Trotz Ausgangssperre draußen: Corona-Sünder vom Amtsgericht zu Bußgeld verdonnert

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Bußgeldsache wegen Verstoßes gegen Corona-Verordnung: Weil er trotz vom Landratsamt verhängter nächtlicher Ausgangssperre im April 2021 draußen spazieren gegangen ist, soll ein Rottweiler Bürger 150 Euro Bußgeld bezahlen. Das hat er nun per amtsgerichtlichem Urteil. Zahlen will Dieter E. Albrecht, so heißt der Mann, aber nicht. Die Corona-Pandemie habe bei ihm Suchtverhalten ausgelöst, sodass er abends hätte raus müssen. Entgegen auch einer willkürlich erlassenen Verordnung, wie er sie empfindet. Die Richterin sah das alles anders. Albrecht hat bereits den Gang durch die Instanzen angekündigt. Bis zum Freispruch, wenn er das schafft (Update siehe Artikelende).

Eingangs ein paar Zitate

„Es ist einfach Bewegung geboten“ – auch, wenn das Landratsamt das verbietet.

„Bei einem Cha-Cha-Cha kriege ich keine suizidalen Gedanken“, so Albrecht, der gerne tanzt, dreimal die Woche, und das während der Coronazeit auch nicht durfte.

„Musste mich dagegen auflehnen, was Unrecht ist“, so Albrecht. Die angekündigten Spaziergänge gehörten da dazu.

„Ich will, dass die deutsche Justiz über diesen Unsinn entscheidet.“ Dafür, dass der Staat nicht willkürlich machen kann, was er will, hätten wir die Gewaltenteilung. Da müssten dann Gerichte sprechen. Und den Staat in seine Schranken weisen.

Kleiner Rahmen

Geschätzte 32 Quadratmeter Sitzungssaal, eine Einzelrichterin, zwei Zuhörerinnen und zwei Zuhörer, drei davon von der Presse, eine geht nach wenigen Minuten wieder. Dieter E. Albrecht hätte sich vielleicht einen größeren Rahmen gewünscht. Aber Saal 33 des Rottweiler Amtsgerichts muss genügen. Albrecht ist gut vorbereitet, hat sein Laptop aufgeschlagen, macht sich Notizen, wirkt völlig ruhig. Einen Verteidiger hat er sich nicht genommen. Er sagt selbst aus.

Geständiger Albrecht

Am 28. April 2021 hat er sich zwischen 21 und 22.30 Uhr entgegen der Verordnung draußen aufgehalten. „Das trifft zu“, so Albrecht. Der Mann ist voll geständig. Badete damals mit den Füßen im „Mädelesbrunnen“, bei um die Null Grad. Nach Sebastian Kneipp.

Allerdings habe er keine Ordnungswidrigkeit begangen. „Hier irrt sich die Stadt Rottweil“, die ihm seinerzeit einen Bußgeldbescheid ausstellte, nachdem er von einer Polizeistreife erwischt worden war nachdem die Stadtverwaltung sein von ihm veröffentlichtes Foto von der Aktion online gefunden hatte. Seine Begründung: Er habe zu jener Zeit „gefressen und gesoffen, zwei Flaschen Wein am Abend waren keine Seltenheit“, beschreibt er seine Situation von damals. Er habe zunehmend depressive, suizidale Gedanken gehegt. Sei dagegen aktiv geworden, sei rausgegangen, spazieren, ab Februar 2021. Anfangs ja erlaubt. Dann kam die neuerliche nächtliche Ausgangssperre des Landkreises, die ihm genau das verbieten sollte.

Albrechts triftiger Grund – und ein Statement gegen die Ausgangssperre

„Mich sperrt hier in Deutschland niemand ein, nicht ohne Grund.“ Er habe keinerlei Verständnis dafür gefunden, dass ihn jemand daran hindere, abends alleine draußen an der frischen Luft spazieren zu gehen. Außerdem: „Mir ging es einfach schlecht.“ Daher sei er „aus triftigem Grund“ rausgegangen, „ich weiß nicht, was es für einen triftigeren Grund geben kann, als wenn es um Leben und Gesundheit geht.“ Die Ausnahme von der Ausgangssperre war so definiert gewesen. Als triftige Gründe galten etwa die Versorgung von Tieren, berufliche Erfordernisse, medizinische Versorgung.

