Am späten Sonntagabend läuft im Privatsender VOX ein Beitrag über Ruja Ignatova. Unter anderem mit Fotos aus dem Abibuch des Gymnasiums aus dem Jahr 1999, die die NRWZ veröffentlicht hatte.
Eine Kriminalpsychologin versucht zu erklären, weshalb Ruja ins Kriminelle abgerutscht ist. Ein Opferanwalt spekuliert, ob und wie Ruja heute lebt und die langjährige Ruja-Freundin Asdis Ran darf erzählen, dass sie nicht glaubt, Ruja habe den OneCoin-Betrug von Anfang an geplant: „Das ist ihr entglitten.“
Und während die Vox-Sendung lief, ging der Betrug um die angebliche Kryptowährung munter weiter. Anfang der Woche hatte die bulgarische OneCoin Zentrale einen neuen Chef präsentiert. Zugleich ging eine neue Version der „Handelsplattform Dealshaker“ online. Überall erwarten Anhänger der angeblichen Kryptowährung, dass sie doch noch mit einem Schlag steinreich werden könnten. Dazu erzählen sie sich die skurrilsten Geschichten.
Derweil verhandelt das Landgericht Münster weiter gegen drei Angeklagte in Deutschland unter anderem wegen Betrugs. Am Mittwoch hat ein Gericht in Nancy entschieden, Frank Schneider kann an die USA ausgeliefert werden. Schneider, früher in einer Führungsrolle im Geheimdienst von Luxemburg, diente Ruja Ignatova als Sicherheitschef.
Konstantin Ignatov gibt seit einiger Zeit keinen Laut mehr von sich – und von seiner Schwester Ruja gibt es seit dem 25. Oktober 2017 kein Lebenszeichen mehr.
OneCoin-Verkäufer machen munter weiter: Dealshaker 2.0
Der „Dealshaker 2.0“, von den OneCoin Organisatoren lange angekündigt, ist nun tatsächlich online. Auf dieser Plattform können Händler ihre Produkte und Dienstleistungen weltweit anbieten. Kaufen kann man die Produkte mit echtem Geld, also Dollar oder Euro und OneCoin.
Dabei gilt meist 50 Prozent richtiges Geld, 50 Prozent in OneCoin. Diese existieren, so sind jedenfalls die meisten Fachleute überzeugt, nicht tatsächlich in einer Blockchain, sondern nur in einer von OneCoin erstellten Software, die Transaktionen vorspielt.
Anruf aus dem Fränkischen bei der NRWZ. Ein älterer Herr, nennen wir ihn Heinz Holderbusch, meldet sich. Er müsse da nun mal was sagen. Seit Jahren würden „unwahrscheinlich viele Falschmeldungen über OneCoin“ verbreitet. Er habe ein Netzwerk von 500 Personen und selbst viel recherchiert. Es sei doch so, dass jeder bisher seine OneCoin erhalten habe. Das Problem sei, man könne damit nichts machen, weil die OneCoin nicht handelbar seien.
Da helfe nun der Dealshaker, versichert Holderbusch. „Da können Sie alles kaufen“, betont er, gibt aber gleichzeitig zu: „Da ist auch ein Haufen Mist dabei.“ Er selbst habe deshalb auch noch nichts dort gekauft. Auf einer solchen Seite reicht das Angebot von Elektrogeräten aus Vietnam über eine Trainingshose aus Rumänien bis zu einer Nähmaschine und einem Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls aus Südostasien. Verkauft haben die Händler auf der abgebildeten Seite offenbar noch nichts.
OneCoin mit neuem CEO – ein Mann mit Vergangenheit
In einem mit Bombastmusik unterlegten Video kann man die asiatische „New Dealshaker Night“ erleben. Ab etwa der neunten Minute tritt der neue „Chief Executive Officer“ von OneCoin, Ventsislav Zlatkov, mit einer Videobotschaft auf. In ordentlichem Englisch mit osteuropäischem Akzent versichert der rundliche Herr im dunklen Anzug und knalloranger Krawatte, er habe sich in den letzen Monaten intensiv um „den erfolgreichen Start der neuen Dealshaker Plattform“ gekümmert.
