Es ist zu laut in manchen Bereichen der Stadt. Lärm wird nicht nur „als störend oft empfunden“, um Wilhelm Busch ein wenig abgewandelt zu zitieren, er kann auch die Gesundheit gefährden. Keine neue Erkenntnis. Deshalb hat die Europäische Union schon vor bald zwei Jahrzehnten dazu Vorschriften erlassen, die nach und nach nun umgesetzt werden. Zum Bespiel mit einem Lärmaktionsplan. Die NRWZ hat die vorgesehenen Maßnahmen schon ausführlich vorgestellt.
Schramberg. Im Ausschuss für Umwelt und Technik hat Peter Koehler vom Karlsruher Büro Koehler und Leutwein jetzt den einen dicken Leitz-Ordner füllenden Plan vorgestellt. In seiner Präsentation ging er auf die Vorschriften ein und erklärte, weshalb bei diesen Aktionsplänen die Lärmwerte nicht jeweils gemessen, sondern berechnet werden. Tatsächlich gemessen werde in Baden-Württemberg an zwei Messtellen in Karlsruhe und Tübingen. Die dort ermittelten Werte glichen die Wissenschaftler mit ihren berechneten Werten ab.
In Schramberg habe sein Büro eine Verkehrszählung durchgeführt und anhand der Daten auch der Stadt die Lärmpegel an allen Hausfassaden berechnet. „Wir haben fast 75.000 Berechnungen gemacht.“ In den Richtlinien sind Grenzwerte festgelegt, ab denen gehandelt werden soll oder muss.
Bei 65 Dezibel dB(A) bei Tag und 55 Dezibel nachts beginne der gesundheitskritische Bereich. Ab 67 dB(A) beziehungsweise 57 dB(A) besteht die Pflicht zu verkehrsbeschränkenden Maßnahmen und ab einem Geräuschpegel von 70 dB(A) beziehungsweise 60 in der Nacht besteht eine Gesundheitsgefährdung, die „zwingend beseitigt“ werden muss.
Beim Fahrzeuglärm müsse man das Rollgeräusch und das Fahrzeuggeräusch unterscheiden. Die Rollgeräusche seien dank leiserer Motoren auch bei niedrigeren Geschwindigkeiten schon höher als die Fahrzeuggeräusche. Die Zunahme an E-Autos werde also nicht sehr viel beim Lärm bewirken.
Stadt muss etwas unternehmen
Nach seinen Berechnungen seien in Schramberg 23 Prozent der Bevölkerung von hohen Lärmimmissionen betroffen. Bei fünf Prozent liege man im gesundheitsgefährdenden Bereich. Um dagegen zu steuern, gäbe es die Temporeduzierung oder lärmmindernde Maßnahmen wie andere Fahrbahnbeläge oder Schallschutzfenster.
An der B 462 in der Talstadt sei die Stadt verpflichtet, etwas zu unternehmen. „Die Geschwindigkeitsreduzierung ist schnell umsetzbar“, so Koehler. Denkbar wären natürlich auch lärmreduzierende Maßnahmen wie Flüsterasphalt „oder Verkehr rausnehmen“. Ein Hinweis, den Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr aufgriff und als Argument für die Talumfahrung verbuchte – die allerdings frühestens in 15 Jahren, wenn überhaupt, gebaut werden wird.
Busse berücksichtigen
Koehler wies auf das Problem der längeren Fahrtzeiten hin, wenn Tempo 30 eingeführt werde. Auf der Strecke Stadteingang bis Grüne-Baum-Kurve wären die Autofahrer 113 Sekunden länger unterwegs als mit Tempo 50. Auch die Busse bräuchten knapp eine Minute mehr. Wegen Haltestellen und Fahrplanbedingungen sind die Fahrtzeiten andere als bei „normalen“ Autos. Busse fahren schon jetzt „im Mittel unter 30 Stundenkilometer“, so Koehler. Bei Tempo 30 in der Schillerstraße wären die Busse ebenfalls etwa eine Minute länger unterwegs.
Ähnlich wie ein Bebauungsplan müsse der Lärmaktionsplan öffentlich ausgelegt und die „Träger öffentlicher Belange“ eingebunden werden. Das seien insbesondere auch die Busunternehmen. Die Ergebnisse der Anhörungen würde sein Büro dann aufarbeiten, und der Gemeinderat schließlich den Lärmaktionsplan beschließen. Alle fünf Jahre werde er überprüft und eventuell an neue Bedingungen angepasst.
Schutz der Menschen geht vor
Mirko Witkowski (SPD-Buntspecht) lobte den informativen Vortrag. „Ich bin froh, dass wir endlich so weit sind.“ Es gehe um den Schutz der Menschen vor Lärm. Klar sei, dass Tempo 30 manche Autofahrer nerven werde. Aber der Schutz der Gesundheit sei höher einzuschätzen als das Fahrvergnügen. Seine Fraktion spreche sich für flächendeckend Tempo 30 in der Stadt aus.
