Frauenbeirat: „Häusliche Gewalt – hinschauen, erkennen, handeln“

Podiumsdiskussion mit vielen praktischen Hinweisen am internationalen Frauentag

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Häusliche Gewalt ist auch heute noch ein oft tabuisiertes Thema in unserer Gesellschaft. „Wir sind froh, wenn es nicht in unsrer Umgebung geschieht“, meinte die Vorsitzende des Schramberger Frauenbeirats Dorothee Golm, „froh deshalb, weil wir nicht wissen wie wir damit umgehen sollen.“ Für seine alljährliche Veranstaltung mm Rahmen des internationalen Frauentages am Freitag, 8. März hatte der Frauenbeirat im Subiaco Kino sich deshalb ganz bewusst dieses Thema vorgenommen.

Schramberg. Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr sprach von einem „bedrückenden Thema“. Auch wenn es Männer treffen könne, so seien doch 80 Prozent der Opfer Frauen. An diesem Abend soll es nicht bei der Analyse bleiben, sondern der Frauenbeirat wollte Tipps geben, wie man die Situation ändern könne, kündigte Eisenlohr in ihrer Begrüßung an.

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Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr. Foto: him

Sensibilisieren

Die Vorsitzende des Frauenbeirats Golm berichtete, die Zahlen der Betroffenen seien gestiegen. Mit Expertinnen aus der Polizei, der Medizin und der Betroffenenberatung sowie einem Vertreter des Rathauses sei es gelungen, qualifizierte Gäste zu gewinnen, die dank ihrer jahrelangen Erfahrung in diesem Bereich „sensibilisieren, aufklären und informieren“ würden.

Sie kündigte an, dass die Fachleute im Anschluss an die Diskussion auch im Vier-Augen-Gespräch zur Verfügung stünden, wenn Betroffene Hilfe bräuchten. „Niemand soll heute Abend rausgehen und nicht wissen, was er nun tun könne.“

Fahrt zum Tatort

Maren Hagel, Opferschutzkoordinatorin des Polizeipräsidiums Konstanz und Tanja Kaluza-Rall, Mitarbeiterin des Referats Prävention des Polizeipräsidiums Konstanz, hatten sich eine Alternative zu einem Impulsvortrag ausgedacht: Sie spielten die Situation einer Streifenwagenbesatzung, die zu einem Tatort fährt.

Hagel hatte zunächst geschildert, dass häusliche Gewalt „immer eine Gemengelage“ verschiedener Themen sei: Es gehe um den Schutz der Opfer, das Kindeswohl, mögliche Straftaten, das Polizei- und das Strafrecht. „Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, auch wenn es im Privaten geschieht.“

Die Lage für die Polizei

Ein Anrufer habe um 19.30 Uhr über Notruf gemeldet, in der Nachbarwohnung streite sich das Ehepaar „mal wieder“ heftig. Da seien zwei Kinder, drei und fünf Jahre alt Der Mann schreit, die Frau weint. Die Beamtinnen besprechen im Streifenwagen, wie sie sich verhalten. Welche Gefahr besteht für Frau und Kinder? Auch die Eigensicherung gehöre dazu. Was treffen wir an? Wer spricht mit wem? Welchen Eindruck haben wir?

In der Wohnung stellen die beiden fest, der Mann ist stark alkoholisiert, er sagt: „Das geht die Polizei nichts an.“ Die Polizistinnen gehen dennoch in die Wohnung, sie finden die Frau weinend auf dem Sofa. Er habe sie halt angeschrien, weil sie „scheiße gekocht hat“. Die Frau ist nicht verletzt. Die Kinder spielen friedlich im Kinderzimmer.

Mit einem „unguten Gefühl“ müssten sie die Wohnung verlassen, so Hagel. Im Nachgang würden sie versuchen, nochmals mit der Frau zu sprechen.

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Maren Hagel. Foto: him

Zweiter Einsatz

Zwei Wochen später, so das Szenario, wieder ein Anruf des Nachbarn, er habe lautes Rumpeln gehört, der Mann habe „Hure“ und „Schlampe“ geschrien.

Nun seien möglicherweise Straftaten geschehen: Körperverletzung, Beleidigung. Als die Polizistinnen eintreffen, steht der Mann wieder betrunken und breitbeinig in der Tür. Auf dem Sofa sehen sie die Frau mit blutender Wunde am Auge. Die Polizistinnen verschaffen sich Zugang, bringen den Mann zu Boden und legen ihm Handschellen an. „Jetzt haben wir keinen Handlungsspielraum“, erläutert Hagel.

Sie müssen die Eheleute trennen, schauen, was mit den Kindern wird, einen Krankenwagen rufen. Der Mann erhält einen Platzverweis. Suche nach einer Unterbringungsmöglichkeit für die Frau in einem Frauenhaus. „Das ist ganz schwierig“, so Hagel, Meist sind alle Plätze in der Region belegt, im Kreis Rottweil gibt es kein Frauenhaus.

