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    Lebenshilfe: Langsame Rückkehr in die Normalität

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    Zum ersten Mal während seiner Zeit als Landtagsabgeordneter hat der FDP-Landtagsabgeordnete Daniel Karrais  Waldmössingen besucht – und dort die Lebenshilfe. Eigentlich war der Besuch der Werkstätten geplant, aber wegen der Corona-Pandemie traf  sich Karrais mit dem neuen Ortsvorsteher von Waldmössingen Markus Falk, Heidemarie Hofmann-Princ,  der Geschäftsführerin der Lebenshilfe im Kreis Rottweil, und Lebenshilfe-Betriebsleiterin Martina Clade, im Gasthaus „Zum Frieder“.

    Seit fast zehn Jahren betreibe die Lebenshilfe die Gaststätte nun schon, erinnert sich Clade. „Nach holprigem Anfang haben wir uns inzwischen gut etabliert.“ Das Lokal werde von den Menschen in Waldmössingen und außerhalb inzwischen sehr gut angenommen. Im „Frieder“ arbeiten etwa ein halbes Dutzend Menschen mit Beeinträchtigungen sowie zwei Köche und eine Restaurantfachkraft, die den Betrieb beaufsichtigen und die Mitarbeiter anleiten. Hinzu kommen einige Mitarbeiter, die in der Berufsfindungsphase sind und ausprobieren, ob sie hier auf Dauer arbeiten möchten.

    Alle Feste ausgefallen

    Derzeit  hätte der “Frieder“ sehr zu kämpfen: „Feste sind unsere Haupteinnahmequelle, Geburtstage, Taufen Hochzeiten, alles ist ausgefallen.“  Auch jetzt seien die Coronavorschriften strikt. Allerdings sei der „Frieder“ in einer besseren Lage als die meisten anderen Gastrobetriebe: „Die Pflegesätze laufen weiter.“

    Mit Renovierungsarbeiten und einem kleinen „Außer-Haus-Verkauf“ habe man die schwierigste Zeit überbrückt, so Clade. Was die Krankheit selbst betrifft, freuen sich die Lebenshilfeverantwortlichen, denn bisher sei niemand erkrankt.

    Heime und Menschen abgeschottet

    Die Geschäftsführerin der Lebenshilfe Heidemarie Hofmann-Princ erinnerte an die Entstehungsgeschichte der Lebenshilfe im Kreis Rottweil, die aus den drei Ortsvereinen Schramberg, Oberndorf und Rottweil entstanden war. Neben den beiden Werkstätten in Rottweil und Waldmössingen biete die Lebenshilfe stationäre und ambulante Wohnmöglichkeiten oder auch das Leben in Gastfamilien.

    Das Antonie-Anton-Wohnheim in Waldmössingen sei seit einem Wasserschaden vor etwa einem Jahr allerdings geschlossen und die Bewohner in einer Einrichtung der AWO in Dietingen untergebracht, berichtete Hoffmann Princ dem Abgeordneten Karrais.  Das Haus in Waldmössingen soll nach einem kompletten Umbau im September wieder eröffnet werden.

    Wegen der Coronapandemie seien die Wohnheime „abgeschottet“ gewesen, erst seit etwa zehn Tagen gebe es wieder Besuchsmöglichkeiten. Karrais wollte wissen, welche Auswirkungen die Abschottung auf die Bewohner habe. Manche seien trauriger, hat Hoffmann Princ beobachtet. Die Menschen durften  sechs Wochen  ja nicht einmal aus dem Haus. Mit Freizeit-Angeboten habe das Team aber für eine Tagesstruktur gesorgt nach dem Motto: „Wer rastet der rostet.“ Sie glaube aber nicht, dass die Isolation bleibende Schäden hinterlassen werde.

