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    Theater-Livestream: Packend nah dran

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    Doppel-Premiere am Rottweiler Zimmertheater: Trotz Corona-Chaos hat das Team eine Inszenierung des Kleist-Stücks „Prinz von Homburg“ gestemmt – und diese am Freitagabend per Livestream präsentiert. Grandios!

    Wow. Wie lange hatte man darauf gewartet! Darauf, dass um Schlag Acht die Scheinwerfer aufblenden. Dass Schauspieler auf einer Bühne auftauchen – und mit ihnen für rund zwei Stunden eine ganze Welt. Auf den Tag genau sechs lange Monate war es am Freitag her, dass das Zimmertheater letztmals spielen konnte – ehe sich der bleierne Lockdown-Vorhang erneut und diesmal erdrückend lange senkte.

    Dass nach halbjährige Zwangsabstinenz eingangs eine kribbelnde Spannung in der Luft lag, mehr noch als ohnehin bei Premieren, ließ sich etwa an der Kommentarspalte zum Livestream ablesen. Toitoitoi-Wünsche, offenbar sogar aus der Bretagne, machten dem Ensemble Mut.

    Power und Spielfreude hatte das Team freilich auch ohne derlei digitale Anfeuerung. Nach einem hinzugefügten Prolog, der Freiheit und Repression abklopfend, wilde Assoziationsbögen von bezopften Barockfiguren bis zu Corona-Protesten schlug, bot das Ensemble unter der Regie von Peter Staatsmann eine enorm intensive Ausleuchtung der Kleistschen Versuchsanordnung.

    1809/10 hat der stets zwischen Klassik und Romantik stehende Dichter das Drama um den titelgebenden preußischen Reitergeneral verfasst, der 1675 in einer Schlacht den Befehl seines Kurfürsten missachtet. Obwohl er damit den Sieg ermöglicht, soll er für die Eigenmächtigkeit mit dem Tod bestraft werden und erfährt erst auf dem Richtplatz Gnade.

    Das verzwickte an der Sache sind die widerstrebenden Prinzipien, die an den Akteuren zerren: Ist Gehorsam immer zwingend? Verliert man seine Autorität, wenn man ein Prinzip nicht durchsetzt? Was ist und wo endet Freiheit? Und welches Handeln ist letztlich richtig? Überzeitliche Fragen, die gerade wieder besonders aktuell scheinen.

    Mit enormer Energie macht das Ensemble die Abgründe deutlich, zwischen denen die Akteure balancieren. Die Sprechkultur ist durchweg eine Wucht. Besonders gebannt lauscht man neben Nora Kühnlein (als Natalie von Oranien) Meinolf Steiner, der dem Kurfürsten packende Grandezza verleiht sowie Lukas Kientzler, der die Gefühlsloopings des Titelhelden ergreifend vermittelt. Als kommentierende und verstärkende Komponente genial ist nicht zuletzt die Livemusik von Dorin Gramma mit Elisabeth Kreuzer als Vokalistin, deren „The Mercy Seat“ von Nick Cave and the Bad Seeds immer wieder unter die Haut ging.

    Das Ensemble war während der Proben engmaschig getestet worden. Screenshot: al

    Das Geschehen auf der Bühne am Friedrichsplatz wurde mit sechs Kameras begleitet. Regisseur Peter Staatsmann, der den Schnitt live managte, entschied sich für Close-ups als dominierendes ästhetisches Prinzip. Oft sah man – ganz anders als im realen Theater – also nur ein Gesicht. Das fesselte und erzeugte eine teils fast magnetische Nähe. Allerdings fiel anderes auch weg: Ein ganz banaler Überblick etwa. Das Verständnis dafür, wer mit wem interagiert. Und überhaupt die meisten Ausdrucksmittel jenseits von Mimik, Text und Tonfall.

    Aber diese kleinen Abstriche und vereinzelt überdehnte Mittel wie ein gefühlt ewig gestelztes Rufen während der Schlacht, fielen nicht ins Gewicht angesichts des Glücksgefühls, endlich wieder Bühnenkunst mit vertrauten Gesichtern erleben zu können – noch dazu mit diesem Feuer und dieser Brillanz. In der Kommentarspalte sah man von den teils über 100 Zusehern abschließend denn auch viele, viele, viele klatschenden Hände.

    Der Abend war ein fulminantes Lebenszeichen des Zimmertheaters – und machte Lust auf mehr, auf all das, was auch ein noch so geschmeidiger Livestream nicht bieten kann: Das dreidimensionale Erlebnis, die Urkaft der schieren Gegenwart von Menschen, die einem Stück Leben einhauchen. Am Freitag spürte man noch einmal mehr, was derzeit fehlt. Und worauf man sich wieder freuen darf.

