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    Überfälle auf Tankstellen: Prozessauftakt vor dem Landgericht

    Der mutmaßliche Tankstellenräuber: Ein Kroate mit der Lieblingsdroge Kokain

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    Sechs Überfälle auf Tankstellen im Kreis Rottweil und in Balingen soll ein Mann im Herbst 2023 begangen haben. Die Serie endete wenige Wochen nach dem ersten Überfall abrupt – mit der Festnahme des heute 26-Jährigen gebürtigen Kroaten, der aus purem Interesse eine Drogenkarriere begonnen hat. Heute sitzt er in der JVA Rottweil in Untersuchungshaft, seit Montagmorgen steht er vor Gericht, ist geständig. Einem der Opfer geht es offenbar schlecht. Es ist eine junge Frau.

    Rottweil / Balingen – Etwa 180 bis 185 Zentimeter groß, bekleidet mit einer Basecap, einem dunklen Hoodie und dunkler Hose sowie einem Schlauchschal. Das war die Täterbeschreibung Anfang Oktober 2023 nach einem Raubüberfall auf eine Tankstelle in Balingen. Oder: Eine graue Basecap, einen grauen Hoodie, eine dunkelblaue Hose, rote Schuhe sowie eine Sonnenbrille und einen Schlauchschal soll der Gesuchte bei seinem Überfall auf eine Tankstelle einige Tage später in Rottweil getragen haben. Die Fahndung nach dem Unbekannten lief da schon auf Hochtouren, die Polizei hatte eine Ermittlungsgruppe gebildet. Nach seinen Überfällen kreiste teils ein Polizeihubschrauber über dem jeweiligen Tatort. Am Boden fahndeten Streifenwagenbesatzungen nach ihm.

    Urheber einer ganzen Serie

    Inzwischen hat der Mann ein Gesicht. Ein junges mit gepflegtem Bart. Den Blick hält er gesenkt. Er wirkt ertappt, unsicher, ängstlich. Ein kräftig gebauter Kerl, der offensichtlich etwas angestellt und nun Angst vor den Folgen hat. Er sitzt auf der Anklagebank, ist an den Füßen gefesselt. Und trägt rote Schuhe. Seit dem 10. Oktober 2023 sieht die Polizei in diesem Mann, er ist heute 26, den Urheber der Serie, den Tankstellenräuber. Ein Indiz: Mit seiner Festnahme im Oktober endete die Serie. Vor Gericht werde er gestehen, kündigte sein Anwalt, Pflichtverteidiger Rüdiger Mack, bereits früh an. Er behielt Recht.

    An diesem Montagmorgen sitzt der Mann im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Rottweil. Die 1. Große Strafkammer verhandelt gegen ihn wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen, versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in einem Fall und wegen besonders schwerem Raub in einem weiteren. Der Angeklagte befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Rottweil vom 21. Oktober 2023 und seit diesem Tag in Untersuchungshaft in der JVA Rottweil.

    Angst und Schrecken verbreitet

    Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, im Zeitraum vom 24. September bis 10. Oktober 2023 in fünf Fällen Tankstellen in Sulz am Neckar, Oberndorf-Bochingen, Rottweil und Balingen jeweils unter Verwendung eines Messers überfallen zu haben. In einem Fall scheiterte die Tat, es blieb beim Versuch – in der Nordgarage in Rottweil, wo es kein Geld gab, sondern die Kassiererin ihn mit einem Pfefferspray zur Flucht veranlasst haben soll. An jenem 6. Oktober schlug er laut Anklage gleich ein zweites Mal zu, wiederum in Rottweil, nun in der ARAL-Tankstelle in der Tuttlingen Straße. Dort kam er wieder an Geld.

    Beträge zwischen 535 und 1485 Euro soll er erbeutet haben. Die Beamten werden froh gewesen sein, den mutmaßlichen Täter erwischt zu haben. Er verbreitete unter den oft allein arbeitenden Angestellten an den Theken der Tankstellen Angst und Schrecken.

    Seine Opfer werden am zweiten Prozesstag Gehör finden. Dieser ist auf kommenden Mittwoch angesetzt. Die Mutter einer der Überfallenen folgt der Verhandlung bereits seit Montagmorgen. „Meiner Tochter geht es schlecht“, sagt sie. Die junge Frau sei damals 18 Jahre alt gewesen – und hatte, was der Mutter offenbar besonders zu schaffen macht, zufällig deren Schicht an der Tankstelle übernommen und war dort allein im Kassenraum. Nach der Tat, bei der der Räuber ein Messer vorhielt und Geld erbeutete, sei es der Tochter schwergefallen, sich aufs Abitur zu konzentrieren. Es habe sie aus der Bahn geworfen. Und mit der Ladung zum Prozess sei nun alles wieder hochgekommen. Am kommenden Mittwoch wird sie Gelegenheit bekommen, das der Strafkammer zu berichten. Im Verfahren tritt sie als Nebenklägerin auf.

