Schramberg/Berlin. Der Fußballnationalspieler Joshua Kimmich – das ist halt eine Nummer. Und wenn der sich nicht gegen Corona impfen lassen will, dann wird die bundesweite Journalistenschar aufmerksam. RTL beispielsweise hat eine Reporterin in den Kreis Rottweil geschickt und nun einen kurzen Bericht gesendet.
Deutlich mehr Aufwand betrieb der Baden-Württemberg Korrespondent der in Berlin erscheinenden „Tageszeitung – die TAZ“. Benno Stieber schaute sich auch nicht nur kurz in Bösingen um, sondern besuchte den Schramberger Teilort Waldmössingen. Am Mittwoch erschien nun seine Reportage „Schlechte Nachbarschaft“.
In der Rubrik „Nahaufnahmen“ berichtet Stieber über „Protestaktionen, Schmierereien und eine ‚Corona-Schule‘“ im Kreis Rottweil. „Impfgegner aus der Mitte der Gesellschaft“ sorgten für eine gereizte Stimmung. Er fragt, was denn da los sei?
Linksliberale Millieus anfällig
Vergangene Woche hatte die Heinrich-Böll-Stiftung eine Studie zu den Impfgegnern veröffentlicht. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, aus welchen Milieus sich „Coronaleugner, Impfgegner und all jene, die sich abwenden, speisen“, schreibt Stieber. Die Wissenschaftler bestätigten, dass in Baden-Württemberg die Widerborstigen eher aus linksliberalen Milieus kämen, anders als etwa in Ostdeutschland.
Beispiele aus Waldmössingen und auch aus Bösingen scheinen das zu bestätigen. Der TAZ-Reporter berichtet von der „heimlichen Corona-Schule“ in einem ehemaligen Lebensmittelgeschäft in Waldmössingen. Dort unterrichteten fünf Familien ihre Kinder schon seit Schuljahresbeginn „wegen der Tests“, wie die Initiatorin dem TAZler erklärt. Ortsvorsteher Reiner Ulrich meint, es handle sich wohl um einen Verstoß gegen die Schulpflicht. Das sei dann Sache des Oberschulamts. Dort weiß man von nichts, verspricht aber, man werde der Sache nachgehen.
Stieber berichtet aus Bösingen, von der mutmaßlichen Hochzeitsfeier, vom Protest des Gasthaus-Sonne-Wirts. Er berichtet von den Schmierereien vor wenigen Wochen in Villingendorf vor einer Impfaktion: „Impfen macht frei“.
Roman Lasota und die NRWZ
Und kehrt dann wieder nach Schramberg zurück. Dort in Sulgen besucht er Roman Lasota. Das frühere Freie Wähler oder Freie Liste-Mitglied gehört heute zu den vehementen Corona-Maßnahmen-Kritikern.* Ja, man könnte ihn auch Corona-Leugner nennen. Denn er „vergleicht Corona mit einer Grippe, bezweifelt die Zahlen des Robert-Koch-Instituts und die Übersterblichkeitsrate im ersten Coronajahr“, wie Stieber schreibt. Außerdem war er bei der Landtagswahl Zweitbewerber der Partei WIR2020, einer laut Wikipedia im Juli 2020 im Umfeld der Proteste gegen Schutzmaßnahmen zur COVID-19-Pandemie von Querdenken-Aktivist Bodo Schiffmann mitgegründete Partei. (*Ursprünglich hatte ich aus der TAZ zitiert, Lasota sei FDP-Mitglied, das war nicht korrekt. Die Schramberger Freie Liste firmierte allerdings viele Jahre als FDP-Freie Liste. him)
Er erinnert auch daran, dass die NRWZ Lasota im Sommer 2020 breiten Raum einräumte, um über eine große Corona-Demonstration in Berlin zu berichten. Kurz darauf habe die Redaktion Lasotas Argumenten einen Faktencheck mit bekannten Experten gegenüber gestellt. „Nein, davon hat mich nichts überzeugt“, sagt er dem TAZ-Reporter. Da hätte die NRWZ einfach „die Zahlen von Drosten und Co zusammengeschrieben“ und sich nicht mit den eigentlichen Zusammenhängen beschäftigt. Lasota höhnte laut TAZ: „Das kann ich auch.“ (Wer die Debatte nachlesen will, einfach die Links oben anklicken. Dabei beachten, das ist Stand August 2020.)
Junge Leute wehren sich
Dass es in Waldmössingen auch ganz andere Stimmen gibt, belegt Stieber unter anderem mit Elias Schmider. Den hatten die teilweise schwulenfeindlichen Plakate am 1. Mai in der Dorfmitte mächtig geärgert.
Gemeinsam mit Freundinnen und Freunden organisierte der 20-Jährige eine Gegendemonstration, als Coronaleugner am 5. Mai zu einer Menschenkette im Dorf aufriefen.
Damals hatten die Organisatoren versucht, die örtlichen Vereine und ihre Mitglieder zum Mitdemonstrieren gegen die Coronamaßnahmen zu bewegen, waren aber weitgehend gescheitert. Die meisten Vereine hätten ihre Mitglieder aufgefordert, nicht in Vereinstracht zu demonstrieren. Daran hätten sich auch alle gehalten.
Nur sein Verein sei auffallend still geblieben, berichtet ein Mitglied des Fußballvereins SV Waldmössingen, das anonym bleiben will. Es habe keine Aufrufe vom Vorstand gegeben, sich impfen zu lassen. Eine eigene Impfaktion, wie sie etwa der SV Sulgen kürzlich initiiert hatte, habe es in Waldmössingen natürlich auch nicht gegeben.
Kein Wunder: Der Vereinsvorsitzende ist der Ehemann der Frau, die die „Corona-Schule“ ins Leben gerufen hatte. Ihm gehöre der ehemalige Lebensmittelladen, in dem die Kinder der fünf Familien nun test- und maskenlos unterrichtet werden, wie Stieber berichtet.