Noch in der Nacht müssen die Beamtinnen eine Anzeige schreiben und einen Sachbearbeiter informieren, der sich dann um den Fall kümmert. Wichtig sei, es kümmerten sich immer mehrere Polizeibeamtinnen und Beamte um einen solchen Fall, so Hagel, „keiner allein“.

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Tanja Kaluza-Rall. Foto: him

Viele Fragen aus dem Publikum

Nach der Fallschilderung übernahm die Richterin Carla Kasper-Dieterle die Moderation und bat um eine kurze Vorstellung.

Maren Hagel ist seit 30 Jahren im Polizeidienst, hat sich mit Jugendliche, Drogen, Kinderpornografie beschäftigt, und ist seit drei Jahren in der Prävention und organisiert den Opferschutz.

Ihre Kollegin Tanja Kaluza-Rall ist ebenfalls erfahrene Polizistin und seit zwölf Jahren im Präventionsbereich tätig.

Hanne Blust arbeitet seit fast 20 Jahren bei „Frauen helfen Frauen“ und AUSWEGE in Rottweil im Kinder und Jugendbereich.

Dr. med. Andrea Fetzer leitet als Chefärztin der Klinik am Doniswald in Königsfeld. Dort gibt es knapp 80 Betten für Reha, aber auch akute psychosomatische Erkrankungen.

Als Fachmann von der Stadt war Matthias Rehfuß, Fachbereichsleiter Recht & Sicherheit auf dem Podium.

Dr. Fetzer stellte aus ihrer Praxis fest, dass häufig Menschen erst nach Jahrzehnten über ihr Trauma reden könnten. „Aber für Therapie ist es nie zu spät.“ Sie sprach auch davon, dass Menschen „rituell missbraucht“ würden. (Dazu Info am Ende dieses Artikels.)

Rolle der Kommunen

Matthias Rehfuß erläuterte die Rolle der Stadt bei häuslicher Gewalt: Als Polizeivollzugsdienst könne die Polizei einem Täter bis zu vier Tage ein Betretungsverbot erteilen. Anschließend sei die Kommune als Polizeibehörde zuständig. Wenn eine Betroffene die Behörde informiere, könne sie dem Aggressor ein Annäherungs- und Betretungsverbot von maximal 14 Tagen aussprechen. „Wir erfahren aber nur von einem Bruchteil der Fälle, weil sich die Paare wieder vertragen oder sich die Betroffenen nicht trauen.“

Dennoch erteile die Stadt Schramberg etwa 14 solcher Platzverweise im Jahr. Nach den zwei Wochen sei dann ein Amtsgericht zuständig, das nach dem Gewaltschutzgesetz aktiv werden könne.

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Mattias Rehfuß. Foto;: him

Rehfuß wies darauf hin, dass es nicht nur physische sondern auch psychische Gewalt gebe, bei der solche Verbote ausgesprochen werden. Er riet Betroffenen, sich rechtzeitig an die Polizei, Beratungsstellen oder die Kommune zu wenden.

Dokumentieren ist entscheidend

Was soll man tun, wenn eine Frau zu Verletzungen ganz andere Erklärungen als Schläge angibt? Dann sei es schwierig für die Polizei, so Kaluza-Rall. „Wir ahnen es ist schlimmer, aber sind machtlos.“

Ihre Kollegin Hagel ergänzt, die Frauen hätten oft auch Sorge wegen der Kinder, und: „Sie haben oft Angst vor den Folgen, wenn sie ihren Mann in die Pfanne hauen.“

Dr. Fetzer sieht auch das medizinische Personal in der Pflicht: Hausärztinnen, Kinderärzte, Pflegepersonal sollten beim Verdacht von häuslicher Gewalt nachfragen. Ganz wichtig sei auch, Verletzungen genau zu dokumentieren. Es dauere oft sehr lange, bis sich Betroffene öffnen.

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Dr. Andrea Fetzer. Foto: him

Rehfuß bat mögliche Opfer, sie sollten keine Angst haben, sich an die Behörden zu wenden: “Wir sind ausgebildet, um Ihnen zu helfen.“

Beim Nachbarn klingeln

Auch Blust forderte auf, nicht wegzuhören, „wenn es nebenan knallt“. Man könne dann an der Nachbarwohnung klingeln und fragen, ob man Mehl oder Eier ausborgen könne. Wenn man die 110 anrufe, könne man auch das ohne den Namen zu nennen tun.

Möglich wäre auch, der Betroffenen eine Visitenkarte einer Beratungsstelle zuzustecken oder in einem größeren Wohnhaus eine solche Karte ans „Schwarze Brett“ zu pinnen.