    Langsame Öffnung

    Hinzu kam, dass auch die Werkstätten geschlossen werden mussten. Da viele Mitarbeitende zu den Risikogruppen zählen, würde nur langsam wieder geöffnet. Seit Mitte Mai begann man, mit einem Viertel der Mitarbeitenden unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln wieder in der Werkstatt zu arbeiten. Für manche Lebenshilfe-Beschäftigte sei es schwer zu verstehen, weshalb sie sich nicht mehr umarmen dürften.

    Sollte es eine zweite Welle geben, glaubt Hofmann-Princ, werde man von den Abläufen her nicht mehr so überrascht sein. Was die Kommunikation „von oben her“ angehe, sieht sie Verbesserungsbedarf: „Das war oft verwirrend.“ Bei einer zweiten Welle wisse man aber natürlich auch nicht, ob das Virus bis dahin mutiert sei, andere Eigenschaften habe. “Aber ein paar Erfahrungswerte haben wir jetzt.“

    „Luft nach oben“ im Umgang mit Menschen mit Behinderung

    Karrais fragte, wo die Lebenshilfe noch Verbesserungsbedarf sehe, und Hofmann-Princ wurde grundsätzlich: Die Gesellschaft insgesamt habe im Umgang mit Menschen mit Behinderung noch „viel Luft nach oben“. Der Umgang miteinander in Vereinen oder bei der Arbeit sei noch nicht so natürlich. Wir lebten in einer Ellbogengesellschaft, in der nur Leistung zähle.  Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang miteinander seien wichtig.

    Das  zum Jahresbeginn in Kraft getretene Bundesteilhabegesetz habe einerseits endlich die Behindertenhilfer „aus der Schmuddelecke Sozialhilfe“ gelöst und zur Rehabilitation eingefügt. Andererseits habe das Gesetz eine Unmenge an Bürokratie und Papierkram ausgelöst. „Es ist ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm geworden.“

    Insgesamt hat Hofmann-Princ in den vergangenen 20 Jahren viele Veränderungen im Umgang mit Menschen mit Handicap beobachtet. „Die Gesellschaft ist offener geworden und nimmt das ‚Anders-sein‘ besser an.“

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    Martin Himmelheber (him)
    Martin Himmelheber (him)
    ... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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    Zum ersten Mal während seiner Zeit als Landtagsabgeordneter hat der FDP-Landtagsabgeordnete Daniel Karrais  Waldmössingen besucht – und dort die Lebenshilfe. Eigentlich war der Besuch der Werkstätten geplant, aber wegen der Corona-Pandemie traf  sich Karrais mit dem neuen Ortsvorsteher von Waldmössingen Markus Falk, Heidemarie Hofmann-Princ,  der Geschäftsführerin der Lebenshilfe im Kreis Rottweil, und Lebenshilfe-Betriebsleiterin Martina Clade, im Gasthaus „Zum Frieder“.

    Seit fast zehn Jahren betreibe die Lebenshilfe die Gaststätte nun schon, erinnert sich Clade. „Nach holprigem Anfang haben wir uns inzwischen gut etabliert.“ Das Lokal werde von den Menschen in Waldmössingen und außerhalb inzwischen sehr gut angenommen. Im „Frieder“ arbeiten etwa ein halbes Dutzend Menschen mit Beeinträchtigungen sowie zwei Köche und eine Restaurantfachkraft, die den Betrieb beaufsichtigen und die Mitarbeiter anleiten. Hinzu kommen einige Mitarbeiter, die in der Berufsfindungsphase sind und ausprobieren, ob sie hier auf Dauer arbeiten möchten.

    Alle Feste ausgefallen

    Derzeit  hätte der “Frieder“ sehr zu kämpfen: „Feste sind unsere Haupteinnahmequelle, Geburtstage, Taufen Hochzeiten, alles ist ausgefallen.“  Auch jetzt seien die Coronavorschriften strikt. Allerdings sei der „Frieder“ in einer besseren Lage als die meisten anderen Gastrobetriebe: „Die Pflegesätze laufen weiter.“

    Mit Renovierungsarbeiten und einem kleinen „Außer-Haus-Verkauf“ habe man die schwierigste Zeit überbrückt, so Clade. Was die Krankheit selbst betrifft, freuen sich die Lebenshilfeverantwortlichen, denn bisher sei niemand erkrankt.