Für Albrecht zählt aber nicht nur das, er habe er auch gegen die „willkürliche, unangebrachte und unwirksame Maßnahme (der Ausgangssperre) demonstrieren“ wollen, habe seine Umgänge deshalb etwa auf Facebook angekündigt. „Es gibt keinen logischen und sachlichen Grund, Menschen so einzusperren, dass sie allein nicht mehr an die frische Luft können.“ Im Nachbarlandkreis Schwarzwald-Baar habe man eine ähnlich lautende Verfügung erlassen – mit einer Ausgangssperre ab 24 Uhr. Nicht schon ab 21 Uhr, wie das Landratsamt Rottweil. „Meine Grundrechte durften so nicht eingeschränkt werden.“

Aber, zusammenfassend, vor allem gesundheitlich sei der Spaziergang „dringend geboten“ gewesen. Wie gesagt, es ging um Leben und Tod. Die Spaziergänge seien sein Weg aus der Depression gewesen. Sein eigener Behandlungsweg, zu dem er keinen Arzt gebraucht habe, „Sie haben zu der Zeit ohnehin keinen Termin bekommen“, beschied Albrecht der Richterin.

Und sein Geschäft als Schlüsselnotdienstleister – das ging damals um 70 bis 80 Prozent zurück. Die Menschen sperrten sich nicht mehr aus, meist war zudem ja jemand zu Hause. Home-Schooling, Home-Office. Für ihn ein einziges Drama.

Das Urteil

Nach rund einer halben Stunde hatte die Richterin ihre Informationen beieinander. Sie beendete die Beweisaufnahme, brauchte zehn Minuten für sich, kehrte dann zurück.

Wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit verurteilte die Amtsrichterin Albrecht zur Zahlung der Geldbuße in Höhe von 150 Euro plus Verfahrenskosten. Der Bußgeldrahmen für den Verstoß gegen die Ausgangssperre liegt zwischen 50 bis 500 Euro. Da der Mann aber geständig und es der erste Vorfall war, habe sie die Höhe der Strafe als angemessen erachtet, so die Richterin. Sie entspricht dem damals von er Stadt verhängten Bußgeld.

„Ich halte die Verordnung für verfassungsgemäß“, die damals ergriffenen Ausgangssperren seien es auch gewesen, sagte sie, das gebe es inzwischen höchstrichterlich. Insofern greife die Beschwerde Albrechts nicht. Hat also ein triftiger Grund vorgelegen, dass er gegen die Ausgangssperre verstieß? Sie wolle nicht abstreiten, dass es ihm seinerzeit schlecht gegangen sei. Er hätte aber ärztliche Hilfe einholen können. „Die Eigenbehandlung als solche stellt keinen triftigen Grund dar.“ Und: Er war, wie geschildert, beruflich nicht so eingebunden, dass er die Spaziergänge nicht hätte vorverlegen können.

Es ist damit nicht vorbei

Damit ist die Sache für Albrecht nicht beendet. Er hat längst Rechtsmittel angekündigt, will, wie er der Presse gegenüber erklärte, bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.

Update 6. Juli 2022, Albrecht hat Rechtsmittel eingelegt. „Das Urteil hat erhebliche Rechtsfehler und vorgetragene Sachverhalte wurden zur Urteilsfindung nicht berücksichtigt und/oder andere nicht abgewogen“, schreibt er. Wieder berichtet er von einem Freiheitsentzug, der für ihn völlig unverständlich und anlasslos gewesen sei. Unter anderem stellt Albrecht darauf ab, dass es sich bei der Allgemeinverfügung, die eine Ausgangssperre beinhaltete, um „staatliche Willkür“ und um Unrecht gehandelt habe. Zudem um „unzulässige Grundrechtseinschränkungen meiner Person“, was das Gericht mit Verweis auf höchstrichterliche Rechtssprechung lapidar abgetan hätte. „Hier muss ich dem Gericht widersprechen, denn es gibt keine einzige höchstrichterliche Entscheidung, welche sich auf genau diese 6 Tage lang gültige(?) Allgemeinverfügung des Landrates von Rottweil oder einer exakt gleichlautenden Verfügung beruft, welche eine derartige harte und erkennbar unverhältnismäßige Verordnung, speziell mit dem Verbot ab 21 Uhr nicht mehr alleine an die frische Lust zu dürfen, bestätigt. Dieser Gesichtspunkt hätte vom Gericht gewürdigt werden müssen“, schreibt Albrecht.

Seine Spaziergänge während der Ausgangssperre bezeichnet Albrecht als „zwingend erforderlich“ und erklärt: Der Staat und mit diesem Urteil das Gericht würdigen mich herab auf den unmündigen Verstand eines Kindes. Auch die Politiker kennen die Probleme nicht und setzen bei ihrer Gesetzgebung oft alle gleich auf dieses Niveau. Die Selbsteinschätzung und Selbstverantwortung, was mir gut tut und Heilung bzw. sofort Wirkung zeigt – ohne irgendjemanden anderen zu schaden oder zu gefährden -, wird mir abgesprochen. Das mildeste Mittel wie vor beschrieben wird mir nicht als wichtiger Grund zugestanden.“

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

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