    Ein unsteter Lebenslauf eines gebildeten Mannes

    Zwischen den einzelnen Taten lagen jeweils nur wenige Tage. In jener Zeit war der mutmaßliche Täter arbeitslos. Er ist gebürtiger Kroate – laut Akten. Er sei in Serbien, in Belgrad geboren worden, als Sohn eines Militärbeamten und einer Verkäuferin, sagt er selbst vor Gericht aus. Er hat studiert, gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder sowie einem Diplom in der Tasche kommt er 2020 nach Deutschland, kann programmieren, bekommt einen Job über eine Leihfirma, verliert ihn. Verschiedene Hilfsjobs folgen, einer auch bei Heckler & Koch in Oberndorf. Keiner währt lange, wegen Allergien eignet er sich seiner Ansicht nach nicht für die Arbeit an Maschinen. Er versucht, als Programmierer unterzukommen, findet einen Job, bildet sich weiter – und beendet das Arbeitsverhältnis wegen nicht eingehaltener Versprechen seitens des Arbeitgebers, wie er sagt. Corona würfelt den Lebenslauf durcheinander – wie bei vielen anderen auch, die deshalb nicht zum Tankstellenräuber werden. Im September 2023 wird er bislang letztmals arbeitslos.

    Soweit der berufliche Werdegang nach seiner Darstellung. Parallel entwickelt sich eine Drogenkarriere. Sie beginnt in der Jugend mit Marihuana – das Zeug wirkte beruhigend und problemlösend auf ihn, erzählt er. Später, 2021 in Deutschland, folgen Kokain und schließlich, ab Oktober 2022, Heroin. Ein falscher Freundeskreis am ersten Arbeitsplatz in Deutschland – „überwiegend Russen“ – habe ihn mit den harten Drogen in Kontakt gebracht. „Völlig gedankenlos und nicht aus einer Notsituation heraus“, wie der Richter zusammenfasst. „Ich wollte erfahren, wie man sich damit fühlt“, bestätigt der Mann. Dann steigerte er seinen Konsum kontinuierlich, bis zur Arbeitsunfähigkeit. „Etwas atypisch“, kommentiert das der Richter, sei diese Karriere. Üblicherweise habe man es mit ungefestigten, jungen Leuten zu tun, die in den Drogenkonsum abrutschen. Nicht mit einem erwachsenen Mann mit Abitur und guten beruflichen Aussichten. Wobei der heute 26-Jährige, wie sich nach weiteren Nachfragen herausstellt, seinen Depressionen mittels Drogen entkommen wollte. Alkohol ist ein ständiger Begleiter, wenn auch in Maßen.

    Drogen und Spielsucht und Schulden

    Heute ist der 26-Jährige mit rund 50.000 Euro verschuldet. Suchte sein finanzielles Glück viele Stunden täglich online, unter anderem mit Sportwetten, und in Spielcasinos. Vollkommen vergeblich. Und die Drogen hätten schließlich monatlich 3000 bis 4000 Euro verschlungen, täglich bis zu 250 Euro. Und das Spielen etwa 1000 Euro im Monat – erlangte Gewinne wieder ins Spiel investiert. Also viel mehr als er verdiente. Zunächst hätten die Eltern ihm Geld zugesteckt. Dann verlor er seinen bis heute letzten Job, was die Geldschwierigkeiten noch vergrößerte. Also kam er auf eine neue Idee.

    Zu all diesen Themenbereichen hakt der Vorsitzende Richter der Strafkammer, Karlheinz Münzer, intensiv nach, um die Glaubwürdigkeit und Schlüssigkeit der Aussagen feststellen zu können. Bei seiner Erzählung wirkt der Angeklagte – trotz geröteten Kopfes – konzentriert, intelligent, geduldig und bereit, zur Aufklärung beizutragen. Auch nach kritischen Fragen bleibt er ruhig und gefasst. Den Richter versteht er auf Deutsch, die Antworten kommen über den Übersetzer auf Serbisch. Das geht reibungslos vonstatten.

    September 2023: Der drogenabhängige, täglich mehrere Stunden spielende, arbeitslose Mann braucht Geld. Zunächst leiht er sich Geld, „überall, wo ich konnte.“ Diese Quelle versiegt allmählich, keiner gibt ihm mehr was. Aber er braucht Geld. Dringend.

