„Demokratie braucht Helden – und Heldinnen“

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Die Erinnerungskultur sei „ein wichtiger Pfeiler unserer Demokratie“, erklärte Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr am Dienstagabend in der Mediathek. Die Stadt hatte zu zwei Vorträgen zum Thema eingeladen.

Schramberg. Eisenlohr berichtete von fünf Schramberger Erinnerungsorte an die Opfer des Nationalsozialismus: Das Mahnmal für die Opfer des Faschismus am Mühlegraben und direkt dabei „Des Bruders Tod“. Am Bernecksportplatz erinnert eine Gedenktafel an die Zwangsarbeiter. In Waldmössingen am „Zigeunerhäusle“ ist ebenfalls eine Gedenktafel angebracht und in Tennenbronn erinnert seit 2019 eine Gedenktafel an die Pfarrersfamilie Karle. Auf dem Junghansareal werde ebenfalls noch eine Gedenktafel für die Fremd- und Zwangsarbeiter angebracht, kündigte Eisenlohr an.

Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr. Foto: him

Vorneweg gab es eine Grußbotschaft von Markus Lang von der Stiftung „Orte der Demokratie“. Er betonte, „positive Beispiele“ seien wichtig, um zu zeigen, dass „die Demokratie immer wieder erkämpft werden muss“.

Die traurige Geschichte von Wladislaw, Agnes und Polen Xaver

Der ehemalige Oberstudienrat Günter Buchholz begann mit einer ergreifenden Geschichte aus Tennenbronn: Eine alte Frau habe ihm von einem traumatischen Ereignis in ihrer Kindheit berichtet. Im alemannischen Dialekt erzählte Buchholz, dass polnische Zwangsarbeiter den Schwarzenbach hinuntergetrieben wurden. Einen von ihnen habe die SS erhängt.

„Wie se den uffghange habe, send se all uff d ‚Knie gfalle.“  Die SS-Leute hätten später in der Kneipe gefeiert. Und dann sei d‘Agnes ins KZ gekommen, ihr Säugling sei zum Glück im Dorf bei einer Tante geblieben. Mit kahlgeschorenem Kopf sei d’Agnes heimgekehrt. „Aber der Franz Xaver hat es immer schwer gehabt. In der Schule saß er immer in der letzten Bank.“ Man habe immer nur „Polen Bue“ zu ihm gesagt. „Und der Polen Bue isch jetzt au gschdorbe.“ *

Buchholz berichtete von einem Rundgang durch Schramberg, den er gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern entwickelt habe. Er würde sich freuen, wenn die Stadt diese initiative wieder aufgreifen würde.

Stolpersteine

Die Verlegung der Stolpersteine, die der Gemeinderat einstimmig beschlossen habe, könnten der Erinnerungskultur „neuen Schub verleihen“.

Er würdigte die Gemeinsamkeit der Demokraten, die dieser Tage zu zehntausenden in Deutschland auf die Straße gingen, um eine „Verhöckerisierung“ zu verhindern.

Buchholz erinnerte daran, dass bei der Revolution von 1848 auch die Frauen eine wichtige Rolle gespielt hätten. Im August 1848 hätten 240 Schramberger – allerdings nur Männer – eine umfangreiche Petition unterschrieben. Darin forderten sie unter anderem unentgeltliche Bildung und eine ordentliche Bezahlung der Lehrer und die Abschaffung der Konfessionsschule. Und die kam bekanntlich erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Günter Buchholz. Foto: him

Die Unterzeichner seien aus allen Schichten der Schramberger Gesellschaft gekommen. Wirte hätten eine wichtige Rolle gespielt. In den Wirtshäusern lag der „Schwarzwälder Bote“ aus –  und die Gäste lasen die „Artikel, die damals noch diskussionswürdig waren“, wie Buchholz anmerkte.

Josef Junghans – fast vergessen

Er erinnerte an den Kupferstecher Josef Junghans, der als erster der Familie Junghans von Zell am Harmersbach gekommen war und die Vorläuferkapelle der Stadtmusik gegründet hatte. Diese Josef Junghans werde leider kaum erwähnt. Er sei damals mit der Bürgerwehr ausmarschiert Richtung Cannstatt.

Friedrich Hecker, der badische Revolutionsführer habe sich selbst als sozialer Demokrat bezeichnet – und sollte daher für die SPD ein Vorbild sein und „könnte der SPD doch etwas Auftrieb geben“, schloss Buchholz.

Forderungen der Revolutionäre.

Kaum öffentliche Erinnerung an 1848

Der frühere Offenburger Stadtarchivar Wolfgang Gall zeigte in seinem Vortrag die Bedeutung von Erinnerungsorten auf. Dabei bezog er sich besonders auf die Revolution von 1848 / 49.

