Ein Mann aus dem Raum Rottweil ruft zur Erschießung des IG-Metall-Chefs auf. Die Staatsanwaltschaft will den Facebook-Post jedoch nicht verfolgen.
Am 21. Oktober 2015 platzt es aus Eduard P. heraus. Auf Facebook postet der Mann unter Klarnamen: „Der Hoffmann ist der beste! Sollte dafür an die Wand gestellt werden und […]!“ Ans Ende seines Postings setzt Eduard P. drei Pistolensymbole. Jörg Hofmann, Chef der IG Metall, hatte zuvor einen fairen Einstieg für Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt gefordert. Eduard P. liest davon im Videotext des Nachrichtensenders N24. Dann greift er zur Tastatur.
„Ich hatte das Posting seinerzeit auf Facebook entdeckt und einen Screenshot davon angefertigt“, erklärt der Würzburger IT-Fachanwalt Chan-Jo Jun, der in den vergangenen Jahren weltweite Bekanntheit erlangte – er ist der Mann, der hochrangige Facebook-Manager vor dem Kadi sehen will. Auch deshalb, weil sich Facebook häufig weigere, strafbare Botschaften wie die von Eduard P. zu löschen.
Ein Anwalt mit viel Erfahrung
Was derlei Hassbotschaften bei Betroffenen anrichten, weiß Chan-Jo Jun nur zu gut: Zu seinen Mandanten zählte auch der junge Syrer, dem zum Verhängnis geworden war, dass er für ein Selfie mit Angela Merkel posierte. Rechte strickten daraus nach Terroranschlägen die Lügengeschichte, bei dem Syrer handele es sich um den jeweiligen islamistischen Attentäter. Der Spin dieser Räubergeschichte: Die Kanzlerin posiert mit Attentätern für Fotos. Lügen wie diese aus dem Internet zu bekommen – ein Kampf gegen Windmühlen.
Chan-Jo Jun will Facebookmanager zur Verantwortung ziehen
Jun nimmt nicht nur diesen Kampf auf, er will diejenigen belangen, die aus seiner Sicht erhebliche Verantwortung für den Hass im Netz tragen. Er fordert, dass Eduard P. für seine verbalen Entgleisungen bestraft wird. Er zeigt aber auch den zuständigen Manager von Facebook Deutschland an, das den strafbaren Kommentar nicht löschen will. Ohne Erfolg: Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellt das Verfahren 2016 ein.
Später beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft München mit dem Fall. Weil Eduard P. seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Rottweil hat, geben die bayerischen Ermittler das Verfahren nach Baden-Württemberg ab. Am 6. September dieses Jahres bekommt Chan-Jo Jun schließlich Post aus Rottweil. Die Strafverfolger informieren Jun darüber, dass sie das Verfahren gegen Eduard P. eingestellt haben. „Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ist nicht gegeben“, heißt es in dem Schreiben. Ferner sei die Schuld als gering anzusehen, liege die Tat zudem mittlerweile sehr lange zurück.
Richtlinien für die Staatsanwaltschaften?
Auf ZAK-Anfrage erklärt Frank Grundke, Sprecher der Rottweiler Staatsanwaltschaft: „Der Abschluss in einem Ermittlungsverfahren ist grundsätzlich eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände.“ Grundke bestätigt aber auch: „Es gibt für die Staatsanwaltschaften generelle Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, in denen auch Fragen für die Einstellung eines Verfahrens enthalten sind.“ Genau da sieht Anwalt Jun den Hebel, der die grundsätzliche Praxis der Ermittlungsbehörden bei Hassbotschaften im Internet entscheidend ändern könnte. Jun wünscht sich, dass die Justizministerien Weisungen für derlei Fälle ausgeben.
Dort allerdings zucken sie bei diesem Thema zusammen. „In Deutschland ist es gelebte Rechtstradition, dass Justizministerien nur in absoluten Ausnahmefällen von ihrem ministeriellen Weisungsrecht Gebrauch machen“, schreibt Robin Schray, Sprecher des baden-württembergischen Justizministeriums, unserer Zeitung. Allerdings: Dass das Ministerium in dem konkreten Fall Einfluss nimmt, ist aus Juns Sicht gar nicht nötig. „Es würde schon reichen, wenn sie allgemeine Weisungen ausgeben, bei Morddrohungen das öffentliche Interesse anzunehmen“, sagt Jun. Und betont: „Dafür müsste kein Gesetz geändert werden, nicht einmal ein Parlament gefragt werden.“
Das Problem aus Sicht des engagierten Juristen: Dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Rottweil kein „Einzelfall-Versagen“ war, wie er sagt, sondern eher der Regelfall. Jun glaubt: „Äußerungsdelikte werden von Staatsanwälten nicht ernst genommen.“
Das sagt die Cyber-Expertin
Ein weiteres Problem macht die Journalistin Karolin Schwarz aus: „Ich sehe immer wieder, dass Verfahren dieser Art sich sehr lange hinziehen.“ Schwarz setzt sich seit Jahren intensiv mit Hate Speech im Netz auseinander, arbeitet unter anderem als Faktencheckerin für die ARD.
„Solche Drohungen sollten grundsätzlich ernst genommen werden“, sagt auch Schwarz. Es fehle an unmissverständlichen Zeichen, dass Morddrohungen nicht einfach dahingesagte Nichtigkeiten sind. Außerdem beobachtet die Journalistin: „In Polizei und Justiz gibt es zu wenig Expertise im Umgang mit Digitalem.“ Spezialisierte Staatsanwaltschaften könnten ein Weg sein, diesem Problem zu begegnen, glaubt Schwarz.
Kommentar: Das falsche Zeichen
Aus Worten können Taten werden – schlimmstenfalls ein Mehrfachmord wie erst vor wenigen Tagen in Halle. Der Mann, der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann an der Wand sehen wollte, war nicht im Darknet unterwegs, hat seinen Hass auch nicht aus der Anonymität heraus verbreitet, wie Ermittler häufig beklagen.
Der Mann hat sich auf Facebook öffentlich unter seinem echten Namen geäußert. Beste Voraussetzungen für Behörden, um ein Zeichen zu setzen – schließlich hat der Mann nicht Gebrauch von der Meinungsfreiheit gemacht, sondern sämtliche Grenzen überschritten.
Weshalb die Staatsanwaltschaft Rottweil das Verfahren gegen einen Hetzer der besonders üblen Sorte einstellt, mag juristisch durchaus sauber zu erklären sein. Gleichgesinnte des Mannes werden sich jedoch darin bestärkt sehen, ihren menschenverachtenden Hass weiterhin im Internet abzuladen.
Den Staatsanwaltschaften wohlüberlegte Richtlinien für diese Fälle an die Hand zu geben, scheint angesichts dessen nicht nur sinnvoll, sondern überfällig. Michael Würz