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„Die Gefahr für Russland ist die Freiheit, nicht die NATO“

Auf außergewöhnlich großes Interesse stieß ein Vortrag des ehemaligen Generals Hans-Lothar Domröse. In der Reihe „Schramberger Gespräche im Schloss“ sprach Domröse über „Europäische Sicherheit inmitten globaler Machtverschiebungen“.

Schramberg. Schon eine viertel Stunde vor Beginn waren fast alle Stühle im Schlossfoyer belegt, die Sitzkissen auf der Treppe verteilt. Museumsleiter Carsten Kohlmann und sein Team holten weitere Stühle und Museumsschemel herbei.

Oberbürgermeisterin Eisenlohr bei der Begrüßung. Foto: him

In ihrer Begrüßung „eines weiteren Hochkaräters nach Alt-Bundespräsident Wulff“ ging Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr kurz auf Domröses Lebensweg ein. 1973 habe Domröse seine Karriere bei der Bundeswehr als Panzergrenadier begonnen. Später studierte er Wirtschaftswissenschaften und stieg in der Bundeswehr auf.

Brennende Aktualität

Er koordinierte 2002 die Katastrophenhilfe während des Elbhochwassers und diente bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Kosovo, Irak und Afghanistan. Schließlich war er als NATO-General aktiv bis zu seinem Ruhestand 2016. „Seither tourt er durch die Lande und Talkshows“, so Eisenlohr. Sein Vortrag habe „brennende Aktualität“, versprach sie.

Domröse dankte zunächst Renate Claes für die Organisation des Abends. Er sehe die Sicherheit Europas in Gefahr. Seit der Coronapandemie lebten wir „im Krisenmodus“. Heute räche sich, dass wir viele frühere Krisen wie Cyberattacken, die Konflikte in Afrika, den Angriff Putins 2014 auf die Krim und die Ostukraine nicht wirklich ernst genommen hätten, so Domröse. Nach dem 24. Februar 2022 habe Bundeskanzler Olaf Scholz von der „Zeitenwende“ gesprochen, aber in unserem Alltagsleben habe sich nicht wirklich etwas geändert.

Domröse ging auf den „fürchterlichen Angriff der Hamas am 7. Oktober“ ein. Dabei sei kein einziger Soldat zum Opfer gefallen. Es seinen 1200 Babys, Kinder, Frauen, alte Menschen ermordet worden. Menschen aus vielen Nationen, nicht nur Israelis seien als Geiseln genommen worden.

Beim Gegenangriff der Israelis im Gaza-Streifen sei die Schwierigkeit für die Soldaten, dass in einem so dicht besiedelten Gebiet immer leider auch Zivilisten Opfer würden.

Hans-Lothar Domröse. Foto: him

Domröse zeigte auch zahlreiche Grafiken und Bilder, die ein Teil der Besucher wegen der beengten Verhältnisse im Schloss aber nicht sehen konnte. Für ihn stellt sich die weltpolitische Lage als eine Kampf zwischen Diktaturen und Demokratien dar. Der Unterschied zwischen Russland und China bestehe darin, dass die Menschen in Russland kaum etwas kaufen können, während China ein „kapitalistischer Diktaturenstaat“ mit Waren im Überfluss sei.

Zwei Blöcke

Die größte Demokratie der Welt, Indien schwanke zwischen den beiden Polen. In den Vereinten Nationen seien etwa 200 Staaten Mitglied, etwa 100 äußerten sich zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. 50 auf Seiten der Ukraine und ihrer Unterstützer, 50 andere sagten sich „shit happens“, so Domröse. Diese verwiesen auf die Sünden des Westens in der Vergangenheit, etwa den Vietnamkrieg.

Bei den BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestehe das Ziel, den Kreis zu erweitern. Die eingeladenen Staaten wie Iran, Ägypten. Vereinigte Arabische Emirate seien nun auch nicht gerade als Demokratiesympatisanten bekannt. Der neue argentinische Präsident habe die Mitgliedschaft bei BRICS inzwischen abgelehnt. Die G20 Staaten, die sich als Gegengewicht zu BRICS sehen, hätten die Organisation Afrikanische Einheit (OAU) aufgenommen. Beide Blöcke  würden um neue Unterstützer werben.

„Es geht immer um die Souveränität und die Freiheit“, so Domröses Fazit. Die Menschen wollen frei sein zu reisen, zu reden, sie wollen unabhängig sein und in Sicherheit leben.

Biden hat Europa gerettet

Der Ex-General erinnerte an die Lage in Europa am 24. Februar 2022. Als Putin die Ukraine angriff, sei Kanzler Scholz gerade einen Monat im Amt gewesen. Frankreichs Präsident Macron war im Wahlkampf und musste fürchten, von Rechtsaußen Marine Le Pen geschlagen zu werden. „US-Präsident Joe Biden hat Europa gerettet.“

Putins Russland und China stützten sich gegenseitig, auch wenn die chinesische Führung den Angriff nicht gut gefunden habe. China habe mit Taiwan ein Problem. Taiwan sei für die Welt wichtig, weil es die besten Computer-Chips produziere. Domröse fürchtet, dass es 2048 ernst wird. Dann werde die Volksrepublik 100 Jahre.

