagten hatten zuletzt angegeben, sie hätten diese Geschäfte gemacht, aber nicht gewusst, dass OneCoin ein betrügerisches Schneeballsystem war. R. war einer der Top-OneCoin-Verkäufer.
Martin B. hat Ruja Ignatova und Sebastian Greenwood schon ganz zu Beginn juristisch beraten und war einer der ersten Direktoren einer OneCoin Firma mit Sitz in Gibraltar.
Aus Justizkreisen in Münster ist zu erfahren, dass sich der Mammut-Prozess auf sein Ende zu bewegt. Noch in dieser Woche könnte sich entscheiden, wie es weiter geht. Nach Auskunft der Sprecherin des Landgerichts wird es allerdings „frühestens in den Ende September anberaumten Terminen zu ersten Plädoyers kommen“. Wie viele Verhandlungstage das dauern wird und wann dann tatsächlich im erste großen Verfahren in Deutschland die Urteile gesprochen werden, ist allerdings offen.
Björn S.
Ruja Ignatovas Ehemann Björn S. wartet im Frankfurter Umland auf die Entscheidung des Landgerichts Darmstadt. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen Strehl erhoben. Er soll knapp acht Millionen Euro für seine Ehefrau gewaschen haben. Ob das Landgericht die Anklage zulässt, ist immer noch offen.
Gilbert Armenta
Fakt ist dagegen, dass Gilbert Armenta in Florida inzwischen seine Strafe absitzt. Der Ex-Geliebte von Ruja Ignatova und einer ihrer US-amerikanischen Geldwäscher ist unter der Häftlingsnummer 79562-0554 zu finden. Er muss bis zum 12. September 2026 im FCI in Miami seine Strafe absitzen.
Es wird als ein Gefängnis für Männer mit niedriger Sicherheitsstufe beschrieben, an das noch ein „Minimum Security Camp“ angeschlossen ist. Dort wollte Armenta seine Strafe verbüßen, hatte sein Anwalt bei der Urteilsverkündung im Februar gebeten. Damals hatte Richter Edgardo Ramos Armenta zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Strafmildernd hat sicher gewirkt, dass Armenta intensiv mit dem FBI zusammengearbeitet hat – und das, als er immer noch ein Liebesverhältnis mit Ignatova hatte. Bis wenige Tage vor ihrem Untertauchen am 25. Oktober 2017 telefonierten die beiden und turtelten miteinander. Ruja saß in ihrer Villa in Sofia, Gilbert angeblich in Florida, in Wirklichkeit schon in Gewahrsam des FBI in New York.
Nach dem Häftlingsregister muss Armenta auch die fünf Jahre nicht komplett verbüßen, sondern wird schon nach drei Jahren und drei Monaten freikommen.
(Bei der Recherche unterstützte Melanie from Germany.)