„Mit Leib und Seele Kommunalpolitiker“ – Rat verabschiedet Bernd Richter

In 35 Jahren viel bewegt / Rat zollt großen Respekt und Dank

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Selten waren die Gemeinderätinnen und Räte emotional so berührt wie am Donnerstagabend: Stadtrat Bernd Richter, nach einem Schlaganfall im Sommer 2021 an den Rollstuhl gefesselt und nicht in der Lage zu sprechen, verabschiedete sich nach 35 Jahren Ratstätigkeit aus dem Gremium.

Schramberg. In die Sitzung gekommen waren auch einige Wegbegleiter, um Richter zu verabschieden. Gemeinsam mit seiner Frau Evi hatte er vorn am Ratstisch Platz genommen. Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr begrüßte die beiden und gratulierte nachträglich zum 80. Geburtstag.

Noch einmal am Ratstisch: Evi und Bernd Richter am Donnerstagabend. Foto: him

Eisenlohr: Spannende politische Laufbahn

Sie ging in ihrer Würdigung auf die „spannende politische Laufbahn“ Richters ein, der in den 70er Jahren bei der FDP-Mitglied war und dann in den 80ern zur ÖDP gefunden habe. Von 1989 bis 2004 gehörte Richter der Liste Buntspecht an. Seit 2004 hatte die ÖDP eine eigene Liste, und Richter war deren Fraktionsvorsitzender bis gestern.

Auch im Kreistag ist Richter bis heute Mitglied. Eisenlohr erinnerte an die vielen Funktionen, die er in seiner Partei innehatte bis hin zum Bundes- und Landesvorsitzenden.

Sie kenne Richter als „einen der gefährlichsten Radler der Stadt, sogar noch gefährlicher als ein anwesender Journalist der NRWZ“, scherzte sie. Richter sei auch in vielen Vereinen wie Greenpeace, BUND oder Pax Christi Mitglied und lange Jahre auch Kirchengemeinderat in Sulgen gewesen.

OB Dorothee Eisenlohr bei ihrer Würdigung. Foto: him

Sie wolle Richter mit einem Akronym seines Vornamens beschreiben. Das B stehe für Bescheidenheit. Richters Reden seien „immer kurz und auf den Punkt“ gewesen, es sei ihm nie um Selbstbeweihräucherung gegangen.

E wie Entschlossenheit“, fuhr Eisenlohr fort. Richter habe nicht erst geschaut, wie die anderen sich verhalten, sondern für seine Sache gekämpft.

R stehe für radikal. Ihm sei es darum gegangen auch einen gesellschaftlichen Umschwung zu erreichen.

Beim N müsse sie ein wenig schummeln, meinte Eisenlohr und nannte „innovativ und nachhaltig“.

Und schließlich D für demokratisch. Richter sei ein Demokrat durch und durch.

Eisenlohrs Fazit: „Sie waren ein Stadtrat, der die Entwicklung der Stadt nachhaltig geprägt hat.“ Sie wünschte ihm, seiner Frau Evi, den vier Kindern und Enkeln von Herzen alles Gute und überreichte zum Abschied Blumen und einen Gutschein des Handels- und Gewerbevereins.

Alle Anwesenden erhoben sich und spendeten Bernd Richter und seiner Frau Evi langanhaltenden Beifall.

Großer Beifall für den über alle Fraktionsgrenzen hinweg beliebten Kollegen. Foto: him

Evi Richter: Er wird es nicht vergessen

Im Namen ihres Mannes, der immer wieder mit den Tränen zu kämpfen hatte, dankte Evi Richter für die herzliche Verabschiedung und versicherte: „Er wird es nicht vergessen.“

Evi Richter dankt im Namen ihres Mannes. Foto: him

Im Namen des Gemeinderats sprach Tanja Witkowski (SPD-Buntspecht). Sie habe sich sehr gefreut, dass Richter „live und in echt“ mit seiner Frau in die Sitzung kommen konnte. Er sei seit 1989 „mit Leib und Seele Kommunalpolitiker“, der Vieles bewegt habe.

Witkowski: Dein Humor und deine Hartnäckigkeit werden fehlen

Sie erinnerte an seine „legendär kurzen Haushaltsreden“, die immer politisch waren und in denen er konsequent die Bedeutung der Familie hervorgehoben und eine familienfreundliche Politik gefordert habe. Genauso konsequent sei er für ökologische und umweltpolitische Themen eingetreten. Oft sei er damit nicht durchgedrungen, habe aber Diskussionen angestoßen, die bis heute im Rat nachwirkten.

So habe Richter erreicht, dass im Rat von „Redeliste“ und nicht mehr von „Rednerliste“ gesprochen werde. Damit sei er seiner Zeit voraus gewesen. Er sei immer konsequent, hartnäckig und ökologisch korrekt. Ein SPD-Mitglied und Ex-Lehrerkollege habe einmal gesagt: „Beim Bernd ist sogar das Essen eines Apfels eine politische Demonstration.“

Viele Erinnerungen

In ihrer Fraktion habe Bernd Richter bei vielen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Etwa bei Mirko Witkowski, als er vor vielen Jahren aus einem „große Otto“ sprang, um für Müllvermeidung zu demonstrieren.

Reinhard Günter erinnerte sich, dass Richter in den 80er Jahren schon Kontakt zu den „Umweltbewegten“ in Tennenbronn geknüpft und sie unterstützt habe. Und Lara Kiolbassa habe ihr erzählt, dass bei einer Sitzung in der kalten Aula in Coronazeiten Richter ihr seine dicke Fahrradjacke gegen die Kälte überlassen habe. „Sie konnte sich zwar nicht mehr bewegen, aber es war warm.“

Mit seinen gelegentlich „mit viel Pfeffer und Schmackes“ vorgetragenen Zwischenrufen habe er auch schon für Entrüstung im Rat gesorgt, oft aber den wunden Punkt getroffen. Er habe seine Positionen mit Hartnäckigkeit und Humor vertreten, Abstimmungsniederlagen aber immer ohne Murren hingenommen.

Tanja Witkowski mit Erinnerungen an Bernd Richters Ratstätigkeit. Foto: him

Und wenn er sich einmal über eine Entscheidung maßlos geärgert habe, dann sei er auf sein Fahrrad gestiegen, die Steige hochgefahren. Und spätestens in Sulgen „war der Ärger meist verflogen“.

Nie aufgeben zu kämpfen

Auch Witkowski erinnerte an Richters viele Funktionen in der ÖDP, deren Parteifarbe bekanntlich Orange sei. Deshalb habe sie das Weltladenteam beauftragt, einen Abschiedskorb mit vielen Dingen in der Farbe Orange zusammen zu stellen.

Oranges aus dem Weltladen zum Abschied von den Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats. Foto: him

Sein Abschied aus dem Gemeinderat stimme sie ein wenig traurig, denn: „Du hast unserem Gemeinderat mit Deinen Ansichten und Haltungen gutgetan“. Der Rat werde seinen Humor und seine innere Haltung vermissen. Das Gremium ziehe symbolisch den Hut für 35 Jahre Kommunalpolitik, seine Lebensleistung und seinen Einsatz.

Sie wünsche ihm im Namen des Rates, dass er sich auch in Zukunft für politische Themen interessiert. „Und du niemals aufgibst, für etwas zu kämpfen.“

Noch einmal großer Beifall für Bernd Richter und seine Frau. Ein Abschiedsbild am Ratstisch, noch einmal Händeschütteln – und Evi schob ihren Bernd aus dem Saal der in den vergangenen 35 Jahren fast so etwas wie sein zweites Wohnzimmer war.

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.