Putins Traum dagegen sei geplatzt, Russland wieder zur alten Größe der Sowjetunion zurück zu bringen. Die Menschen in den baltischen Staaten und Osteuropa wollten frei sein. „Die eigentliche Gefahr für Russland ist die Freiheit, nicht die NATO, nicht die EU“, ist Domröse überzeugt.

Patt in der Ukraine

Zum Ukraine-Krieg stellte der General a.D. fest, die gute Nachricht sei gewesen, dass Putins Hoffnung, in einer Woche das Land unterwerfen zu können, gescheitert sei. Die schlechte sei, die Russen verteidigten sich inzwischen auf ukrainischem Gelände. Sie hätten eine riesige Verteidigungslinie aufgebaut. „Da kommt man nicht durch.“

Der Stellungskrieg fordere täglich 300 Todesopfer und etwa fünf Mal so viele Verletzte. Die Ukraine sei fast zu 100 Prozent von westlicher Hilfe abhängig. Russland könnte bis zu 15 Millionen Soldaten mobilisieren. In der Ukraine lebten 40 Millionen Menschen, zehn Millionen seien geflohen, weitere zehn Millionen als Binnenflüchtlinge im Land. Auch beim Nachschub gebe es ein großes Ungleichgewicht.

Putin werde gestärkt aus den Präsidentschaftswahlen hervorgehen, glaubt Domröse. Nach dem Wagneraufstand, habe es eine „Säuberungswelle gegeben“, die Stabilität sei wieder hergestellt. Bei der Unterstützung für die Ukraine gebe es in der EU Länder, die argumentierten, sie bräuchten ihr Geld selbst.

Die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus wolle die Ukraine, weil damit die Brücke von Kertsch von Russland auf die Krim zerstört werden könnte. Das sei das Problem.

Kriegsende durch Waffenstillstand?

Der Krieg müsse irgendwie aufhören, so Domröse. Er sieht zwei Möglichkeiten: Es kommt zu einem Waffenstillstand. Die USA und die NATO geben Schutzgarantien: „So weit und nicht weiter.“ Historisches Beispiel Israel. Eine stärkere Möglichkeit sei wie im Korea-Krieg. Die Schutzmacht stationiert massiv Soldaten. Dafür fehlten aber die Truppen im Westen. Entscheiden müssten die Ukrainer.

Aber was geschieht, wenn Donald Trump wieder gewählt wird? „Dann müssen wir uns warm anziehen.“ Es könnte sein, dass Trump Schutzgarantien für die Europäer zurücknimmt oder an Bedingungen knüpft. Die USA leisteten etwa 70 Prozent des NATO-Beitrags. Es sei nachvollziehbar, dass 250 Millionen US-Bürger nicht einsehen, weshalb sie 450 Millionen ähnlich wohlhabende Europäer schützen sollen.

Abschreckung und Abhängigkeiten

„Die Deutschen schrecken niemand ab“, stellte Domröse fest. Das seien die Amerikaner mit ihrem Atomwaffenarsenal. Europa sei da von den USA abhängig. Von China seien wir wirtschaftlich abhängig. Bei Öl und Gas früher von Russland. Nun kaufen wir das russische Öl teurer über Indien. Europa müsse sich selbständiger machen. Das 100-Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr sei „ein Schluck aus der Pulle“, lobte Domröse. Aber es dauere bis das militärische Gerät geliefert werde.

Er kam auf den seit einem Jahrzehnt dauernden Krieg in Syrien zu sprechen. Im Nahen Osten agiere der Iran mit seinem Mullah-Regime. Dort habe es zwar Unruhen, aber keine Revolution gegeben, weil es keinen Revolutionsführer gebe. „Dabei sind die Menschen im Iran viel gebildeter als die Mullahs.“

Mit dem nordkoreanischen Diktator Kim komme eine weitere „loose Cannon“ zu Russland, China und Iran hinzu. „Wenn die zusammenarbeiten und sich etwas Böses ausdenken, dann ist das nicht gut für uns“, fürchtet Domröse.

Krisenherd Afrika

Einen weiteren Krisenherd sieht er in Afrika. Von den etwa 50 Staaten seien 15 „failed states“, hätten keine funktionierende Regierung oder Verwaltung mehr wie Libyen oder der Sudan. 15 weitere stünden auf der Kippe. Es sei doch klar, dass in Familien in solchen Ländern allen Jungen mit Ausbildung geraten werde: Geh nach Norden.

Weitere Stichworte in seinem Vortrag waren der Klimawandel, die Wasserknappheit, die unsicher Infrastruktur und die Migration. Domröse schloss: „Wir leben in einer anstrengenden Zeit, in der wir den Gürtel enger schnallen müssen.“

Domröse wartet auf die nächste Frage. Foto: him

Rege Debatte

Nach freundlichem Applaus schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Dabei ging es zunächst um einen möglichen Präsidenten Trump und einem Rückzug der USA aus der NATO. Dass dann Frankreich mit seinen Atomwaffen einspringe, wäre für Domröse eine Möglichkeit.