Er wollte wissen, wie die Geschwindigkeitsreduzierung durchgesetzt werden soll und bis wann die ersten Maßnahmen umgesetzt werden. Schließlich bat er den Fachmann, nochmals zu erklären, weshalb die Berechnungen besser als Messungen seien.
Rechnen ist genauer
Koehler erläuterte, es gebe zahlreiche Modelle, nach denen die Lärmberechnungen durchgeführt würden. Da gehe es um den Anteil des Schwerverkehrs, der Motorräder, den Fahrbahnbelag. Kopfsteinpflaster habe andere Werte als Asphalt. Er versicherte, die Verfahren seien seit Jahrzehnten erprobt und weit fortgeschritten.
Auf Nachfrage von Jürgen Kaupp (CDU) erläuterte Koehler, eine Verkehrszählung an einem Tag reiche, man könne dann dank bestimmter Umrechnungsfaktoren auf einen realistischen Jahresdurchschnittswert kommen. Diese Werte seien in der Richtlinie festgelegt und die wende man an. Die Berechnungen würden auch immer wieder mit den Messungen in Karlsruhe und Tübingen verglichen.
Die Angabe, wie viele Personen in den Häusern jeweils betroffen seien, entnehme man aus den Katastern der Kommunen. Diese seien aber wegen des Datenschutzes nicht öffentlich zugänglich.
Zur Umsetzung erläuterte Stadtplanerin Verena Schneider, dies sei direkt nach Inkrafttreten des Lärmschutzplanes möglich. Sie rechne damit im ersten Halbjahr 2024. Koehler riet dazu, einen Fahrplanwechsel zu nutzen. Dann könnten die Busunternehmen die verlängerten Fahrtzeiten in die Pläne einarbeiten.
Messen und kontrollieren
Fachbereichsleiter Matthias Rehfuß versprach, die Stadt werde die Tempo30-Regelungen mit dem Vollzugsdienst durchsetzen. Man setze auch auf weitere stationäre Messanlagen. 2025 möchte er auch einen Messanhänger für Schramberg anschaffen, um an der Bundesstraße kontrollieren zu können. Andererseits, werde die Stadt auch „nicht zu viel überwachen“, versprach er.
Volker Liebermann (ÖDP) nannte es „einen Segen, wenn die Lärmbelästigung runtergeht“. Seine Fraktion habe schon lange für Tempo-30-Zonen gestritten. Auf Nachfrage von Hilmar Bühler („Aktive Bürger“), weshalb die B 462 insgesamt betrachtet werde, an anderer Stelle aber Unterabschnitte gebildet wurden, erläuterte Koehler, die Richtlinie erlaube Lücken bis 300 Meter zu schließen, um nicht ständig beim Tempo wechseln zu müssen.
Eisenlohr verwies auf den Wunsch aus Tennenbronn, dort in der Hauptstraße nachts Tempo 30 vorzugeben. Mit diesem Zusatz empfahl der Ausschuss bei einer Enthaltung dem Gemeinderat, den Lärmaktionsplanentwurf zu beschließen und das Verfahren voranzutreiben.
Auch Gemeinderat stimmt zu
Nach kurzer Diskussion hat am Donnerstagabend der Gemeinderat dem weiteren Vorgehen zugestimmt. Stadträtin Bärbel Pröbstle (SPD-Buntspecht) war allerdings ungeduldig: Sie fragte, weshalb nach zwei Gutachten und eindeutigen Ergebnissen nun noch einmal zugewartet werde, und die Stadt an der B 462 nicht „sofort“ handle, wie es im Lärmaktionsplan eigentlich heiße.
Warum nicht sofort?
Stadtplaner Joschka Joos erläuterte, es sei eben eine Bundesstraße und da habe die Stadt nur dann die Möglichkeit, Tempo 30 anzuordnen, wenn es dafür eine rechtliche Grundlage gebe. Diese Grundlage sei der Aktionsplan. „Wir setzen um sofort nach Beschluss.“ Oberbürgermeisterin Eisenlohr kündigte eine Bürgerbeteiligung am 5. Dezember während der geplanten Offenlage an.
Clemens Maurer (CDU) ärgerte sich über das gesamte verfahren. Die Stadt habe den Wunsch gehabt, auf einer Straße das Tempo zu begrenzen. Dann sei das Regierungspräsidium gekommen und habe den Lärmaktionsplan gefordert. Die Stadt habe einen einfachen geliefert – und das RP einen komplizierten verlangt. „Jetzt müssen wir viele Maßnahmen machen, die wir eigentlich gar nicht wollten.“
Fachbereichsleiter Matthias Rehfuß betonte, man könne eben beim Lärmaktionsplan nicht nur einzelne Straßen betrachten. Zum Thema Bürokratie versicherte er auch die Verwaltung freue sich, wenn der Gesetzgeber Bürokratie abbaue. Allerdings glaube er nicht dran.
Bei vier Neinstimmen von Jürgen Moosmann, Dominik Dieterle, Clemens Maurer und Jürgen Kaupp, und zwei Enthaltungen von Jürgen Reuter und Thomas Brantner stimmte die deutliche Mehrheit für den Entwurf des Lärmaktionsplans.