Der Wunsch „fröhliche Weihnachten“ markiert das letzte Fest des Jahres als freudiges Ereignis. Dies bildlich darzustellen, war allerdings lange ein schmaler Grat. Denn seliges Lächeln musste scharf von Gelächter getrennt werden, das als „höllisch“ galt. Ablesen lässt sich das unter anderem am Rottweiler Kapellenturm.
Dessen berühmtes Figurenprogramm – das größte in Schwaben im frühen 14. Jahrhundert – zeigt auch Themen der Advents- und Weihnachtszeit. So wird die Geburt Christi in der um 1330 entstandenen „Engelgruppe mit dem Stern“ am südlichen Portalbogenfeld aufgegriffen. Die Darstellung ist ungewöhnlich, nicht nur, weil zentrale Teile fehlen.
Einander gegenüber knien hier zwei Engel. Der eine musiziert auf einer Zither, der andere präsentiert genau in der Bildmitte einen achtzackigen Stern. Besonders apart ist ein Detail darüber: Ochs und Esel ragen aus einem Fenster über eine geflochtene Futterkrippe. Brav, fast andächtig stehen sie beieinander, allerdings gibt es ein neckisch wirkendes Detail: Der Ochse scheint an einem Tuch zu zerren oder zu knabbern, das oft als Windel des Christkinds gedeutet wird.
Der Bildstreifen unter dem Engl-Duo fehlt. Hier hat der Steinmetz, dem durch Stilvergleich unter anderem 1343 vollendete Darstellungen am Augsburger Dom zugeordnet werden können, vermutlich Maria im Wochenbett sitzend mit dem neugeborenen Kind und Josef dargestellt hat.
Auf der Gegenseite, im fast vollständig erhaltenen Bogenfeld des Nordportals, hat ein anderer Meister um 1340 die Verkündigung und Anbetung der Könige plastisch dargestellt. Im oberen Teil überbringt der Erzengel Gabriel Maria die göttliche Botschaft – eine spannungsvolle Szene, deren Bedeutung vom wie ein Zeigefinger hochragenden linken Flügel des Engels unterstrichen wird.
Überwölbt wird die Begegnung von Himmelsbote und Maria von einem bärtigen, aber nicht allzu greise wirkenden Gottvater als Halbfigur ganz in der Spitze des Bogenfeldes. Aus seiner Seite löst sich der Sohn und fliegt als Knäblein scheinbar im Kopfsprung der künftigen Mutter zu. Diese Verbildlichung der Menschwerdung Christi war im 14. Jahrhundert populär.
Durch ein Wolkenband davon abgetrennt wird im unteren Feld die Anbetung des Kindes durch die drei Könige geschildert. Sie huldigen dem Knaben und bringen ihm Gaben dar. Forscher weisen immer wieder auf besonders gekonnte Details hin – etwa die Geste des in der Mitte stehenden Melchior, der auf den im Verkündigungsbild aufgegangenen Stern hinweist.
Oder die modische Gewandung des rechts stehenden Balthasar, den man mit heutigen Begriffen vielleicht als feschen Hipster bezeichnen könnte. Auch die rhythmische Bewegtheit der Szenen insgesamt begeistert immer wieder, scheinen die Erzähleinheiten doch regelrecht ineinander hinein zu schwingen.
Es sind künstlerisch herausregende Darstellungen, die hier die biblischen Berichte rund um die Geburt und ersten Tage Christi vergegenwärtigen. Nicht von Ungefähr ist die Bildhauerkunst am Kapellenturm mit ihren Finessen wie dem virtuosen Spiel der Röhren-, Trauf- und Schüsselfalten als „Rottweiler Gotik“ in die Kunstgeschichte eingegangen.
Die üppigen Textilien und verzwirbelten Faltenwürfen, die die Steinmetze aus dem Sandstein meißelten, könnte man fast als Modenschau sehen. Historisch ist jedenfalls klar: Rottweil war mit dem Kapellenturm Vorreiter. Hier kam erstmals die entwickelte Gotik östlich des Oberrheins zur Wirkung – und strahlte dann weiter aus.
Bei allen Feinheiten der Symbolik fällt freilich auf: Weihnachtsfreude lässt sich, zumindest für heutige Augen, eher verhalten ablesen. Keine Frage: Die zentrale Szene mit dem Kind in der Krippe fehlt. Auch sind von der einstigen farbigen Fassung, die zweifellos viel von der Wirkung ausmachte, nur noch winzige Fragmente zu finden.
Es ist jedoch unverkennbar, dass das Gesicht der Maria, die den Königen ihren Sohn präsentiert, höchstens ein feines Lächeln umspielt. Der Knabe strahlt deutlicher. Auch beim zitherspielenden Engel am Südportal teilt sich freudige Bewegtheit mit.
Es ist jedoch eine gefasste, beinahe aristokratisch gezügelte Freude, der man bei Maria hier begegnet. Sie scheint sich vor allem innerlich zu ereignen. Diese Zurückhaltung verweist auf die lange heikle Bewertung von Gefühlsregungen, die sich zwischen Lächeln und Lachen Bahn brechen.
Denn herzhaftes oder gar heftiges Lachen galt im Früh- und Hochmittelalter als verwerflich. Zumal bei Frauen wurde es als Ausdruck von Torheit gedeutet und oft mit höllischem Gelächter gleichgesetzt. In seinem Roman „Der Name der Rose“ hat Umberto Eco diese angstbesetzte Abwehrhaltung zugespitzt und gezeigt, dass Lachen im Mittelalter eine heikle, ja brandgefährliche Sache sein konnte.
Mit tiefem Ernst diskutierten mittelalterliche Autoren daher unter anderem, ob Christus je gelacht und Maria gelächelt habe. Oder wie sich die Freude der Seligen im Paradies ausdrücke. Erst mit der Wiederentdeckung von Schriften des griechischen Philosophen Aristoteles, der das Lachen als ein Wesensmerkmal des Menschen beschrieb, setzte sich im 13. Jahrhundert an der Schwelle zur Neuzeit allmählich eine positivere Beurteilung des Lachens durch, die dann – wie am Kapellenturm – wohldosiert auch bildlichen Ausdruck fand.
Die Passionsfrömmigkeit des Spätmittelalters indes zog auch erneut Schranken. Sie bewertete das Weinen höher und verurteilte das Lachen. Ein schmaler Grat also für das, was wir heute als „fröhliche Weihnacht“ besingen.