Klaus Andreae fragte nach einem Ausweg in der Ukraine und einer „Zwei-Staatenlösung für Palästina und Israel. Domröse sah in einem möglichen Waffenstillstand und anschließenden Sicherheitsgarantien einen Weg. Für einen jahrelangen Stellungskrieg habe der Westen nicht die Kraft. „Der Schlüssel liegt in Washington.“

Nur die Amerikaner könnten die Ukrainer von einem solchen Weg überzeugen. Aber: „Putin will ganz offensichtlich nicht verhandeln.“ Käme ein Waffenstillstand zu Stande, könnte der jahrzehntelang gelten. Die Ukraine könnte ihre Grenzen von 1991 fordern und darauf hoffen, dass es „wie bei uns“ irgendwann doch noch zu einer Lösung kommt.

Zwei-Staatenlösung – mit wem?

Bei der Zwei-Staaten-Lösung wies Domröse darauf hin, diese sei in zig UN-Resolutionen festgelegt. „Aber der israelische Ministerpräsident Netanjahu lehnt sie ab.“ Sehr schwierig werde es, die in den vergangenen Jahrzehnten im Westjordanland angesiedelten 700.000 israelischen Siedler dort wieder abzuziehen. „Die Bulldozer, die jetzt im Gazastreifen Häuser platt machen, israelische Siedlungen im Westjordanland – unvorstellbar.“ Kein israelischer Politiker würde das politisch überleben.

Domröse wies aber auch darauf hin, dass kein arabisches Land die Palästinenser aufnehmen wolle. Zu den Angriffen Israels im Gazastreifen meinte Domröse, was dort passiere, sei unmöglich. 80 Prozent der Häuser seien zerstört, zwei Millionen Menschen in großer Not. Aber: „Die Israelis wollen keinen Genozid.“

Im überfüllten Schloss beantwortet Domröse Fragen des Publikums. Foto: him

Manöver wozu?

Weitere Fragen zielten auf das Minsker Abkommen, die CO2 Beschlüsse und den Verbrauch von Öl und Gas und deren Ersatz durch erneuerbare Energien. Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate setzten zunehmend auf den Tourismus, so Domröse, um für die Zeit nach Öl und Gas überleben zu können. Allerdings seinen China und Indien weiterhin große Verbraucher.

Gefragt, wozu das jetzt anlaufende Großmanöver der NATO gut sei, meinte Domröse, es werde Putin wohl nicht beeindrucken. Es zeige ihm aber: „Mach‘ keinen Fehler.“ Es sei wichtig, dass die NATO zeige: „Schaut her, wenn wir zusammenhalten, sind wir stark.“

Wehrpflicht abschaffen war ein Fehler

Zur Abschaffung der Wehrpflicht berichtete Domröse von der Situation 2010. Der damalige Verteidigungsminister Guttenberg habe wegen der Weltfinanzkrise aus einem 40 Milliardenhaushalt acht Milliarden einsparen müssen. Er habe als Offizier bei all seinen Auslandseinsätzen nie einen Wehrpflichtigen gesehen. Die Wehrpflicht sei „sauteuer, weil sie nichts bringt“, habe man damals gedacht.

Außerdem sei sie ungerecht, weil von den Tauglichen, nur ein Teil eingezogen wurde. Technisch sei die Entscheidung korrekt gewesen, die Wehrpflicht auszusetzen. Nicht bedacht habe man aber die sozialen und politischen Folgen, meinte Domröse selbstkritisch. Er könnte sich ein schwedisches Modell vorstellen. Dort werden alle 18-Jährigen erfasst.

Peter Renz fragte nach dem Sinn eines Bundeswehreinsatzes in Mali, wenn hier die Soldaten fehlten. Der Einsatz sei vom Bundestag beschlossen worden, weil Frankreich Deutschland um Hilfe gebeten habe.

Afghanistan

Ähnlich sei es in Afghanistan gewesen. Da habe die Bundeswehr immerhin dazu beigetragen, dass die Menschen 20 Jahre Frieden hatten, Mädchen zur Schule gehen konnten, Wahlen stattfanden.

Den Abzug und die Machtübernahme durch die Taliban gehe auf das Konto von Trump, der mit den Taliban ein Geheimabkommen getroffen hatte. „Dass dann der afghanische Präsident als erster abgehauen ist, war völlig abstrus.“ Die Alliierten hätten es versäumt, einen Übergang zu organisieren.

Nach anderthalb Stunden beendete Eisenlohr die Diskussion und bat Domröse, sich im Goldenen Buch der Stadt einzutragen.

Renate Claes fand in ihrem Schlusswort, zu oft gerate die Macht in falsche Hände. Mit der von ihr initiierten Gesprächsreihe wolle sie beitragen, die Menschen aufzuklären. An Domröse gewandt, fand sie, es sei beeindruckend, was dieser für die Sicherheit und Demokratie in Deutschland geleistet habe. Die Gäste dankten mit langem Applaus.

 

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