    Heime und Menschen abgeschottet

    Die Geschäftsführerin der Lebenshilfe Heidemarie Hofmann-Princ erinnerte an die Entstehungsgeschichte der Lebenshilfe im Kreis Rottweil, die aus den drei Ortsvereinen Schramberg, Oberndorf und Rottweil entstanden war. Neben den beiden Werkstätten in Rottweil und Waldmössingen biete die Lebenshilfe stationäre und ambulante Wohnmöglichkeiten oder auch das Leben in Gastfamilien.

    Das Antonie-Anton-Wohnheim in Waldmössingen sei seit einem Wasserschaden vor etwa einem Jahr allerdings geschlossen und die Bewohner in einer Einrichtung der AWO in Dietingen untergebracht, berichtete Hoffmann Princ dem Abgeordneten Karrais.  Das Haus in Waldmössingen soll nach einem kompletten Umbau im September wieder eröffnet werden.

    Wegen der Coronapandemie seien die Wohnheime „abgeschottet“ gewesen, erst seit etwa zehn Tagen gebe es wieder Besuchsmöglichkeiten. Karrais wollte wissen, welche Auswirkungen die Abschottung auf die Bewohner habe. Manche seien trauriger, hat Hoffmann Princ beobachtet. Die Menschen durften  sechs Wochen  ja nicht einmal aus dem Haus. Mit Freizeit-Angeboten habe das Team aber für eine Tagesstruktur gesorgt nach dem Motto: „Wer rastet der rostet.“ Sie glaube aber nicht, dass die Isolation bleibende Schäden hinterlassen werde.

    Langsame Öffnung

    Hinzu kam, dass auch die Werkstätten geschlossen werden mussten. Da viele Mitarbeitende zu den Risikogruppen zählen, würde nur langsam wieder geöffnet. Seit Mitte Mai begann man, mit einem Viertel der Mitarbeitenden unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln wieder in der Werkstatt zu arbeiten. Für manche Lebenshilfe-Beschäftigte sei es schwer zu verstehen, weshalb sie sich nicht mehr umarmen dürften.

    Sollte es eine zweite Welle geben, glaubt Hofmann-Princ, werde man von den Abläufen her nicht mehr so überrascht sein. Was die Kommunikation „von oben her“ angehe, sieht sie Verbesserungsbedarf: „Das war oft verwirrend.“ Bei einer zweiten Welle wisse man aber natürlich auch nicht, ob das Virus bis dahin mutiert sei, andere Eigenschaften habe. “Aber ein paar Erfahrungswerte haben wir jetzt.“

    „Luft nach oben“ im Umgang mit Menschen mit Behinderung

    Karrais fragte, wo die Lebenshilfe noch Verbesserungsbedarf sehe, und Hofmann-Princ wurde grundsätzlich: Die Gesellschaft insgesamt habe im Umgang mit Menschen mit Behinderung noch „viel Luft nach oben“. Der Umgang miteinander in Vereinen oder bei der Arbeit sei noch nicht so natürlich. Wir lebten in einer Ellbogengesellschaft, in der nur Leistung zähle.  Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang miteinander seien wichtig.

    Das  zum Jahresbeginn in Kraft getretene Bundesteilhabegesetz habe einerseits endlich die Behindertenhilfer „aus der Schmuddelecke Sozialhilfe“ gelöst und zur Rehabilitation eingefügt. Andererseits habe das Gesetz eine Unmenge an Bürokratie und Papierkram ausgelöst. „Es ist ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm geworden.“

    Insgesamt hat Hofmann-Princ in den vergangenen 20 Jahren viele Veränderungen im Umgang mit Menschen mit Handicap beobachtet. „Die Gesellschaft ist offener geworden und nimmt das ‚Anders-sein‘ besser an.“

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