Der 25. Oktober 2017 ist ein grauer Tag in Sofia. Dr. Ruja Ignatova hat ihre Sachen gepackt. Draußen leichter Nieselregen, es ist frisch. Als sie zum Flughafen kommt, sinken die Temperaturen weiter. Ruja begibt sich zum Schalter von Ryan Air und checkt nach Athen ein. Das Ticket hatte ihr Konstantin Ignatov, ihr jüngerer Bruder und späterer Nachfolger, gekauft.
Dr. Ruja, die sonst in Privatjets zu reisen pflegte, zwängt sich in einen der engen Billigfliegersitze. An diesem Herbsttag, einem Mittwoch, landet sie eine gute Stunde später in Athen und wird von zwei russisch sprechenden Männern in Empfang genommen. Seither fehlt jede Spur von der wahrscheinlich größten Trickbetrügerin der Welt.
Ermittler sind weltweit hinter ihr her
Der Skandal um die von ihr erfundene angebliche Kryptowährung OneCoin beschäftigt Finanz- und mindestens 20 Strafverfolgungsbehörden auf der ganzen Welt. In China, Vietnam, in Thailand, Ostafrika, in Südamerika, Skandinavien, Großbritannien, überall wird ermittelt. In den USA hat ein New Yorker Gericht den Rechtsanwalt Mark Scott bereits wegen Geldwäsche verurteilt und will im Juni dann das Strafmaß verkünden. Aber was ist eigentlich in Deutschland? Hier hatte ja die OneCoin-Gründerin Ruja Ignatova angefangen und ihre Schwindelwährung erfunden.
Wie die NRWZ nun seit fast einem Jahr immer wieder berichtet, war Ruja Ignatova in Schramberg zur Schule gegangen. Mit ihrem Bruder Konstantin („Konsti Keks“) und ihren Eltern Plamen und Veska lebte sie in bescheidenen Verhältnissen in der Marktstraße.
Überfliegerin in der Schule und an der Uni
Doch so schlicht wollte sie ihr Leben offenbar nicht verbringen. Sie war in der Schule eine Überfliegerin, übersprang in der Grundschule und später im Gymnasium eine Klasse, obwohl sie, als Kind aus Bulgarien nach Schramberg gekommen, zunächst kein Wort Deutsch sprach.
Eine ihrer Lehrerinnen in Schramberg erzählt, dass sie in der fünften Klasse mit den Kindern ein Kindergedicht besprochen habe und als Hausaufgabe aufgab, die erste Strophe bis zur nächsten Stunde zu lernen. „Ruja hat am nächsten Tag das ganze Gedicht aufgesagt – alle dreizehn Strophen.“
Bis heute berichten ihre damaligen Mitschülerinnen und -schüler von ihrem extravaganten Auftreten. Schon sehr früh begann Ruja, sich die Lippen knallrot zu schminken, und stolzierte auf High-Heels durchs Schulhaus. „Sie war immer mega-aufgemotzt“, weiß eine Mitschülerin noch. Eine andere erinnert sich: „Warm geworden ist niemand so recht mit ihr.“ Bei ihr zuhause wie bei anderen Klassenkameradinnen sei sie nie gewesen. Anders als ihr jüngerer Bruder Konstantin habe Ruja keinen Freundeskreis in Schramberg gehabt, erinnert sich ein Jahrgangskollege.
Nach dem Abitur 1999 studiert Ruja in Konstanz Jura mit einem Stipendium –ausgerechnet – der Konrad-Adenauer- Stiftung. Ihr Deutschlehrer vom Leistungskurs im Gymnasium hatte ihr ein Empfehlungsschreiben gegeben, für das sie sich artig bedankt. „Es hat mir Glück gebracht, denn ich wurde zur Auswahltagung eingeladen, und diese verlief sehr gut.“ In Konstanz promoviert Ruja über einen Paragrafen aus dem europäischen Recht. An der Fernuni Hagen erlangt sie noch einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften, und an der Uni in Oxford einen Master in Jura.
