„Die Feuerwehr Rottweil provoziert mich. Das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen.“ So begründet ein Bürger aus der Rottweiler Altstadt Übergriffe auf Einsatzkräfte. Da lässt er sich nicht hineinreden, auch nicht von einer Amtsrichterin. Wie allerdings Feuerwehrleute, Polizisten, der Sohn einer Nachbarin diesen Mann erleben, das zeigte die Verhandlung vor dem Amtsgericht am Donnerstag auf.
Hinweis: Dies ist der zweite Teil unserer Berichterstattung. Über den Beginn des ersten Verhandlungstages berichten wir hier.
Dieser 50-jährige Mann kennt anscheinend nur zwei Aggregatzustände: höflich und hitzig. Dazwischen scheinen nur Millisekunden zu liegen, Augenblicke. Er kann schneller Gas geben als ein Porsche. Bremsen fällt ihm dagegen schwerer. Deshalb steht der Mann aus der Rottweiler Altstadt, wir nennen ihn Y., seit Donnerstag erneut vor Gericht. Vor allem Polizeibeamte und Feuerwehrleute bekamen ihren Angaben zufolge massiv ihr Fett ab. Vor Gericht berichteten sie darüber. Denn sie stellten Strafanzeigen. Der Grund dafür, dass er offenbar jedes Mal ausflippt? Er fühlt sich provoziert, glaubt, die anderen hätten jeweils angefangen. Irgendwie kindlich.
Beleidigungen wie Ohrfeigen
Polizisten können ein Lied singen von ihren Erlebnissen mit dem offenbar entzündlichen Mann. Ein Beispiel: Nach einem Kleinbrand auf dem Altstädter Friedhof (wieder einmal) klingeln zwei Beamte bei Y. Sie hätten ihn nur als Zeugen befragen wollen, woraufhin dieser sofort ausfallend geworden sei. Die Folge: eine weitere Strafanzeige. Oder, an einem anderen Tag am Telefon des Polizeireviers: War ein ihm bekannter Beamter im Dienst, habe Y. sofort verbal scharf geschossen. Von 0 auf 100 während eines Wimpernschlags. Und er sei „auffälliger und aggressiver, wenn er was getrunken hat.“ In der Wache stellten die Polizistinnen und Polizisten die Anrufe auf laut, wenn Y. dran war, um Zeugen zu haben. Dafür, was an Beschimpfungen, Schmähungen und Beleidigungen aus dem Hörer quoll. Diese Worte wirken übrigens selbst dann wie Ohrfeigen, wenn Ankläger oder Richterin im Rahmen der Verhandlung sie ganz wertfrei verlesen.
Das alles blieb nicht folgenlos. Als es vor dem Haus von Y. auch zu Übergriffen kommt, als Y. schier wahllos andere Menschen mit dem Tode bedroht, liefern Beamte ihn ein. Zunächst ins Krankenhaus, dann ins Vinzenz-von-Paul-Hospital. Letzteres im vergangenen Jahr zweimal. Kurz später sah man Y. wieder vor seinem Haus, in seinem Garten. In der psychiatrischen Klinik hielt man ihn offenbar nicht für ausreichend krank.
„Ein ruhiges Gespräch war mit ihm nicht möglich.“ So beschrieb ein 35-jähriger Streifenbeamter am Donnerstag in seiner Zeugenvernehmung den Altstädter Y. Der Mann wechsle oft sprunghaft von aktiv- zu passiv-aggressiv. Und er bleibe nicht bei einem Thema, sondern springe wenig nachvollziehbar von einem zum anderen. „Psychisch auffällig“, sei ihm das erschienen, sagte der Beamte. Und, unvermeidlich: Y. habe ihn mehrfach beleidigt. Aufs Schlimmste. Auch diese Zitate wirken wie Ohrfeigen.
„Lauter unschöne Sachen“
T-Shirt, Jeans: Der stellvertretende Rottweiler Stadtbrandmeister kommt als Zeuge ganz in Freizeit-Zivil in den Strafgerichtssaal. Der 47-Jährige wurde an einem Tag im August 2023 gleich zweimal zu einem Brand am Grundstück von Y. in der Altstadt gerufen. Dieser habe die Feuerwehrleute „aufs Schlimmste bedroht, beleidigt, alles, was man sich nicht wünscht.“ Er sei sie körperlich angegangen, „hat ein Riesentheater gemacht, wir mussten uns bespucken lassen, lauter unschöne Sachen“. Einmal wurde er von Y. Spucke seiner Aussage nach an der Hose getroffen, einmal am Hals, gezielt auf ihn, so der Feuerwehrmann, der seinerzeit Einsatzleiter vom Dienst dort war. Y. sei übergriffig geworden, habe ihm etwa auf die Schulter geklopft. Er habe das zunächst ignoriert, „das geht nicht anders, wenn man im Auftrag der Feuerwehr unterwegs ist“. Werde er dann doch in die Schranken gewiesen, erkläre Y., dass ihm die Feuerwehrleute gar nichts anhaben könnten. Und werfe mit Schimpfworten um sich und zeige den Mittelfinger. „Ich kenne ihn nicht anders als so“, lautete das Fazit des Feuerwehrmanns.
