back to top
...
    NRWZ.deKulturVon Rottweils „Schweizer Botschaft“ bis zum „Glarner Birnbrot“

    Von Rottweils „Schweizer Botschaft“ bis zum „Glarner Birnbrot“

    Artikel
    Kommentare
    Autor / Quelle
    Weitere Artikel
    Für NRWZ.de+ Abonnenten: 

    Rüdiger Görner, 1957 in Rottweil geborener, in Schramberg aufgewachsener Literaturwissenschaftler und Professor in London, zählt zu den produktivsten seines Fachs: An die 50 Bücher hat der Germanist veröffentlicht – jüngst etwa einen hoch gelobten Band über die Romantik in europäischer Perspektive. Ein Buch Görners schlägt einen Bogen von Rottweil zur Schweiz.

    Es ist einerseits ein gelehrten-kluges, andererseits ein recht persönliches Büchlein, dass Görner da unter dem Titel „Helvetiana“ vorgelegt hat. Denn anfangs macht der Germanist ausdrücklich stark, dass er einen biografischen Zugang zum Thema Schweiz habe: Zur Welt gekommen im als „Schweizer Botschaft“ betitelten „karmseinroten Alten Rottweiler Krankenhaus“ und beeinflusst durch einen Geschichtslehrer mit „Schweiz-Fimmel“ waren ihm die Bande Rottweils zur Eidgenossenschaft früh ein Begriff.

    Hinzu kam, dass er mütterlicherseits Schweizer Vorfahren hat: Diese wanderten in den Raum Rottweil-Schramberg, weil Herzog Eberhard im Bart (1445-1496) Holzfachleute aus dem Gebiet um Bern anwarb, um Teile des Schwarzwalds urbar zu machen. Der persönliche Zugang wird für Görner zum Anfangspunkt einer literarischen Reise durch die Schweiz. Er geht dabei nicht systematisch, sondern assoziativ vor – wie der unter anderem auf Robert Schumanns romantische Fantasiestücke „Kreisleriana“ anspielende Titel treffend andeutet.

    Wobei der polyglotte Literaturwissenschaftler kein verklärendes Loblied auf die Alpenrepublik anstimmt. Mit geharnischter Schweiz-Kritik von Friedrich Dürrenmatt bis Lukas Bärfuss baut er früh gegen allzu gefällige, marketingförmige Lesarten vor – und gibt zu, südlich des Bodensees selbst ebenfalls lange „ein unversehrtes Heidiland“ vermutet zu haben.

    Auf der Suche nach dem literarisch-kulturellen Fingerabdruck der Schweiz: Rüdiger Görners Erkundung „Helvetiana“. Foto: al

    Aber Görner verharrt bei aller Wachheit auch nicht in einer betont kritischen Pose. Er klopft Lesarten und Zuschreibungen ab – von der neuerdings hart herausgeforderten Neutralität und dem „Mythos Schweiz“ bis zum „Verklärungsgebiet Schweiz“. Er lässt Dinge freilich auch gelten, etwa indem der das Bedächtige der Schweizer Literatur als Erfahrungsquelle und Stärke hervorhebt, ebenso einen „feinen Sinn fürs Absurde“. Und der Literaturwissenschaftler entdeckt gerade in der Schweiz literarische „Weltmoderne“.

    So fügt sich eine perspektivenreiche, persönlich gefärbte Rundschau zusammen, in der Friedrich Nietzsche, Franz Kafka, Georg Trakl, Thomas Mann und Oskar Kokoschka ebenso ihren Platz haben, wie Rainer Maria Rilke in Bad Ragaz oder Beobachtungen des bis heute oft unterschätzten Robert Walser. Dank ihm erfährt man etwa vom „Glarner Birnbrot“, einem Brauch aus dem Unterengadin, bei dem Mädchen am zweiten Weihnachtsfeiertag ihrem liebsten Mitschüler ein Birnbrot schenkten – nicht selten wohl in der Hoffnung auf ein gemeinsames Leben.

    Die Verbindung solcher Funde mit einem weit gespannten Sichtfeld und erhellenden Zuspitzungen – etwa indem Görner die Schweiz als „Biosphäre der Selbstbesinnung“ charakterisiert – machen dieses Büchlein zu einer besonderen, persönlichen Lektüre. Dass Görner kleine Gedichte eingestreut hat, rundet dies noch passend ab.

    Alles in allem ist Rüdiger Görner mit „Helvetiana“ ein bereichernder Zugang zum Thema Schweiz gelungen – mit interessanten Verknüpfungen, unterhaltsam und erhellend. Die die alte Verbindung Rottweils mit den Eidgenossen war hierfür offenbar ein fruchtbarer Boden.

    Info: „Helvetiana – Poetische Erkundungen in der Schweiz“ ist in der Edition Signathur erschienen (ISBN-13: 978-3-906273-38-9, 125 Seiten) und im Buchhandel erhältlich.

    Rüdiger Görner ist Professor für Neuere Deutsche und vergleichende Literatur an der Queen Mary University of London und Gründungsdirektor des Centre for Anglo-German Cultural Relations. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und erhielt den Deutschen Sprachpreis der Henning Kaufmann-Stiftung ebenso wie den Reimar Lüst-Preis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Rüdiger Görner ist Träger des Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland. Görner hat zahlreiche Publikation zu englischen und deutschsprachigen Literatur und Kulturgeschichte vorgelegt.

    image_pdfArtikel als PDF speichernimage_printArtikel ausdrucken

    Diskutieren Sie mit!