Erste kriminelle Züge
Dr. Ruja macht schnell Karriere, wird Beraterin bei McKinsey und kauft 2010 zusammen mit ihrem Vater eine in die Krise geratene Gießerei im Allgäu. Anfangs geht alles gut, die Belegschaft ist von der dynamischen neuen Chefin angetan. Doch nach etwa einem Jahr stellen die Mitarbeiter fest, dass die Ignatovs sich aus der Firmenkasse bedient hatten. Im Jahr 2012 verkauft sie die Firma an einen Strohmann und verschwindet nach Bulgarien.
Vier Tage später ist die Gießerei pleite – und erholt sich nie mehr. Im Jahr 2016 muss Dr. Ruja sich vor Gericht verantworten, erhält 14 Monate auf Bewährung und 18.000 Euro Geldbuße. Doch da ist sie schon längst die „Cryptoqueen“.
Zusammen mit dem schwedischen Verkaufsgenie Sebastian Karl Greenwood hatte Dr. Ruja den Plan entwickelt, eine an den Bitcoin-Boom angelehnte Währung zu kreieren. Anders als das Original verkaufen die beiden aber nicht die Kryptowährung selbst, sondern „Lernpakete“ und Token.
Mit den Lernpaketen sollen die Kunden in mehreren Stufen lernen, wie man mit OneCoin reich wird. Die Token sollten eines Tages in OneCoin umgetauscht werden können.
Verkäufer bekommen Provisionen, können sich in der Hierarchie hocharbeiten. Die Behörden sprechen später von einem klassischen Schneeballsystem oder „Ponzi-Scheme“, bei dem die an der Spitze abkassieren. Die Gewinne für die Topleute sind gigantisch. US-Ankläger schätzen, dass allein zwischen Jahresanfang 2015 und Oktober 2016 etwa 3,4 Milliarden Euro auf den Konten der Bande landeten. In den Folgejahren müssen noch etliche Milliarden hinzukommen, denn die Gruppe um Dr. Ruja dehnt ihr Geschäftsfeld immer weiter aus. Südostasien kommt hinzu, Afrika, Lateinamerika.
Für eine Kryptowährung ist eine Blockchain Grundvoraussetzung. Doch eine solche Blockchain hat es bei OneCoin nie gegeben. Das jedenfalls hat Rujas Bruder Konstantin im vergangenen November als Kronzeuge im Verfahren gegen Mark Scott ausgesagt. Alles sei nur Simulation gewesen, die Wertsteigerungen der OneCoins reine Fiktion.
W ährend also in den USA der erste OneCoin-Profiteur, der Rechtsanwalt Mark Scott, verurteilt ist und wohl schon bald eine lange Haftstrafe antreten wird, Konstantin Ignatov und Sebastian Greenwood im Gefängnis auf ihre Strafprozesse warten, tut sich in Deutschland bisher eher wenig.
In Deutschland geht es um Geldwäsche und Betrug
Lediglich ein größeres Ermittlungsverfahren ist bekannt. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt seit bald vier Jahren gegen eine Firma aus dem Münsterland in der Nähe der deutsch-niederländischen Grenze. Die International Marketing Services, kurz IMS, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft Bielefeld, Gerald Rübsam, soll zwischen Anfang 2015 und September 2016 im Auftrag von OneCoin als Zahlungsdienstleister Kundengelder eingesammelt haben und dann auf diversen Konten in Deutschland hin und her geschoben haben.
Alle paar Tage hätte IMS irgendwo in Deutschland bei einer Bank ein Konto eröffnet. „Wir haben gut 60.000 Zahlungseingänge von etwa 35.000 Einzahlern belegt“, so Rübsam zur NRWZ. „Wir gehen von einer Summe von 97 Millionen Euro aus.“
Auf die IMS sei man durch die Geldwäscheverdachtsanzeige einer Sparkasse gekommen. Dort hatte die IMS ein Konto eröffnet „und innerhalb weniger Tage landeten 2,5 Millionen Euro dort“, berichtet Rübsam der NRWZ. Mehr als 700 Einzahlungen in kürzester Frist hatten die Sparkassenmitarbeiter misstrauisch werden lassen. Auch andere Banken hätten später Geldwäscheanzeigen erstattet.
