Ziemliche Aufregung herrscht in Rottweil-Neukirch, weil dort der Regionalverband eine große Fläche in Ortsnähe als „Vorranggebiet für Windkraftanlagen“ ausweisen möchte. Eine wesentlich kleinere Fläche bei Schramberg-Sulgen, im „Feurenmoos“, veranlasste die örtliche Tageszeitung von einem „Windkraft-Hammer“ zu schreiben. Zu einer Informationsveranstaltung des Regionalverbands am Mittwochabend in Schwenningen waren etwa ein Dutzend Neukircher und eine Handvoll Schramberger gekommen. Außer der NRWZ waren keine Medien vertreten.
VS-Schwenningen. Eine kleine Schar hat sich kurz vor 18 Uhr im Sitzungsraum des Regionalverbands in Schwenningen versammelt. Interessiert studieren sie Karten und Pläne und schimpfen, was da in ihrem Umfeld geplant sei, sei eine „Sauerei“.
„Information über Teilplanfortschreibungen zur Umsetzung der Landesflächenziele nach §§ 20 und 21 KlimaG BW im Rahmen der öffentlichen Beteiligung“ – so lautete der sperrige Titel der Veranstaltung. Verbandsdirektor Marcel Herzberg und sein Team hatten die Pläne aufgehängt und die Planunterlagen zur Einsicht bereitgestellt.
Im Rahmen der öffentlichen Beteiligung können Bürgerinnen und Bürger der Region noch bis Freitag die Unterlagen einsehen und bis zum 1. März schriftlich dagegen Einwendungen vorbringen.
Mit einem Vortrag über die Aufgaben und die Zusammensetzung des Regionalverbands eröffnete Herzberg die Veranstaltung. Er erläuterte, dass die 48 Mitglieder der Regionalverbandsversammlung von den drei Kreistagen in Rottweil, Tuttlingen und Schwarzwald-Baar gewählt seien. Der Regionalverband sei zuständig für die Planung, wie sich die Region entwickeln soll.
Flächenausweisen als Auftrag
Nun habe das Land den zwölf Regionalverbänden den Auftrag erteilt, jeweils mindestens 1,8 Prozent der Fläche für Windenergie und 0,2 Prozent für Freiflächen-Photovoltaik auszuweisen. Dies sei nötig, um die Klimaziele und die Ziele beim Ausbau der regenerativen Energien zu schaffen.
Diese Vorgaben kämen von der EU und dem Bund und würden auf Landesebene konkretisiert. Zwar sehe man sich hier als ländliche Region, so Herzberg. „Wir sind aber auch eine Industrieregion. Wir haben den höchsten Anteil von Beschäftigten im gewerblichen Bereich landesweit.“
Deshalb sei auch unsere Region auf Strom angewiesen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sei „im überragenden öffentlichen Interesse“, lege die Gesetzgebung heute fest und sie diene der öffentlichen Sicherheit. Der Ausbau habe deshalb Vorrang. Es fielen „aber nicht alle anderen Belange unter den Tisch“, beruhigte Herzberg. So gelten weiterhin beispielsweise die Naturschutzgesetze, der Artenschutz und das Bundesimmissionsschutzgesetz.
Bei der Ausweisung der Vorranggebiete habe der Regionalverband versucht, diese konkurrierenden Belange unter einen Hut zu bringen. Zunächst schaue man nach der Windhöffigkeit: Natürlich muss in den ausgewählten Gebieten auch ausreichend Wind wehen. Dann gelten die Abstandsgebote für Windkraftanlagen: 750 Meter von geschlossener Besiedlung, 500 Meter von Einzelbebauung.
Schließlich gibt es Ausschlussgebiete wegen des Natur- und Artenschutzes. Für die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg sei die Herausforderung darin zu sehen, dass die Windhöffigkeit unterdurchschnittlich gut und die günstigen Lagen räumlich ungleich verteilt seien, erläuterte Herzberg.
Die Region sei etwa 2500 Quadratkilometer groß, davon1,8 Prozent wären 4550 Hektar. Bisher seien lediglich etwa 450 Hektar als Vorrangflächen ausgewiesen. 54 Windräder seien bisher installiert. Herzberg wies darauf hin, dass, wenn die mindestens 1,8 Prozent erreicht würden, Windkraftanlagen nur in diesen ausgewiesenen Gebieten gebaut werden dürften.