Er verspricht, OneCoin werde „unwiderstehlich attraktiv für viele neue Kunden werden – und „unbesiegbar für unsere Gegner“. Dieser Januar 2022 werde der allerwichtigste Monat für OneCoin werden.
Im Blog BehindMLM haben die Rechercheure schnell herausgefunden, dass dieser Ventsislav Zlatkov vor vielen Jahren bereits zwei Firmen in Bulgarien geführt hat, die beide inzwischen pleite sind und hohe Steuerschulden haben sollen.
Bei OneCoin arbeitet er seit 2020. Und zwar als „Senior Analyst and Financial Advisor“. Vorher habe er als Verkaufsmanager und Spezialist für Kryptowährungen gearbeitet – bei welchen Firmen erfährt man aus dem Lebenslauf auf einer OneCoin-Seite allerdings nicht.
Zlatkov ist ein Nachfolger von Veselina Valkova. Sie hatte nach Konstantin Ignatovs Verhaftung im März 2019 bei OneCoin in Bulgarien die Chefposition übernommen. Doch schon im Herbst 2019 war sie ausgestiegen und hatte versucht eine eigene Cryptowährung ins Leben zu rufen, was aber misslang. Nun hat sie eine ganz neue Idee: Sie schreibt ein Buch: „OneCoin – Two Sides“. Und um richtig Kohle zu machen, versucht sie, das Werk als NFT stückchenweise und als Sammlerobjekt unters Volk zu bringen.
Nutzt die OneCoin-Organisation Bitcoin zur Geldwäsche?
Die bulgarische OneCoin-Organisation, das enthüllt nun Blogger „Semjon“ bei BehindMLM, handle kräftig mit Bitcoin. Zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar fand der Blogger auf mehreren Krypto-Adressen, die er OneCoin zuordnet, hunderte von Bitcointransaktionen in einem Gesamtwert von etwa anderthalb Millionen Euro.
„Semjon“ vermutet, dass die Transaktionen dazu dienen, die „Gewinne aus ihren kriminellen Geschäften zu waschen“. Auf einem der „Bitcoin-Konten“ seien inzwischen mehr als 161 Bitcoin, oder knapp sechs Millionen Euro. Das sei so ungefähr die Summe, die die OneCoiner in letzter Zeit eingesammelt hätten.
Großereignis in Bogota
Um das wieder zu steigern, plant OneCoin eine dreitägige Großveranstaltung in Bogota, Kolumbien. Vom 28. bis 30. Januar. VIP-Tickets sind für 500 Euro zu haben – einschließlich eines Gala-Dinners. Dort werde ein neues „White Paper“ vorgestellt, der neue Deal-Shaker gestartet, und die Gäste erfahren die neuesten Nachrichten aus dem Unternehmen. Die Veranstalter versprechen: „Ein unvergessliches Ereignis.“
„OneCoin wird der ÜberCoin“
Nach wie vor finden die OneCoin-Verkäufer Menschen, die an den großen Reichtum glauben. Leute wie den Franken Holderbusch. Obwohl seit Jahren keine der großspurigen Ankündigungen der OneCoiner eintraf, bleibt er überzeugt, aufs richtige Pferd gesetzt zu haben. Seine Theorie: Die Zentralbanken der großen Länder werden alle eigene Kryptowährungen starten, China den e-Yuan, die USA einen e-Dollar, die Briten das e-Pfund und die Europäer einen e-Euro.
„Alle warten auf den Start der Zentralbanken“, erzählt er begeistert am Telefon. Bis April werde es soweit sein. „Und dann gibt es natürlich einen ‚Über-Coin‘ für den Austausch untereinander.“ Für Holderbusch keine Frage, wie dieser Übercoin heißen wird: OneCoin.
