Ein Samstag in Schramberg. Am frühen Nachmittag räumen die Markthändler so langsam ihre Stände ab. So weit, so normal. Doch es ist Coronazeit. Vor dem Gebäude der Schramberger Wohnungsbau baut eine Gruppe für eine Kundgebung aus Paletten und einem Auto-Anhänger eine Tribüne auf. Im Hintergrund surrt ein Stromgenerator. Neben den Tribünenbauern stehen auch einige der weiß gekleideten „devoten Gefolgsleute“ mit ihrem „Pestarzt“ auf dem Platz hinter dem Rathaus. Pestarzt & Co. hatten am Morgen die Innenstadt durchquert. Jetzt folgt eine deutlich größere Demo.
Gegen 13.45 Uhr fordert der Organisator der Veranstaltung, Fabian Daiker, die Anwesenden auf, sich zum Demostart – „Das ist zwischen Schuh Langenbach und Tiso“ – zu begeben. Er erinnert sie an die Maskenpflicht. Das wird er heute noch mehrfach tun.
Polizei zeigt Präsenz
Gegen 14 Uhr ist ordentlich was los auf dem kleinen Platz. Neben den Demonstrantinnen und Demonstranten haben sich auch etliche Schaulustige eingefunden. Die Polizei ist mit deutlich mehr Beamten als am Morgen präsent. Später berichtet das Polizeipräsidium – das erst jüngst verkündet hatte, keine Zahlen nennen zu wollen -, 27 Beamte seien im Einsatz gewesen. Auch die Leiterin des Schramberger Ordnungsamts, Cornelia Penning, ist vor Ort. Einige Fahnen werden geschwenkt, Transparente und Plakate gezeigt. Eine Deutschlandfahne zeigt die Farben verkehrt, eine gelbe Fahne mit Schlange „Dont tread on me“ (sic) weht. Der Gesundheitsminister in Gefängniskleidung, das Narrativ der Coronadiktatur, der Schlafschafe, der Zensur, alles vertreten.
Veranstalter Daiker bittet über Megafon, sich an die Regeln zu halten. „Bitte zieht die Masken an, es besteht Maskenpflicht“. Er wolle, dass alles friedlich verlaufe. „Ich habe keine Lust auf Ärger mit der Polizei.“ Er halte schließlich den Kopf hin. Polizeichef Jürgen Lederer hatte Veranstalter Daiker um die Hinweise auf die Hygienebedingungen gebeten. Wer keine Maske dabei habe, könne von ihm noch eine bekommen. Daiker heißt schließlich alle “Einheimischen und die, die von weiter her gekommen sind“, willkommen.
Antifa ist in der Stadt
Als Grund für die Demo nennt er „die staatliche Wahnsinnsveranstaltung, an der wir nicht mehr mitmachen wollen“. Lautes Gehupe, Pfeifen und Geklappere. Es sei Antifa in der Stadt, berichtet Daiker und fordert die Demonstranten auf, „nix Radikales“ zu rufen.
Am Rand bei der St. Maria-Brücke schüttelt ein Passant den Kopf: „Eine Woche auf der Intensivstation Dienst tun, das täte denen gut.“ Um 14.30 Uhr zieht die Demonstration dann langsam los Richtung Rathaus. Es erschallen Rufe: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut.“ Dann stockt der Zug, denn zwischen dem Hosen-Shop und der Bäckerei Menrad haben neun Vertreter der Antifa zwei Transparente aufgespannt. Sie wollen die „Coronaleugner“ nicht durchlassen, wehren sich gegen die Ausgangssperre, fordern einen „Shutdown fürs Kapital“ und einen „Lockdown für Coronaleugner“. Sie rufen: „Hoch – die – internationale – Solidarität“ und: „Stoppt den Rechtsruck in der BRD“. Ein „Pestdoktor“ brüllt zurück: „Ihr seid die, die uns die Freiheit klau’n.“
Keine Konfrontation
Dann zünden die Blockierer Pyrotechnik, rote und schwarze Rauchschwaden steigen auf. Kurz herrscht Ratlosigkeit. Revierleiter Lederer entscheidet, der Demonstrationszug wird umgeleitet. Statt durch die Fußgängerzone geht es direkt hinters Rathaus. „Wir könnten die problemlos wegräumen, aber was soll die Konfrontation“, findet er. Daiker stimmt zu. Ordner in orangen Westen weisen die Demonstrierenden an, links abzubiegen. Zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten haben sich einige junge Polizisten aufgebaut.