Gegen neun Personen werde inzwischen unter anderem wegen Geldwäsche und Betrugs ermittelt. Die untersuchten Kontobewegungen machen sogar 320 Millionen Euro aus, allerdings, so Rübsam, sei das Geld eben zwischen den Konten immer wieder hin und her geschoben worden. Deshalb die hohe Summe.
Staatsanwalt: Äußerst vielschichtig
Weshalb man in den USA schon einen OneCoin-Geldwäscher verurteilt habe, man bei uns aber immer noch ermittle, frage ich Rübsam: „Sie kennen ja das Sprichwort: Die Nürnberger hängen keinen, es sei denn, sie haben ihn.“ Das Problem: Um die Beschuldigten wegen Betrug dran zu kriegen, müsste man ihnen beweisen, dass sie immer schon wussten, dass OneCoin keine echte Kryptowährung war. „Wir müssen ihnen nachweisen, dass sie von Anfang an böswillig waren.“ Keine leichte Aufgabe.
Die deutschen Ermittler seien „vergleichsweise früh“ dran gewesen, so Rübsam. Das sei bei solchen Mammutverfahren nicht immer gut. So geht es beispielsweise um die angebliche Blockchain. Wussten die Beschuldigten, dass diese gar nicht existiert hat? „Weisen Sie mal nach, dass es etwas nicht gibt?“
Die Staatsanwaltschaft habe zwar Gelder sichergestellt. „Die haben wir aber nicht halten können, weil wir nicht beweisen konnten, dass das Geld aus einem Betrug stammte“, bedauert Rübsam im Gespräch mit der NRWZ. Das Ganze sei international angelegt, die Beschuldigten hätten Anwälte eingeschaltet, „die die Rechtsanwaltsordnung intensiv lesen“. Immer wieder erschienen Verlautbarungen mit Falschinformationen.
Zudem sei das Verfahren „äußerst vielschichtig“, und die Zuständigkeiten der Gerichte habe gewechselt. Man habe außerdem lange nach einem Gutachter zur Blockchain gesucht.
Keine Hilfe aus den Staaten
Da wäre es doch gut, wenn man die Aussagen von Konstantin Ignatov verwerten könnte? Dass Konsti Keks in den USA zum Kronzeugen umgedreht wurde und fleißig gegen seine Schwester, Scott und Greenwood aussagt, „das wissen wir nur aus der Presse“, ärgert sich Oberstaatsanwalt Rübsam. „Es wäre hilfreich, wenn wir aus anderen Staaten Informationen bekämen.“ Doch gerade mit den USA sei der Rechtshilfeverkehr „zäh“, sagt Rübsam. „Oder man bekommt gar keine Antwort.“ Allerdings habe es schon Treffen auf Arbeitsebene gegeben.
Und es gab einen Zwischenerfolg. Die deutschen Staatsanwälte waren an einer Durchsuchung der OneCoin-Büros in Sofia im Januar 2018 beteiligt. Die Unterlagen von damals werte man immer noch aus. Auch das sei mühsam. In seiner Behörde spreche eben niemand bulgarisch.
OneCoin sektenartig?
Rübsam selbst hatte an der Aktion teilgenommen. „Das Gebäude war durchaus beeindruckend“, schildert er seine Eindrücke aus Sofia, „sehr zentral in einer guten Lage.“ Er habe den Eindruck gehabt, OneCoin sei „partiell sektenartig“ aufgezogen. Im Gebäude hätten große Poster gehangen „mit den führenden Leuten in Abendgarderobe“.
Etwa zwei bis drei Dutzend Mitarbeiter seien in den Büros tätig gewesen, allerdings an billigen, nach Ikea aussehenden Schreibtischen. Das habe eher im Widerspruch zur sonstigen Gebäudeausstattung gestanden.
Bei der Durchsuchung habe man kein Bargeld gefunden, aber auch keine Blockchain, erinnert sich Rübsam. Auch damals vor zweieinhalb Jahren habe es bei OneCoin schon „Absetzbewegungen“ gegeben. Ruja war bereits verschwunden, und Konstantin hatte ihre Position übernommen. Seine Erklärung damals: „Ruja will sich voll ihrer Mutterrolle widmen.“ Nicht nur Staatsanwalt Rübsam wüsste gern, wo sie das tut. Im Ryan-Air Flieger saß Ruja, soweit man weiß, allein.