Jede Anlage wird geprüft
Erreiche man diese Zahl nicht, dann gelte, dass ein Investor, wo immer er es möchte, im Außenbereich eine Anlage planen kann – wobei auch dann die Vorgaben zum Abstand und so weiter eingehalten werden müssen.
Auch wenn ein Gebiet als Vorranggebiet ausgewiesen ist, heißt das nicht, dass ein Projektierer ohne weiteres dort Windräder aufstellen kann. Auch dann müssen die Landratsämter wie bisher alle Kriterien wie Immissionsschutz, Arten- und Naturschutz, das Baurecht, Forstrecht und das Wasserrecht prüfen und können eine Anlage nur genehmigen, wenn alle Bestimmungen eingehalten werden.
Ein weiteres Problem: Fast die Hälfe der Region ist bewaldet. Um die 1,8 Prozent zu schaffen, komme man ohne Wald nicht aus, bedauert Herzberg.
„Wir planen keine Anlagen“
Die Aufgabe des Regionalverband, darauf wies Herzberg ein ums andere Mal hin, sei, die Flächen auszuwählen, wo Windkraftanlagen – theoretisch – möglich wären. „Wir planen keine Anlagen.“
Das sei Aufgabe von Investoren. Die würden sich die geeigneten Flächen anschauen, selbst nochmal prüfen, ob der Bau einer Anlage sich lohne. Dann müssten sie sich mit dem Grundbesitzer einigen und erst dann könnten sie die Baugenehmigung beantragen. Das Ausweisen möglicher Flächen heiße nicht, dass dort auch tatsächlich Anlagen errichtet würden.
„Unsere Ausweisung hat keinen enteignenden Charakter“, betonte der Verbandsdirektor. „Niemand ist gezwungen, dort eine Windkraftanlage zu bauen.“ Die Ausweisung verhindere lediglich, dass in dem Gebiet beispielsweise ein Gewerbegebiet angelegt werde. Aber das sei im Außenbereich eh kaum möglich.
40 Anlagen bei Neukirch? – ganz bestimmt nicht
Frank Kosse vom Regionalverband ging auf die Windhöffigkeit ein. Da seien die Voraussetzungen auf mindestens 190 Watt pro Quadratmeter herabgesetzt worden. Dadurch seien mehr Gebiete in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg geeignet. Wegen der Abstandsgebote würden viele Gebiete wegfallen.
Der Regionalverband weise in seinem Entwurf 2,3 Prozent der Fläche oder fast 6000 Hektar aus, auch um gegebenenfalls noch Änderungen vornehmen zu können.
Aus dem Publikum kam die Frage, weshalb bei Rottweil-Neukirch das größte Gebiet ausgewiesen werde. Da seien 40 Anlagen möglich, meinte der Fragesteller. Es sei tatsächlich mit Dietingen zusammen die größte zusammenhängende Fläche, bestätigte Herzberg. Der Zahl 40 widersprach Kosse aber vehement.
Unbeeindruckt wollte ein Teilnehmer „Boxhandschuhe anziehen“, um sich zu wehren. Ein anderer befürchtete, es würden Anlagen gebaut, die so hoch wie der Rottweiler Testturm seien.
Flächenverbrauch und Windhöffigkeit
Gefragt, wie viel Fläche wegen einer Anlage verbraucht werde, wollte Kosse nicht generell antworten. Das hänge stark vom Einzelfall ab, etwa wie die Erschließung geschehe. Für die Anlage an sich mit dem Platz für einen Kran benötige man etwa einen halben Hektar. Diese Fläche sei teilversiegelt, also geschottert. Versiegelt sei nur das Betonfundament.
Ein anderer Besucher argumentierte mit den negativen Strompreisen gegen Windkraftanlagen und bekam den Hinweis Baden-Württemberg und Bayern seien Schlusslichter beim Ausbau dieser Anlagen.
Woher die Daten zur Windhöffigkeit stammten, fragte ein weiterer Besucher. Kosse nannte den baden-württembergischen Windatlas, der auf Daten von bestehenden Anlagen und Berechnungen und Modellen beruhe. Ein Investor müsse aber selbst an den Standorten messen.