    Für die Finanzierung hofft das Zimmertheater auf Spenden. Screenshot: al
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    Doppel-Premiere am Rottweiler Zimmertheater: Trotz Corona-Chaos hat das Team eine Inszenierung des Kleist-Stücks „Prinz von Homburg“ gestemmt – und diese am Freitagabend per Livestream präsentiert. Grandios!

    Wow. Wie lange hatte man darauf gewartet! Darauf, dass um Schlag Acht die Scheinwerfer aufblenden. Dass Schauspieler auf einer Bühne auftauchen – und mit ihnen für rund zwei Stunden eine ganze Welt. Auf den Tag genau sechs lange Monate war es am Freitag her, dass das Zimmertheater letztmals spielen konnte – ehe sich der bleierne Lockdown-Vorhang erneut und diesmal erdrückend lange senkte.

    Dass nach halbjährige Zwangsabstinenz eingangs eine kribbelnde Spannung in der Luft lag, mehr noch als ohnehin bei Premieren, ließ sich etwa an der Kommentarspalte zum Livestream ablesen. Toitoitoi-Wünsche, offenbar sogar aus der Bretagne, machten dem Ensemble Mut.

    Power und Spielfreude hatte das Team freilich auch ohne derlei digitale Anfeuerung. Nach einem hinzugefügten Prolog, der Freiheit und Repression abklopfend, wilde Assoziationsbögen von bezopften Barockfiguren bis zu Corona-Protesten schlug, bot das Ensemble unter der Regie von Peter Staatsmann eine enorm intensive Ausleuchtung der Kleistschen Versuchsanordnung.

    1809/10 hat der stets zwischen Klassik und Romantik stehende Dichter das Drama um den titelgebenden preußischen Reitergeneral verfasst, der 1675 in einer Schlacht den Befehl seines Kurfürsten missachtet. Obwohl er damit den Sieg ermöglicht, soll er für die Eigenmächtigkeit mit dem Tod bestraft werden und erfährt erst auf dem Richtplatz Gnade.

    Das verzwickte an der Sache sind die widerstrebenden Prinzipien, die an den Akteuren zerren: Ist Gehorsam immer zwingend? Verliert man seine Autorität, wenn man ein Prinzip nicht durchsetzt? Was ist und wo endet Freiheit? Und welches Handeln ist letztlich richtig? Überzeitliche Fragen, die gerade wieder besonders aktuell scheinen.

    Mit enormer Energie macht das Ensemble die Abgründe deutlich, zwischen denen die Akteure balancieren. Die Sprechkultur ist durchweg eine Wucht. Besonders gebannt lauscht man neben Nora Kühnlein (als Natalie von Oranien) Meinolf Steiner, der dem Kurfürsten packende Grandezza verleiht sowie Lukas Kientzler, der die Gefühlsloopings des Titelhelden ergreifend vermittelt. Als kommentierende und verstärkende Komponente genial ist nicht zuletzt die Livemusik von Dorin Gramma mit Elisabeth Kreuzer als Vokalistin, deren „The Mercy Seat“ von Nick Cave and the Bad Seeds immer wieder unter die Haut ging.

    Das Ensemble war während der Proben engmaschig getestet worden. Screenshot: al

    Das Geschehen auf der Bühne am Friedrichsplatz wurde mit sechs Kameras begleitet. Regisseur Peter Staatsmann, der den Schnitt live managte, entschied sich für Close-ups als dominierendes ästhetisches Prinzip. Oft sah man – ganz anders als im realen Theater – also nur ein Gesicht. Das fesselte und erzeugte eine teils fast magnetische Nähe. Allerdings fiel anderes auch weg: Ein ganz banaler Überblick etwa. Das Verständnis dafür, wer mit wem interagiert. Und überhaupt die meisten Ausdrucksmittel jenseits von Mimik, Text und Tonfall.

    Aber diese kleinen Abstriche und vereinzelt überdehnte Mittel wie ein gefühlt ewig gestelztes Rufen während der Schlacht, fielen nicht ins Gewicht angesichts des Glücksgefühls, endlich wieder Bühnenkunst mit vertrauten Gesichtern erleben zu können – noch dazu mit diesem Feuer und dieser Brillanz. In der Kommentarspalte sah man von den teils über 100 Zusehern abschließend denn auch viele, viele, viele klatschenden Hände.

    Der Abend war ein fulminantes Lebenszeichen des Zimmertheaters – und machte Lust auf mehr, auf all das, was auch ein noch so geschmeidiger Livestream nicht bieten kann: Das dreidimensionale Erlebnis, die Urkaft der schieren Gegenwart von Menschen, die einem Stück Leben einhauchen. Am Freitag spürte man noch einmal mehr, was derzeit fehlt. Und worauf man sich wieder freuen darf.

    Für die Finanzierung hofft das Zimmertheater auf Spenden. Screenshot: al
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