„Wie kann das sein, Windräder in einem Auerhuhnbiotop?“ Das habe er sich gefragt, als er in der Lokalpresse gelesen habe, dass im Feurenmoos zwischen Sulgen, Mariazell und Hardt bis zu fünf Windkraftanlagen errichtet werden sollen. Der Geograf Christophe Neff ist Akademischer Rat am Institut für Geographie und Geoökologie (IFGG) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Er steht mit einem Dutzend Masterstudierenden an der Straße nach Hardt. Neff zeigt auf ein älteres Haus im Schoren: „Hier habe ich ein paar Jahre meiner Kindheit verbracht.“ Wenige Meter vom Feurenmoos entfernt. Mit den Studierenden möchte er erkunden, ob es heute noch in diesem Gebiet Auerhühner geben könnte.
Schramberg/Lauterbach/Schiltach. Wie schon seit vielen Jahren ist Neff mit Studierenden aus Karlsruhe für eine mehrtägige Exkursion in seine Heimatregion gekommen. Vom „Adler“ auf dem Fohrenbühl aus geht es zu unterschiedlichen Plätzen in Neffs alter Heimat.
In Schiltach besuchten die angehende Geografinnen und Geografen gemeinsam mit Förster Holger Wöhrle eine Sukzessionsfläche am Kirchberg. Wie entwickelt sich die Vegetation nach einem Waldbrand vor sechs Jahren?
Aber auch die Trockenwälder und Flaumeichenbestände zwischen Schramberg und Schiltach zeigte Förster Wöhrle den Studentinnen und Studenten.
Besuch am Wagner-Stein
Nach einer Rast auf der Heuwies steht nun ein Spaziergang durch den Wald im Feurenmoos an. Zum Wagner-Stein soll es gehen. Dieser Stein erinnert an den früheren Förster Erwin Wagner der Gräflich Bissingschen Forstverwaltung. Wagner hatte in den 70er bis 90er Jahren den Wald im Feurenmoos gestaltet. Wichtiger und bekannter aber wurde Wagner für seinen Einsatz für die Auerhühner.
„Wagner war eine besondere Persönlichkeit“, erinnert sich Neff, „nicht jeder konnte mit ihm.“ Beim Wald habe Wagner sich um eine möglichst naturnahe Bewirtschaftung bemüht. „Der hat einen beim Sturm umgefallenen Baum auch mal liegen gelassen.“ In den durch die Wurzelteller aufgeworfenen Tümpeln hätten sich dann neue Biotope entwickelt.
Bei den Auerhühnern sah Wagner sein Feurenmoos als wichtigen „Trittstein“ für die Auerhuhnvorkommen im nördlichen und südlichen Schwarzwald. Auf dem Gelände seines Forsthauses an der Hardtstraße züchtete Wagner Auerhühner in Volieren und wilderte sie später aus. Wissenschaftlich sei das damals recht umstritten gewesen, so Neff.
Das ganze System betrachten
Es war auch nicht wirklich erfolgreich. Wagner, ein sehr guter Schütze, habe eines Tages einen Feind seiner Auerhühner, einen Habicht, geschossen. „Das hat ein Riesentheater gegeben.“ Für Neff zeigt das Beispiel, dass ein an einzelnen Arten orientierter Naturschutz nicht funktioniert. „Man muss das ganze System betrachten.“
Ob es heute noch Auerhühner im Feurenmoos gibt? Neff ist skeptisch. Pilzsammler hätten vor ein paar Jahren zwar berichtet, sie hätten welche gesehen. Neff mag es nicht glauben, denn seit Jahrzehnten gab es keine sonstigen Sichtungen hier mehr.
Eine Studentin erkundigt sich, ob denn die Windräder, wenn sie einmal stehen, die Auerhühner stören würden. Das sicher, denn Auerhuhnvorkommen seien Ausschlusskriterien für Windräder, lautet die Antwort.
Zu viel frequentiert
Im Gespräch mit seinen Studentinnen und Studenten diskutiert Neff, wie man das Thema erforschen könnte. Eine Möglichkeit wäre, an typischen Auerhuhn-Plätzen Wildkameras aufzustellen. Geeignet wäre der Wald als Auerhuhnlebensraum nämlich schon. Es gibt viele Heidelbeeren, an manchen Stellen ist der Wald licht genug, damit die schweren Vögel starten und landen können.
Andererseits begegnen der Exkursionsgruppe ständig Wanderer mit Hunden, Joggerinnen und Jogger ziehen vorbei. Spuren von Mountainbikern auch abseits der Wege sind zu entdecken. „In den 80er Jahren kam hier auch die Loipenbegeisterung auf“, erinnert sich Neff. Das habe die Auerhühner im Winter natürlich besonders gestört.
Die Tanne schafft’s
Es geht an diesem Nachmittag aber nicht nur um das Auerhuhn. An einer lichten Stelle zeigt Neff auf eine Gruppe junger Tannen zwischen hohen, älteren Bäumen. „Ein forest gap“, nennt er den Fachausdruck. „Und was kommt nach: die Tanne.“ Ganz gegen die Erwartungen mancher Fachleute, die der Tanne wegen des Klimawandels wenig Überlebenschancen geben.
Für den Abend hat Neff noch eine Aufgabe für seine Studierenden: „Was ist das für ein Biotop? Überlegen Sie in Kleingruppen.“ Sie sollten sich auch nicht von unterschiedlichen Antworten irritieren lassen. „In der Ökologie gibt’s kein absolutes richtig oder falsch.“
Am Wagner-Stein angelangt, fasst eine Studentin ihre Beobachtungen zusammen: Das Feurenmoos sei „relativ naturnah bewirtschaftet“, der Wald sei nicht besonders homogen, zwischen den Fichten und Tannen gebe es auch Laubwald. Es komme wohl nicht auf besonders viel Holzernte an. Es gebe verschiedene Altersstrukturen, hat sie beobachtet.
Neff bestätigt, der Wald im Feurenmoos sei „für einen deutschen Wald recht strukturreich“.
Und was ist nun mit dem Auerhuhn? „Es gibt Gebiete, die als Auerhuhn-Habitat geeignet wären“, stellt Neff fest. „Aber der Wald ist zu stark frequentiert. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass hier Auerhühner leben.“
Die breitblättrige Stendelwurz
Es ist inzwischen kühler geworden, die Gruppe eilt schnelleren Schrittes zurück zum Waldparkplatz. Doch unterwegs stoppt Neff, geht einige Meter zurück und ruft die Gruppe zusammen. „Bitte schauen Sie mal mit Ihrer künstlichen Intelligenz, was das ist.“ Neff zeigt auf eine eher unscheinbare Pflanze im Straßengraben.
Die Studierenden zücken ihre Smartphones, machen ein Bild. „Es ist die breitblättrige Stendelwurz“, findet die KI schnell heraus. „Ich hab‘ Ihnen doch angekündigt, dass ich hier eine Orchidee finde“, freut sich Neff.