    Hier können Sie einen Kommentar zu unserem Artikel hinterlassen.

    image_pdfArtikel als PDF speichernimage_printArtikel ausdrucken

    Beiträge

    „Bremer Stadtmusikanten“ begeistern

    Als mitreißende Mutmach-Geschichte über die Kraft der Freundschaft und des Optimismus setzt das Rottweiler Zimmertheater „Die Bremer Stadtmusikanten“ in Szene: humorvoll, einfallsreich, kurzweilig –...

    image_pdfArtikel als PDF speichernimage_printArtikel ausdrucken

    image_pdfArtikel als PDF speichernimage_printArtikel ausdrucken

    Rüdiger Görner, 1957 in Rottweil geborener, in Schramberg aufgewachsener Literaturwissenschaftler und Professor in London, zählt zu den produktivsten seines Fachs: An die 50 Bücher hat der Germanist veröffentlicht – jüngst etwa einen hoch gelobten Band über die Romantik in europäischer Perspektive. Ein Buch Görners schlägt einen Bogen von Rottweil zur Schweiz.

    Es ist einerseits ein gelehrten-kluges, andererseits ein recht persönliches Büchlein, dass Görner da unter dem Titel „Helvetiana“ vorgelegt hat. Denn anfangs macht der Germanist ausdrücklich stark, dass er einen biografischen Zugang zum Thema Schweiz habe: Zur Welt gekommen im als „Schweizer Botschaft“ betitelten „karmseinroten Alten Rottweiler Krankenhaus“ und beeinflusst durch einen Geschichtslehrer mit „Schweiz-Fimmel“ waren ihm die Bande Rottweils zur Eidgenossenschaft früh ein Begriff.

    Hinzu kam, dass er mütterlicherseits Schweizer Vorfahren hat: Diese wanderten in den Raum Rottweil-Schramberg, weil Herzog Eberhard im Bart (1445-1496) Holzfachleute aus dem Gebiet um Bern anwarb, um Teile des Schwarzwalds urbar zu machen. Der persönliche Zugang wird für Görner zum Anfangspunkt einer literarischen Reise durch die Schweiz. Er geht dabei nicht systematisch, sondern assoziativ vor – wie der unter anderem auf Robert Schumanns romantische Fantasiestücke „Kreisleriana“ anspielende Titel treffend andeutet.

    Wobei der polyglotte Literaturwissenschaftler kein verklärendes Loblied auf die Alpenrepublik anstimmt. Mit geharnischter Schweiz-Kritik von Friedrich Dürrenmatt bis Lukas Bärfuss baut er früh gegen allzu gefällige, marketingförmige Lesarten vor – und gibt zu, südlich des Bodensees selbst ebenfalls lange „ein unversehrtes Heidiland“ vermutet zu haben.

    Auf der Suche nach dem literarisch-kulturellen Fingerabdruck der Schweiz: Rüdiger Görners Erkundung „Helvetiana“. Foto: al

    Aber Görner verharrt bei aller Wachheit auch nicht in einer betont kritischen Pose. Er klopft Lesarten und Zuschreibungen ab – von der neuerdings hart herausgeforderten Neutralität und dem „Mythos Schweiz“ bis zum „Verklärungsgebiet Schweiz“. Er lässt Dinge freilich auch gelten, etwa indem der das Bedächtige der Schweizer Literatur als Erfahrungsquelle und Stärke hervorhebt, ebenso einen „feinen Sinn fürs Absurde“. Und der Literaturwissenschaftler entdeckt gerade in der Schweiz literarische „Weltmoderne“.

    So fügt sich eine perspektivenreiche, persönlich gefärbte Rundschau zusammen, in der Friedrich Nietzsche, Franz Kafka, Georg Trakl, Thomas Mann und Oskar Kokoschka ebenso ihren Platz haben, wie Rainer Maria Rilke in Bad Ragaz oder Beobachtungen des bis heute oft unterschätzten Robert Walser. Dank ihm erfährt man etwa vom „Glarner Birnbrot“, einem Brauch aus dem Unterengadin, bei dem Mädchen am zweiten Weihnachtsfeiertag ihrem liebsten Mitschüler ein Birnbrot schenkten – nicht selten wohl in der Hoffnung auf ein gemeinsames Leben.

    Die Verbindung solcher Funde mit einem weit gespannten Sichtfeld und erhellenden Zuspitzungen – etwa indem Görner die Schweiz als „Biosphäre der Selbstbesinnung“ charakterisiert – machen dieses Büchlein zu einer besonderen, persönlichen Lektüre. Dass Görner kleine Gedichte eingestreut hat, rundet dies noch passend ab.

    Alles in allem ist Rüdiger Görner mit „Helvetiana“ ein bereichernder Zugang zum Thema Schweiz gelungen – mit interessanten Verknüpfungen, unterhaltsam und erhellend. Die die alte Verbindung Rottweils mit den Eidgenossen war hierfür offenbar ein fruchtbarer Boden.

    Info: „Helvetiana – Poetische Erkundungen in der Schweiz“ ist in der Edition Signathur erschienen (ISBN-13: 978-3-906273-38-9, 125 Seiten) und im Buchhandel erhältlich.

    Rüdiger Görner ist Professor für Neuere Deutsche und vergleichende Literatur an der Queen Mary University of London und Gründungsdirektor des Centre for Anglo-German Cultural Relations. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und erhielt den Deutschen Sprachpreis der Henning Kaufmann-Stiftung ebenso wie den Reimar Lüst-Preis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Rüdiger Görner ist Träger des Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland. Görner hat zahlreiche Publikation zu englischen und deutschsprachigen Literatur und Kulturgeschichte vorgelegt.

    image_pdfArtikel als PDF speichernimage_printArtikel ausdrucken

    [adinserter name="AnzeigenImArtikelDesktop"]

    Das interessiert diese Woche

    [adinserter name="AnzeigenImArtikelDesktop"]