Schramberg. „Kern-Liebers – Quo vadis?“ Das hat die IG Metall am Montag in einem Flugblatt gefragt. Auch gut eine Woche, nachdem Dr. Hans-Jochem Steim für sich und seinen Sohn Hannes den Rückzug aus dem Unternehmen angekündigt hat, bleiben viele Fragen offen. Es ist unklar, wohin der Weg bei Schrambergs größtem Unternehmen führen soll.
Der zweite Bevollmächtigte Georg Faigle berichtet im Gespräch mit der NRWZ, dass bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Überraschung über Steims Schritt groß gewesen sei. Ein Mitarbeiter fand: „Wenn Steim an einen Chinesen verkauft, das geht gar nicht.“ Andere klagten, das Geld werde knapp. Zumal die Belegschaft auf einen Teil der Sonderzahlungen verzichte. „Und der Steim nimmt das Geld und ist weg“, sei eine andere Aussage gewesen.
Gesprächsfaden wieder aufnehmen
Faigle bedauert, dass es coronabedingt seit zwei Jahren keine Betriebsversammlung mehr bei Kern-Liebers gab. Sie hätten deshalb die Fragen gestellt, in der Hoffnung in Gesprächen mit der Geschäftsleitung Antworten zu erhalten. „Wir haben Gesprächsbereitschaft signalisiert.“ Gesprächsbedarf bestünde schon seit langem, möchte man hinzufügen.
Eine der vielen offenen Fragen ist, was „unterschiedliche Auffassung in der zukünftigen strategischen Weiterentwicklung der Kern-Liebers Firmengruppe“ bedeuten soll. Eine andere, was die „Absichtserklärung des Dr.-Ing. Hans-Jochem Steim-Stamms, seine Firmenanteile zu veräußern“ genau bedeutet.
Abschied im Groll?
Man könne ja durchaus verstehen, wenn sich Steim Senior mit knapp 80 aus der Firma und dem Verwaltungsrat zurückziehe. Das sei in seinem Alter nicht überraschend. Die Ankündigung sei dennoch „ein Paukenschlag“.
Steim gelte als jemand, der mit Blick auf seine lange Erfahrung gerne Recht habe, sagt jemand, der sich in der Schramberger Unternehmensszene gut auskennt. Vielleicht habe es nach der Ära Dr. Udo Schnell mit dem neuen Chef Erek Speckert, der ebenfalls als Mann „mit starker Meinung“ gilt, nicht mehr so harmoniert. Möglicherweise hätten die anderen Gesellschafter sich auf Speckerts Seite geschlagen. Steim dann im Groll hingeworfen.
Warum verkauft Dr. Steim?
Unerklärlich scheint diesem Kenner der Szene auch, weshalb Dr. Steim den Verkauf seiner Anteile öffentlich ankündige. Damit mindere er doch deren Wert. Außenstehende müssten die Ankündigung so verstehen, als ob er nicht an den „Turnaround“ mit der neuen Linie glaube. Sonst würde er sich zwar aus dem Verwaltungsrat zurückziehen, aber seine Anteile behalten und bei Erfolg seine Rendite einstreichen. „Und wenn er schon aussteigen will, weshalb überlässt er dann seine Anteile nicht seinen Kindern?“
Auch ein anderer Beobachter wundert sich: Normalerweise würde in einem Familienunternehmen ein Eigentümerwechsel intern vorbereitet und abgeschlossen und anschließend die Öffentlichkeit informiert. Dass das hier nicht geschehen sei, deute darauf hin, dass es noch keinen Käufer für die Anteile des Dr. Hans-Jochem-Steim Stammes gebe.
Wem gehört Kern-Liebers?
Das führt zur nächsten Frage, wie hoch ist eigentlich dieser Anteil am Gesamtunternehmen? Bekannt ist, dass es zwei Gesellschafter-Gruppen gibt. Zum einen die Familie Mayer, zum anderen die Geschwister Steim mit Sybille Drosten, Dr. Jürgen Steim und Dr. Hans-Jochem Steim.
Öffentlich bekannt ist nur, dass Familie Drosten 16,434 Prozent an der Kern-Liebers Holding hält. Wie sich die übrigen Anteile aufteilen – unklar. Zur Familie Mayer ist fast nichts zu erfahren, außer dass ein weibliches Mitglied bei Kern-Liebers arbeitet.
Standort Schramberg könnte wackeln
Für den Standort Schramberg ist das Ausscheiden der Steims kein gutes Omen. Beide, Vater und Sohn, sind eng mit Schramberg verbunden, haben Freunde hier, besitzen die Junghans-Uhrenfabrik. Am Standort Schramberg hat Kern-Liebers seit vielen Jahren Probleme. Immer wieder kommt es zu Sanierungsprogrammen, immer wieder müssen die Mitarbeiter Einschnitte hinnehmen.
„Mittelfristig sehe ich schwarz für Schramberg“, so der Kenner. Zumal der neue Chef Speckert sich eher als Gesamtkonzernchef denn als Interessenvertreter des Standorts Schramberg verstehe. Andererseits, ganz aufgeben könne Kern-Liebers den Stammsitz auch nicht. Dazu seien der Konzern und seine Gesellschafter zu sehr mit der Stadt verbunden.
Auch Speckert hat in der NRWZ betont, dass das Unternehmen am Standort Schramberg festhalte.
Im Interesse des Unternehmens, aber auch der Belegschaft wäre es sicher gut, wenn bald Klarheit geschaffen würde. Wenn sich Betriebsrat, Gewerkschaft und Geschäftsführung treffen und die Probleme im Betrieb offen ansprechen.
Berührungsängste sollte es eigentlich nicht geben. Zu Beginn seines neuen Jobs bei Kern-Liebers hatte Speckert in verschiedenen Schichten in der Produktion mitgearbeitet. Im Interview mit der NRWZ hatte er erklärt, es sei ihm wichtig, „dass man auch die Perspektive der Mitarbeiter kennen lernt und mit ihnen ein paar Stunden gearbeitet und gesprochen hat“.