Im öffentlichen Raum erinnerten bis heute Straßenamen meist an diejenigen, die die Revolution und die Demokratie bekämpft hätten, wenige an die damaligen Revolutionäre. „Die monarchistische Staatsmacht hatte jegliche Erinnerung an 48/49 verboten.“

Wolfgang Gall. Foto: him

Zu den Jubiläen 1873 und 1898 seien Denkmäler verboten oder nur ohne besondere Widmung erlaubt worden. Viele Alt-48 seien nach der Reichsgründung 1971 auf Bismarcks Linie eingeschwenkt. 1923 wurde 1848 dann Staatsräson, schwarz-rot-gold die Nationalflagge. Auch die 68er hätten die Symbole von 1848 aufgegriffen. Erst bei der 150-Jahrfeier in Offenburg 1998 habe der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel stolz den Hecker Hut getragen.

Erwin Teufel mit Heckerhut.

Gall wunderte sich, dass inzwischen auch Ultrarechte und Coronaleugner sich als Erben der 1848 sehen in ihrem Widerstand gegen die „Eliten“.

Beispiele für Erinnerungsorte

Der Historiker zeigte an Beispielen aus Renchen, Konstanz und Offenburg, wie Erinnerungsorte an die 1848-Revolution gestaltet werden können. Dies sei wichtig, weil das Wissen um diese Zeit aber auch um die NS-Zeit abnehmen werde. Sehr viele Menschen, die heute in Deutschland leben, sind nicht hier geboren, ihnen fehle der direkte Bezug.

Es sei wichtig, herausragende Persönlichkeiten hervorzugheben. „Demokratie braucht Helden“, zitierte Gall und ergänzte „Aber auch viele Heldinnen.“ Dafür sollte man auch die neuen Medien nutzen, um junge Menschen zu erreichen. Die AfD sei bei Tiktok am stärksten dabei, bedauerte er.

Zwangsbesuche in Auschwitz?

In der Diskussion ging es um die Rolle von Josef Junghans und die Petition der Schramberger. Herbert O. Zinell fragte, was Gall von der SPD-Forderung halte, Schülerinnen und Schüler verpflichtend Auschwitz besuchen zu lassen. Er sei zwar kein Pädagoge, schränkte Gall ein. Aber er fürchte eher abwehrende Reaktionen, wenn solche Besuche erzwungen werden. Direkte Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden seien wohl nachhaltiger. Derzeit gestalte man Avatare, da es immer weniger Zeitzeugen gebe.

Peter Schimak schlug vor, heutige Erfahrungen Jugendlicher etwa mit Cybermobbing mit den Taten von damals in Verbindung zu bringen. “Es hat auch etwas mit mir zu tun.“

Das Heckerlied ohne „Tyrannenfett“

Schließlich meldete sich Mark Finnern. Er habe seine Ukulele dabei und würde gern das Hecker-Lied singen. Buchholz fragte: „Mit der Strophe mit dem Tyrannenfett?“ Finnern schaute überrascht. „Die hat man dem Hecker untergeschoben, um ihn zu diskreditieren.“ – „Dann lassen wir sie weg“, entgegnete Finnern und sang das Lied von der Freien Republik.“:

Wenn die Leute fragen, Lebt der Hecker noch?

Könnt ihr ihnen sagen: Ja, er lebet noch.

Er hängt an keinem Baume, Er hängt an keinem Strick.

Er hängt nur an dem Traume Der deutschen Republik.

Mark Finnern singt das Heckerlied. Foto: him

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(*Als ich 2006 Gemeinderat wurde, hat mir ein Tennenbronner erzählt, die Holztafel, die die polnischen Zwangsarbeiter zur Erinnerung an ihren erhängten Kameraden Wladislav Repetowski nach ihrer Befreiung 1945 errichtet hatten, verfalle zusehends. Sie sollte doch bewahrt werden. In „Schramberg. Adelsherrschaft Marktflecken Industriestadt“ ist die Geschichte auf Seite 265 nachzulesen.

Ich habe den damaligen Schramberger Oberbürgermeister Herbert O. Zinell darüber informiert. Zinell versprach, er werde sich darum kümmern. Drei Wochen später rief er mich an. Die Familie der betroffenen Frau habe ihn inständig gebeten, die Geschichte ruhen zu lassen und nichts zu unternehmen. Die Frau werde bis heute im Dorf als „Polen Hure“ beschimpft. Nun, fast zwei Jahrzehnte später, kann man die Geschichte erzählen. him)

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.