Wegen der Blockade ist der Demoumzug nach etwa 15 Minuten schon vorbei. Revierleiter Lederer lobt den Veranstalter. Der weise immer wieder auf die Maskenpflicht hin und verhalte sich kooperativ.
Kurze Aufregung gibt es noch mal, als wenig später ein Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn durch den Demozug zu einem Einsatz in der Oberndorfer Straße muss. Im allgemeinen Lärm ist nicht gleich klar: Das ist ein Ernstfall.
Die Polizei muss erst den Streifenwagen wegfahren, damit der Rettungswagen durchkommt.
„Liebe Freunde der Freiheit…“
Am Platz zwischen Sparkasse und Rathaus angekommen, begrüßt Daiker erneut die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Eine Marktfrau kehrt kopfschüttelnd den Boden bei ihrem Stand sauber. Daiker rechtfertigt die Verkürzung der Strecke. Es sei um die eigene Gesundheit gegangen. „Wenn wir uns nicht an die Auflagen gehalten hätten, wär‘ die Veranstaltung 1000-prozentig aufgelöst worden.“ Große Empörung, die Polizei hätte räumen müssen, hört man rufen, aber auch „Volksverräter….“
Daiker versucht es erneut, wendet sich an die „lieben Freunde der Freiheit“. Er sei schließlich haftbar und habe „keinen Bock, ins Gefängnis zu gehen“. Er wollte nicht zulassen, dass „einige von Euch von Antifas verletzt werden“. Dafür gibt’s Beifall. Er kündigt ein großes Programm an, „kein Kasperletheater“, wie er versichert. Zunächst singt eine junge Frau, kaum verständlich. Es geht um die Zeit, die jetzt sei, um etwas zu tun. Die Frau taucht auch auf anderen Demonstrationen der Szene auf.
Dann kommt Daiker selbst als Redner auf den Anhänger. Er fordert „aufrechten Widerstand gegen das Unrechtsregime“. Die Freiheitsrechte existierten nicht mehr. Und ruft: „Nichts darf uns dazu bringen, vor diesem Regime die Knie zu beugen.“ Man sei „geeint im Wunsch nach Frieden und Freiheit“, um schließlich festzustellen: „Deutsch zu sein, bedeutet stolz auf unser Volk und unsere Heimat zu sein.“ Er betont: Mit der schrecklichen deutschen Vergangenheit „haben wir nichts zu tun“.
„Nicht gefährlicher als eine Grippe“
Der nächste Sprecher heißt Roman Lasota. In einer langen Grundsatzrede stellt er unter anderem fest, dass „der Mensch ein Wesen der Natur“ sei. Corona sei eine Krankheit, „die nicht gefährlicher als eine Grippe“ sei. Kinder seien davon kaum betroffen, versichert er. Auf einer Grafik zeigt er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass 29 Krankenhäuser während der Coronapandemie ihre Bettenzahl verkleinert hätten, um höhere Zuschüsse zu kassieren. So jedenfalls war er in den hinteren Reihen zu verstehen.
Es folgt die Wiedergabe eines O-Tons eines Einsatzleiters aus Stuttgart, wovon kaum etwas zu hören ist. Zunehmend wendet sich das Publikum anderen Dingen zu, Bierflaschen ploppen, Coladosen werden aufgerissen, man plaudert mit den Nachbarn, raucht. Gegen Ende seiner Rede wendet sich Lasota dagegen, sich „von den profitgierigen Eliten als Versuchskaninchen missbrauchen zu lassen. „Ich sage nein.“
Nächster Auftritt der Sängerin. Sie hofft, dass man sie diesmal besser hören werde, wenn auch die zweite Box läuft. Das Lied widme sie der Polizei. Sie frage sich, was die Polizisten, die ja „teilweise fast noch Kinder“ seien, machten, wenn ihre Freundin anderer Meinung wären als sie. Der Liedtext ist schwer verständlich.
