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Die Junghans’sche Kunstuhr steckt voller Symbole

SCHRAMBERG – Sabine Grimmig hockt auf einem etwa fünf Meter hohen Gerüst. In der Hand eine braunen Aquarellstift. Vorsichtig malt sie eine helle Stelle auf dem Gewand einer Figur nach, die ganz oben auf der monumentalen Junghans‘schen Kunstuhr im Schramberger Stadtmuseum thront. „Diese Uhr hat schon viel mitgemacht“, erzählt die Diplom-Restauratorin aus Tennenbronn und zeigt auf eine Stelle, an der jemand ziemlich brutal mit Spax-Schrauben eine seitliche Klappe zugesperrt hat.

Seit der
Gründung des Schramberger Stadtmuseums vor 40 Jahren steht die Uhr an einem
ganz besonderen Ort im Schloss. Sie sei „das Herzstück“ des Museums“, schwärmt
die wissenschaftliche Mitarbeiterin Annette Hehr. Geschaffen für die
Weltausstellung in Paris 1900, zeigt sie in vielen Details den Zeitgeist der
Gründerjahre und der Blütezeit der Industrialisierung.

Eine Arthur-Junghans-Büste im Stadtmuseum und im Hintergrund die Kunstuhr, die er erbauen ließ. Archiv-Foto: him
Eine zeitgenössische Grafik zeigt die Junghans‘sche Kunstuhr im Original. Bild: Stadtmuseum

In Auftrag
gegeben hatte Arthur Junghans 1896 das überaus komplizierte Werk im
neogotischen Stil beim Nürnberger Hofuhrmachermeister Gustav Speckhart. Etliche
Schreiner, Maler und  Kunsthandwerker
haben neben den Uhrmachern an der Kunstuhr gearbeitet. Speckhart hat den
stolzen Preis von 50.000 Goldmark dafür verlangt. Auf heutige Verhältnisse
umgerechnet wären das etwa eine halbe Million Euro.

Blickfang

Arthur Junghans
hatte sie für die Pariser Weltausstellung fertigen lassen – auch um für seine
damals hochmodernen Wecker zu werben. Der Kaufmann Junghans hatte das Ziel,
Uhren  „günstig und für jedermann
erschwinglich“ herzustellen. Seine Fabrik in Schramberg war damals die größte
und modernste Uhrenfabrik der Welt. Mit seiner Kunstuhr wollte Junghans die
historische Entwicklung vom alten Handwerk zur modernen Industrie darstellen.
Die breite Basis der Uhr – auch mit Szenen aus dem Alten Testament – verjüngt
über das neue Testament, die Passionsszene im Zentrum. Es folgt eine Ebene mit
einem Dampfer, einer Fabrik und einem Eisenbahnzug. Und dann hinauf zur Spitze.
Eine Frau reckt eine Fackel dem Himmel entgegen. Ursprünglich hielt sie eine
elektrische Glühbirne, links und rechts begleitet von zwei Engelsfiguren mit
Telefon und Telegrafenapparat, Symbole für den neuesten Stand der Technik um
1900.

Der Fortschritt eilt voran

Der Dampfzug hat elektrische Fensterbeleuchtung. Fotos: him

 „Es ist die Darstellung des Fortschritts auf
der Basis des Handwerks“, analysiert Grimmig. Dass die damaligen Uhrmacherhandwerker
mit der industriellen Produktion gar nicht einverstanden waren, versteht sich
von selbst. Arthur Junghans und die Kunstuhrmacher haben diese Kritik
aufgegriffen. Am Fuß der Kunstuhr saßen in kleinen Nischen Schnecken und
Schildkröten. Symbole für die Handwerker, interpretiert Grimmig: „Die ziehen
sich in ihr Gehäuse, ins ihnen Vertraute, zurück. Sie sollten aber herauskommen
und sich dem Neuen öffnen.“ 

Von den
Schnecken und Schildkröten ist nur noch eine übrig geblieben. Bei den vielen
Umzügen seien leider immer wieder Teile auf der Strecke geblieben, bedauert die
Restauratorin. Symbolträchtig sei auch die Farbgebung: An vielen Stellen haben
die Erbauer Türkis verwendet. „Diese Farbe konnte man erst im 19. Jahrhundert künstlich
herstellen“, erläutert Grimmig. „Türkis war so auch ein Symbol für
Fortschritt.“ Zwei zerschlissene, blaue Tücher auf den Seiten möchte sie
deshalb durch Seidentücher in Türkis ersetzen. Sie ähneln dann dem Original.

Die Schildkröte als Symbol.

Nach der
Weltausstellung in Paris, auf der schätzungsweise drei Millionen Besucher sie
bewunderten, kam die Uhr zunächst ins Landesgewerbemuseum nach Stuttgart. In
den 1930er Jahren erhielt die Firma Junghans die Uhr wieder und schenkte sie
der Stadt. 1935 sei sie in der evangelischen Stadtkirche aufgebaut worden,
berichtet Hehr, „da sie sich einerseits durch die zu sehenden biblischen Szenen
und andererseits durch den neogotischen Stil perfekt in den ebenfalls
neogotischen Kirchenraum einfügte“.

Viele Umzüge haben der Kunstuhr geschadet

Allegorische Figur mit Telefonhörer.

Der Messner
habe sie für Besucher regelmäßig in Gang gesetzt. Im Jahr 1963 konnte man in
einen Automaten ein Zehnerle werfen, und die Uhr begann zu spielen.  Die Stelle, an der die Besucher die  Zehn-Pfennig-Stücke einwarfen, ist inzwischen
mit einem Holzstück zugeklebt. 1967 wanderte die Uhr ins – von Arthur Junghans
erbaute – Gut Berneck. 1974 verpackte man sie in große Kisten. Darin blieb sie
bis zur Eröffnung des Stadtmuseums 1979.

Bei den
vielen Umzügen sind etliche Kleinteile, aber auch eine Spieluhr verloren
gegangen. Diese Spieluhr hatte ursprünglich die Passionsszene mit Chorälen
begleitet. Nun hofft Hehr, dass sich ältere Schramberger erinnern, wo das ein
oder andere Teil abgeblieben ist. Grimmig will nämlich keine neuen Teile
anfertigen, sondern nur, was sich in Kisten noch findet, wieder einfügen. Bis
Jahresende wird die Restauratorin die Kunstuhr reinigen und helle Stellen
ausbessern. Wie es dann weitergeht? „Das Museum hofft auf Sponsoren….“

Info: Weil
es der Mechanik der Kunstuhr nicht gut tut, wenn sie immer wieder in Gang
gesetzt wird, will das Museum  die
einzelnen Szenen der Passionsgeschichte filmen lassen. Auf einem Bildschirm
können die Besucher künftig die Kunstuhr „in Aktion“ erleben.

 

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