Was geschehe, wenn ein Investor feststelle, dass die Messwerte nicht stimmen, lautete eine weitere Frage. Herzberg: „Wenn es sich nicht lohnt, dann wird er nicht bauen.“
Ausgleich
Die Natur werde „mit Füßen getreten“, kritisierte ein Neukircher. Herzberg versicherte, dass die Windradbauer für den Verlust an Natur einen Ausgleich schaffen und an anderer Stelle beispielsweise einen neuen Wald anpflanzen müssen.
Zum Feurenmoos bei Schramberg erklärten die Planer, man habe die Gebäudeabstände berücksichtigt. Ein Sulgener erinnerte sich, dass man bis vor einigen Jahren wegen des Auerhuhns dort nicht einmal Heidelbeeren habe sammeln dürfen.
Frist schon verlängert
Ein andrer erkundigte sich, weshalb man nur sieben Wochen Zeit für Einwendungen habe, und der Regionalverband nicht schon früher über die Pläne informiert habe.
Herzberg erklärte, erst habe die Verbandsversammlung den Planentwurf beschließen müssen. Das sei kurz vor Weihnachten gewesen. Um nicht über Weihnachten und Neujahr die Fristen laufen zu lassen, habe man erst im Neuen Jahr die Pläne veröffentlicht – und damit auch die Fristen starten lassen.
Gesetzlich vorgeschrieben seien nur vier Wochen, man gebe also schon deutlich mehr Zeit. Andererseits sei der Regionalverband gesetzlich verpflichtet, den Plan bis September 2025 vorzulegen und müsse sich daher sputen.
Weshalb man die Anlagen nicht entlang der Autobahnen baue, fragte ein Besucher. Weil da die Windhöffigkeit nicht ausreiche. Dort seien aber Photovoltaikanlagen vorgesehen, erwiderte Herzberg. Ein anderer Besucher vermutete, der Regionalverband habe eine Vorgabe, wie viele Anlagen gebaut werden müssen. Herzberg widersprach. Auch die Frage, wem ein Grundstück gehöre, dürfe bei der Planung keine Rolle spielen.
Feurenmoos mit maximal vier bis fünf Anlagen
Gefragt, wie viele Anlagen im Feurenmoos möglich wären, antwortete Kosse, nach einem möglichen Raster seien dies „maximal vier bis fünf“. Die badenova untersuche gerade ein Gebiet im Norden des Kreises, das viel größer sei und plane dort mit ein oder zwei Anlagen.
Nur noch geringes Interesse der Besucher bestand an den Photovoltaikanlagen und den dazugehörigen Plänen, die Tim Lübbe vorstellte. Diese Freiflächenanlagen sollen auf etwa 500 Hektar errichtet werden können.
PV entlang der A 81
Hier gelte, dass auch andere Flächen außerhalb der Vorrangflächen genutzt werden können, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Auch hier müssen die Gemeinden über Bebauungspläne eingebunden werden.
Ohne Bebauungspläne gehe es entlang den Autobahnen und zweigleisig ausgebauten Schienenstrecken. Die Gäubahn falle daher weg. Auch die Schwarzwaldbahn sei ungeeignet, weil sie meist im Tal verlaufe. Deshalb befinden sich die meisten ausgewiesenen Flächen entlang der A 81 im Kreis Rottweil.
Am Ende der Veranstaltung erklärte Herzberg, dass Einwendungen per Brief oder E-Mail an den Regionalverband eingereicht werden können. Jeder Einwand werde geprüft und der Verbandsversammlung vorgelegt. Diese entscheide dann, ob dem Einwand stattgegeben werde oder nicht.
Einwendungen begründen
Nach welchen Kriterien der Regionalverband die Einwände prüfe, fragte ein Teilnehmer. Herzberg entgegnete, man überprüfe die Fakten. Ein Einwand wie: Ich lehne Windkraft ab, reiche nicht.
Aber wenn jemand in einer Vorrangfläche beispielsweise einen geschützten Schwarzstorch gesehen habe, müsse man das prüfen. Und wenn dort tatsächlich ein solcher Storch lebe, scheide das Gebiet aus.
Mit dem Dank für die lebhafte Diskussion beendete Herzberg die Veranstaltung.