    Der Ablauf der Taten

    Am 24. September 2023 beginnt die Serie: Der Mann, er gibt es zu, entscheidet sich, eine Tankstelle zu überfallen. Unter Kokain, um die Angst zu vertreiben, mit einem einfachen Messer aus der elterlichen Küche. Und einer Tüte für das Bargeld. Die Tatkleidung: was er eben so zuhause hatte, die Maskierung: eine FFP-2-Maske. Das Ziel: die ARAL-Tankstelle in Sulz. Die kannte er, da war er häufiger zum Tanken. Und sie lag fußläufig von seinem Wohnort aus. An diesem Sonntag sei er reingegangen, habe den Mitarbeiter aufgefordert, das Geld in die Tüte zu stecken. Dem sei der Angestellte nachgekommen. Und mit dem Geld verließ der Mann den Verkaufsraum. 535 Euro seien es gewesen, liest der Richter aus den Akten, nur Scheine. Das Geld ging direkt für Drogen und Glücksspiel drauf. Nach der Tat sei er erst einmal nach Hause gegangen, dann zu seinem Dealer, um Drogennachschub zu kaufen.

    Nur wenige Tage später ist das Geld wieder aus. Jetzt ist die ARAL-Tankstelle in Bochingen das Ziel, die er ebenfalls als Kunde kennt. Dorthin fährt er mit dem Auto, hat die „Klamotten“ dabei, wie er erzählt, als Maske ist es ab nun ein alter Schal. Der Mann geht rein, fordert auf, die Scheine herauszugeben, was diesmal knapp 1500 Euro einbringt. Kurz darauf verschwindet er, erneut unerkannt. Seine Fahrt führt ihn direkt zu seinem Dealer.

    Am 3. Oktober versucht er es in Horb – scheitert aber, weil der Tankstellen-Beschäftigte den Überfall zunächst für einen Spaß hält, der Täter aufgibt. Drei Tage später versucht es der Mann in Rottweil – der Heimatstadt seines Drogendealers. Tatort eins: die Nordgarage. Auch dieser Überfall scheitert, „die wollten mir kein Geld geben“, und er wollte sie auch nicht unbedingt zwingen, wollte das Messer nicht einsetzen. Dort hätten ihm die Kassiererin und der Tankstellenbetreiber versichert, kein Bargeld in der Kasse zu haben. Er gab klein bei. „Ich wollte keinen Streit“, erzählt er.

    aral ueberfall
    Nach einem der Überfälle: die Polizei am Tatort in Rottweil. Foto: gg

    Und nicht einmal eine Stunde später ist die ARAL-Tankstelle in Rottweil dran. „Das gleiche Prinzip, ich habe nicht so weit weg geparkt“, sagt der Mann. „Ich bin reingegangen, so wie früher, habe Geld verlangt, dann habe ich die Tüte genommen, bin wieder gegangen“, übersetzt der Dolmetscher. Er hinterlässt eine verängstigte Kassiererin, an die er aber keinen Gedanken verliert. Mit den erbeuteten knapp 700 Euro geht es erneut direkt zum Dealer. Unterdessen tut die Polizei am Tatort ihr Möglichstes, den Räuber zu finden. Auch ein Hubschrauber ist im Einsatz.

    Vier Tage später ist es die OKTAN-Tankstelle in Balingen. Ein zufällig ausgewählter Tatort, im Vorbeifahren – den Angestellten dort erleichtert der Täter um 660 Euro, weil er gerade selbst wieder einmal kein Geld hat. Ausbaldowert haben will er die Tatorte nicht. Auch nicht den in Balingen. Und dass die Wahl auf Tankstellen fiel – reiner Zufall. Gedankenlos. Die liegen eben offenbar für einen Räuber wie ihn günstig an der Straße. Er habe sie nicht einmal vorher gegoogelt. Sondern sich spontan entschlossen. Seine Tatkleidung hatte er ohnehin dabei, habe sich noch rasch umgezogen und zugeschlagen. Und das Messer habe er auch immer dabei gehabt, im Auto.

    Bei jeder der Taten habe er unter Drogen gestanden. Immer. Und bei manchen der Tankstellen ist er Tage später wieder als gewöhnlicher Kunde aufgetaucht.

    Umfassendes Geständnis

    Der heute 26-Jährige ist umfassend geständig, beantwortet jede Nachfrage der Richter, der Staatsanwältin, des psychiatrischen Gutachters, seines Verteidigers, stundenlang. Geduldig, knapp aber pointiert. Nichts scheint er verbergen zu wollen. Außer dem Namen seines Rottweiler Dealers. Auch, wenn er damit „was gut machen“ könnte, wie der Richter ihm erklärt.

    Geschnappt wurde er dann übrigens in Oberndorf-Aistaig. Streifenbeamten fiel ein Wagen auf, dessen Fahrer sich offenbar eine dortige Tankstelle anschaute. Im Wagen fanden sie dann die Tatkleidung. Daraufhin klickten die Handschellen.

    Sieben Zeugen sind für den auf vier Verhandlungstage angesetzten Prozess geladen, ein psychiatrischer Sachverständiger wird gehört werden.

    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.