Wer die110 anrufe und die Polizei um Hilfe bitte, müsse sich auch keine Sorgen machen, falls nichts Schlimmes vorgelegen habe, betont Hagel: „Wenn nichts war, ist alles ok.“

Die Situation bei den Frauenhäusern sei tatsächlich schwierig. Im Kreis Rottweil soll eines kommen, so Blust. Bis dahin werde in der weiteren Region nach einem freien Platz gesucht. Helfen könnte natürlich auf der Freundeskreis oder Privatpersonen. Zur Not ginge auch eine Ferienwohnung. Das sei aber wegen der fehlenden Betreuung keine gute Möglichkeit.

Gewalt gegen Männer

Gewalt gegen Männer komme auch vor, so Blust. Da handle es sich oft um Demütigung und andere Arten von Unterdrückung. Dr. Fetzer berichtete, sie sei oft entsetzt, was Männer erlebt haben. Sie kenne Fälle von Missbrauch durch die Mutter oder in der Kirche, beim Sport oder der Musik. Bei vielen ist der Glaube an Gott erschüttert. Deshalb arbeiteten in ihrer Klinik auch Seelsorger.

Für Männer als Täter gebe es zahlreiche Hilfsangebote. Wie sie mit ihrer Wut umgehen können, könnten sie lernen. “Gewalt beginnt im Kopf.“ Solche Therapien seien oft Bewährungsauflagen, ergänzte Blust. Dann sei es schwierig, denn: „Es gehört Einsicht dazu.“

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Hanne Blust. Foto: him

Schweigepflicht

Eine Dorfhelferin hatte das Problem mit der Schweigepflicht. Auch da rief Blust könne der diskrete Hinweis mit einer Visitenkarte einer Beratungsstelle nützlich sein. Sie könne auch ihre Vorgesetzten informieren, riet Blust.

Wenn Gefahr im Verzug sei, gelte auch die Schweigepflicht nicht. Das bestätigte auch ein Rettungssanitäter, bei Gefahr im Verzug müsse er Anzeige erstatten.

Selbstschutz

Wie sich Polizistinnen und Therapeuten selbst schützen, wollte eine Zuhörerin wissen und fragte, wie sie mit dem Erlebten umgehen.

Dr. Fetzer sagte, sie habe „einen ganz festen Glauben an Jesus Christus“. Außerdem lasse sie viel im Wald und habe Supervision. Dank der Arbeit im Team sei sie nicht allein. „Erzählen tut gut.“

Das bestätigten auch die beiden Polizistinnen, die auch auf den psychosozialen Dienst der Polizei hinwiesen. Hagel ergänzte, sie habe immer nach fünf bis sieben Jahren ihre Einsatzgebiete gewechselt. Jetzt sei sie über ihre Präventionsarbeit froh.

Beraterin Blust versucht, die Arbeit an der Haustüre der Beratungsstelle abzuschütteln. Zu Hause schreibe sie gute Ideen auf. „Wenn ich ins Grübeln komme, verbiete ich es mir.“

Rehfuß erklärte, er treibe Sport und meditiere. Und er macht sich klar: „Die große Mehrheit der Menschen sind gute Menschen.“

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Carla Kasper-Dieterle. Foto: him

Nach der Diskussion dankte Golm Carla Kasper-Dieterle für die Moderation und den Fachleuten. Das Publikum forderte sie auf „Tragen Sie es weiter.“

Info: Rituelle sexuelle Gewalt: Fakt oder Fiktion?

Ein Zuhörer hakte in der Diskussion nach, und wollte wissen, was Dr. Fetzer unter ritueller Gewalt verstehe. Fetzer berichtete, in solchen Fällen werde ein Kind systematisch missbraucht. „Die Betroffenen werden programmiert. Wenn du darüber redest, bist du tot.“ Man nenne das eine „dissoziative Identitätsstörung“. Als Quelle nannte sie das Buch „Vater unser in der Hölle“. Sie berichtete von „Kindern, die in Täterringen verkauft würden“.

Ob es rituelle sexuelle Gewalt tatsächlich in der von Dr. Fetzer geschilderten Form gibt, ist wissenschaftlich hoch umstritten: „Dass es sich um ein weit verbreitetes Phänomen handle, konnte bisher nicht nachgewiesen werden und wird daher eher in Zusammenhang mit Verschwörungstheorien gebracht (z. B. der Satanic Panic in den USA der 1980er und 1990er Jahre oder der Rituellen-Gewalt-und-Mind-Control-Theorie)“, ist bei Wikipedia zu lesen. Psychologenverbände wie der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen erklären,  für „systematische rituelle sexuelle Gewalt“ oder „Mind control“ gebe es „keine belastbaren Anhaltspunkte“.

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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