Rujas Sicherheitsmann Frank Schneider scheitert vor Gericht – vorerst
Derweil hat in Nancy am 19. Januar ein Gericht zu Ungunsten von Frank Schneider entschieden. Einen Schritt näher an der Auslieferung in die USA ist Rujas Ex-Mann fürs Grobe. „L’essentiel“ berichtet, dass die Richter dem Auslieferungsantrag der US-Behörden bescheinigen, grundsätzlich zulässig, und den Regeln entsprechend gestellt zu sein. Das Argument, Schneiders Grundrechte würden in den USA missachtet, ließen die Berufungsrichter nicht gelten.
Wer ist Frank Schneider?
In einem Interview mit einem luxemburgischen Journalisten schildert Schneider die dramatischen Umstände seiner Festnahme: „Vier ungekennzeichnete Autos fuhren mit hoher Geschwindigkeit an die Seite (unseres Autos), vorne und hinten dran, zwangen (meine Frau) Sophie scharf in den Straßengraben zu bremsen. Etwa ein Dutzend Männer in Zivil habe sofort unser Auto eingekreist und uns ihre Waffe an den Kopf gehalten. Auch (unserem Sohn) Jamie.“ („Four unmarked cars drove up at high speed to the side, front and behind us, forcing Sophie to brake hard into the gutter. About a dozen men in plain clothes instantly surrounded our car and pointed guns straight at our heads, Jamie included.“)
Später hätte die französische Polizei ihn in eine nach Urin und Kot stinkende Zelle gesperrt. In einem anderen Artikel auf Luxemburgerisch erklärt Schneider dem Journalisten, weshalb seine Auslieferung gegen die Menschenrechte verstieße.
Schneider gründete nach seinem Ausscheiden aus dem Luxemburgischen Geheimdienst,die Beratungsfirma Sandstone. Er hatte in den USA unter anderem für Ruja Ignatova ein Apartment unter der Wohnung von Gilbert Armenta angemietet. Armenta war zeitweise Rujas Lover und einer ihrer Geldwäscher. Ruja misstraute ihm – und Schneider ließ aus dem Apartment ein Loch durch die Decke bohren, um Armenta zu belauschen. Nach Rujas Verschwinden im Oktober 2017 bat Konstantin Ignatov Schneider nach Ruja zu suchen, allerdings vergebens.
Dem Urteil des französischen Gerichts ist zu entnehmen, dass die US-Behörden Schneider verdächtigen, von 2014 bis 2019 für OneCoin gearbeitet und Betrug und Geldwäsche im Zusammenhang mit OneCoin begangen zu haben. Außerdem soll er vertrauliche Informationen der Polizei an die OneCoin-Gründerin Ignatova weiter gegeben haben, sodass diese fliehen konnte.
Am 21. April 2021 hatten die französischen Behörden Schneider festgenommen. Erst im November 2021 kommt er aus dem Gefängnis frei und wartet seither mit elektronischer Fußfessel im Hausarrest auf den Prozess. Nach dem Urteil zur Auslieferung haben Schneiders Anwälte angekündigt, in die nächste Instanz gehen zu wollen. Schließlich werde wohl die französische Regierung entscheiden müssen, ob Schneider an die USA ausgeliefert wird, schreibt L‘essentiel. Dort müsste er sich wegen Betrugs und Geldwäsche verantworten.
Was weiß Frank Schneider?
Wenn Schneider ausgeliefert werden sollte, könnte er versuchen, mit den US-Behörden einen Deal zu machen. So wie vor ihm Konstantin Ignatov. Wahrscheinlich weiß Schneider noch wesentlich mehr als Ignatov. Erstens war er praktisch von Anfang an dabei und zweitens als Rujas Sicherheitsbeauftragter mutmaßlich auch wesentlich besser informiert.
Manch einer vermutet, Schneider könnte sogar wissen, wo Ruja Ignatova steckt, zumindest etwas präziser als das isländische Model Asdis Ran im VOX-Beitrag. Da flötet sie: „Ruja, ich hoffe, dass du in Sicherheit bist, und nicht im Himmel.“ Vermutlich wünschen viele tausend OneCoin Opfer die verschwundene Crypto-Queen an einen ganz anderen Aufenthaltsort.