Es wird schwäbisch g’schwätzt
Eine temperamentvolle Dame greift zum Funkmikrofon und fragt, ob sie „schwäbisch schwätze“ dürfe. Über den Platz eilend redet sie, für die hinteren Reihen ist auch sie oft schwer zu verstehen. Sie habe ja alles mitgemacht, aber als die Kinder in den Schulen Masken tragen sollten, habe sie gesagt: „Ja goht’s no?“ Immer wieder stellt sie Fragen, läuft ins Publikum, um die Antworten einzuholen. Es dauert. Die Sonne ist verschwunden, es wird kälter. Der Platz leert sich zusehends.
Aufforderung zum Tanz
Harald im Spring aus Schiltach hat seinen Auftritt. Er hat eine kleine Trommlergruppe dabei. Im Springe möchte die Anwesenden zum Tanzen animieren. Er trägt dann aber erst ein Gedicht vor, das die Amtsblätter im Kinzigtal nicht drucken wollten. „Hört auf, Leute zu testen…“ Beim Trommeltanz hält er Schilder in die Höhe und ruft die Aufschriften. Beispiel: „Maskenpflicht“ – Kunstpause – „auch im Bett.“ Eine junge Frau mit Dreadlocks bewegt sich dazu. Das Publikum in den hinteren Reihen ist vom Redenmarathon ermattet.
Am Rand spricht einer der Ordner mit fränkischem Akzent mit der Presse. Er trägt keinen Mundschutz. Es geht auch um den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar. Die Leute, die damals gewaltsam in das US-Parlament eindrangen, nennt er „Patrioten“.
„Das lächerliche Virus“
Ein weiterer Redner klettert auf den Anhänger. Er weiß, „nächste Woche gehen die Grundrechte verloren für ein lächerliches Virus.“ Aber er hat noch andere Dinge im Blick: „Die Abschaffung des Bargelds, der digitale Euro, die Versklavung, die Klimakatastrophe, den Bevölkerungsumbau.“ Deutschland sei ohne Friedensvertrag. Die US-Wahlen stünden unter dem Verdacht der Wahlmanipulation.“Fake ist nicht mehr von der Wahrheit zu unterscheiden.“ Er sorgt sich um die Bundestagswahl, dass diese verschoben werden könnte. Dafür und seine anderen Themen gebe es „ernst zu nehmende Quellen und Beweise“.
Ein letztes Mal darf die Sängerin ran. „Nein“, sagt sie ins Mikrofon, sie singe nicht: ‚Sag‘ mir, wo die Lungen sind‘, wie Fabian Daiker gerade gemeint habe. Da muss sie drüber lachen. Sie singt: „Sag mir, wozu steh’n wir hier, wir kämpfen für unsere Kinder hier.“ Inzwischen sind weit mehr als die Hälfte der Demo-Teilnehmer gegangen. Viele haben schließlich noch einen langen Heimweg. Daiker dankt den 200 „Freunden der Freiheit“, dem Ordnungsamt, den Polizeibeamten und versichert, diese seien „nicht automatisch Teil des Regimes“.
Kurz nach 16.30 Uhr: Die Veranstaltung ist beendet.
Demo mit Playmobil
Nachtrag: Wie sehr auch Kinder diese Demo und der Aufmarsch des Pestdoktors noch beschäftigt hat, zeigen diese beiden Bilder. Ein Elfjähriger hat die Szenen in seinem Kinderzimmer mit Playmobilfiguren nachgebaut, einen „Pestdoktor“ gebastelt und alles anschließend selbst für die NRWZ fotografiert: