Schramberg. Seit einigen Jahren vertritt „Aktive Bürger“-Stadtrat Jürgen Reuter eine Theorie. Die Marienkapelle in Sulgen sei „auf dem Fundament einer karolingischen Kirche mit Westapsis” errichtet worden. Er ist überzeugt, er könne seinen “begründbaren Verdacht” unter anderem mit LIDAR-Daten der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) beweisen. LIDAR steht für Light detection and ranging. Es ist eine Form des dreidimensionalen Laserscanning.
Auf den Aufnahmen seien bestimmte Bodenstrukturen zu erkennen, die Reuter als einen Grundriss interpretiert. Dieser Grundriss weise “Ähnlichkeiten mit der Kirche St. Georg auf der Reichenau und dem St. Galler Klosterplan auf.” Das schrieb Reuter in einer Mail im November 2017 unter anderem an seine damaligen Gemeinderatskolleginnen und -Kollegen und an das Landesdenkmalamt.
Denkmalschützer: Keine Hinweise
Dr. Bertram Jenisch, Landesamt für Denkmalpflege in Freiburg wandte sich daraufhin Reuter und an die Stadt Schramberg als untere Denkmalbehörde. Er schrieb: „Wir haben im Kollegenkreis diese Hinweise geprüft, konnten allerdings zu keinem abschließenden Ergebnis kommen“, schrieb Jenisch. In den Ortsakten fänden sich „keine Hinweise auf die abgegangene Kirche, auch scheinen mir die Strukturen im LIDAR-Scan und in Orthofotos eher auf historische Feldbegrenzungen hinzuweisen.“ Allerdings wolle er „archäologische Reste an dieser markanten Stelle“ nicht ausschließen.
Weil in dem Gebiet eine Streuobstwiese geplant war, sollte die Stadtverwaltung die Ausführenden über das mögliche Vorhandensein von Mauerresten informieren. „Sollten bei den Bodeneingriffen archäologische Relikte angetroffen werden, sind die Arbeiten gemäß Paragraf 20 Denkmalschutzgesetz an dieser Stelle umgehend einzustellen und die Denkmalbehörde zu unterrichten, damit diese fachgerecht dokumentiert werden können“, schrieb Jenisch damals an die Stadt.
Baumpflanzaktion „gezielter Eingriff in den Boden“?
Nun, vier Jahre später haben tatsächlich Gartenbauer die ersten Bäume für die Streuobstwiese gepflanzt. „Die Bepflanzung erfolgte als Ökoausgleichsmaßnahme im Rahmen des Bebauungsplanes Birkenhof“, erläutert Pressesprecherin Susanne Gorgs-Mager von der Stadt Schramberg.
Jürgen Reuter meldet sich per Mail am 21. November bei Denkmalschützer Jenisch. Er habe doch schon „mehrfach die Existenz einer romanischen/karolingischen Kapelle/Kirche mit Westapsis in der Größe der St. Georg von der Reichenau (um 900) beim Marienkapelle in Schramberg-Sulgen thematisiert“, schreibt er.
Er klagt, der Stellenwert von Kulturgütern sei bei der Stadtverwaltung Schramberg „insbesondere im Stadtteil Sulgen nicht allzu hoch“. Die Stadt Schramberg habe „gezielt in den Boden eingegriffen und auf diesen Gebäuderesten Bäume gepflanzt“.
Er gehe davon aus, „dass auch die beiden mutmaßlichen Motten des Walter von Aitenbach beziehungsweise des Werner von Sulgen alternativ Kuno von (Sulg) Au (alle auf städtischen Flächen) nicht geschützt werden können oder sollen“.
Er mache den Schritt in die Öffentlichkeit, „damit wenigstens Hobbyarchäologen mit Freude am Suchen und Finden die Motten (um 1100) untersuchen“. Motte ist übrigens ein französischer Ausdruck für eine besondere Form einer kleinen Burg auf einem Erdhügel. Auch solche vermutet Reuter in dem Gebiet.
Jenisch: „Nicht einmal ein Prüffall“
Aus seinem Urlaub antwortet ihm nun der stellvertretende Fachbereichsleiter „Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit“ Jenisch:
“Wir haben Ihre bereits mehrfach bei uns vorgebrachte These zur Existenz eines karolingischen Klosters in Sulgen hausintern aber auch unter Hinzuziehung externer Spezialisten (zum Beispiel vom Institut für Europäische Architekturgeschichte der Universität Heidelberg) eingehend geprüft und sind übereinstimmend zum Schluss gekommen, dass die von Ihnen vermuteten Strukturen nicht die Kriterien erfüllen, die eine Ausweisung als Kulturdenkmal nach Paragraf 2 Denkmalschutzgesetz oder auch nur als Prüffall rechtfertigt.“ Auch dies hätte er Reuter schon mitgeteilt.
Jenisch schlägt Reuter nun vor, er solle doch selbst nachschauen: „Wenn es nun dort Bodeneingriffe (in Form von Baumsetzgruben) gibt, bietet sich Ihnen ja die Chance Ihre, von uns nicht geteilte These zu erhärten. Bei diesen Bodeneingriffen müssten ja Fundamentreste und Fundmaterial des 8. bis 11. Jahrhunderts zutage treten.
Wenn er tatsächlich etwas finden sollte, dann möge er das doch bitte melden. „Wir werden in einem solchen Fall gerne eine Neubewertung der denkmalpflegerischen Befundlage prüfen. Wie Sie wissen, ist eine Denkmalliste jederzeit fortschreibbar, wenn sich die fachliche Grundlage ändert.“
Auf Nachfrage bei der Stadtverwaltung bestätigt Pressesprecherin Gorgs-Mager: „Ja, die Stadt hat die Bäume gepflanzt und bei den Grabungen auf Mauerreste geachtet, allerdings nichts gefunden.“