Feuer bei der Nachbarin mit seinem Wasser löschen: „Ich verbitte mir das!“
Schon eine Begrüßung von Y. könne lauten: „Ich haue euch eine in die Fresse!“ Der Auslöser für diesen Ausfall: dass ein Rad eines Einsatzfahrzeugs auf seinem Grundstück gestanden habe. Das reicht Y. anscheinend. Er versteht das direkt als eine Provokation. Oder, wenn ein Feuerwehrmann eine Gießkanne von seinem Grundstück schnappt, um einen Kleinbrand auf dem Nachbargrundstück zu löschen. Geht in seinen Augen gar nicht. „Ich verbitte mir das!“, postulierte Y. mit erhobener Stimme im Amtsgerichtssaal. Auch die Richterin kann ihn da nicht umstimmen, das kann vermutlich niemand.
„Was tut der auf meinem Grundstück? Was suchst du bei mir auf dem Grundstück?“ Ein Polizeibeamter hat einen der Einsätze mit einer Körperkamera, einer Body-Cam gefilmt. Die Bilder zeigen einen höchst erregten Y., der Einsatzkräfte der Polizei und der Feuerwehr angeht, der einen Feuerwehrmann anspuckt, der sich nicht beruhigen lassen will. Er hat eine rote Gießkanne in der Hand, die er wohl einem Feuerwehrmann abgenommen hat, wohl jene Gießkanne, mit dem der Feuerwehrmann den Kleinbrand löschen wollte. Diese Bilder, die während der Verhandlung vor dem Amtsgericht gezeigt werden, lösen in Y. ganz offenkundig keine Scham aus, kein Bedauern. Wie erwähnt: Er ist es, der provoziert wird. Er reagiert nur, so jedenfalls seine Sicht.
Brennpunkt Vogelsangstraße: „Ungutes Gefühl“ bei der Adresse von Y.
„Man weiß nie, was einen in dieser Gegend erwartet, welche Überraschungen noch kommen können, man hat ein ganz ungutes Gefühl, wenn man diese Adresse auf dem Melder liest.“ So schilderte der Feuerwehrmann seine Empfindungen. Denn: „So ein Verhalten ist mir noch nie passiert, so lange ich in der Feuerwehr bin.“ Für den stellvertretenden Stadtbrandmeister und Abteilungskommandanten sind das 30 Jahre. Normal sei das nicht, anderswo seien die Leute „froh und freundlich, unterstützen uns.“ Aber „immer nur mit dieser Person gibt es Ärger und Stress.“ Und angespuckt zu werden, das betrachte er als „absolut ekelhaft, das ist unterstes Niveau, ich wäre gerne sofort heim, um mich abzuduschen.“
In Zahlen, ein 30-jähriger weiterer Rottweiler Feuerwehrmann nannte sie: 66 Einsätze der Feuerwehr rund um das Haus von Y. in der Vogelsangstraße und den Altstädter Friedhof 2023. 34 dieses Jahr schon. Ein Brennpunkt im Wortsinne. Man wappne sich als Feuerwehrmann gegen das, was einen dort erwarte: Beleidigungen, ruppige Übergriffe, angespuckt zu werden. Auf dem Friedhof hat die Stadt jetzt eine Kameraüberwachung installiert, seitdem ist dort eher Ruhe, auch die Nachbarn überwachen ihre Grundstücke.
Angespuckt zu werden, das gilt juristisch als Körperverletzung. Zumal dann, wenn der Angespuckte Ekel empfindet, es ihm regelrecht schlecht wird. So haben es beide Feuerwehrleute erlebt.
Kindlicher Kobold?
Von einer wenigstens versuchten Brandstiftung berichtet der Sohn einer Nachbarin von Y. Deren Hecke habe immer wieder gebrannt, einmal habe er Y. direkt dabei erwischt, wie er weggelaufen sei – offenbar von einem frisch entzündeten Karton voller Papier. Er habe den wegrennenden Y. mit dem Handy gefilmt, den Karton und die Hecke mit Wasser aus einer dafür bereitstehenden Gießkanne gelöscht, dann die Polizei gerufen, Anzeige erstattet, sagte der Sohn der Nachbarin. Tatsächlich: Auf dem Handyvideo scheint Y., wie man ihn kennt, davon zu flitzen, direkt zu seinem Haus. Kindisch, koboldhaft wirkt er dabei. Das arbeitet der Psychiater heraus, der der Verhandlung beiwohnt.
Situation „extrem belastend“
Immerhin: Seit einem Viertel- oder gar halben Jahr sei Ruhe „was die Brände angeht“, so der Sohn der Nachbarin. Es habe noch eine Beleidigung gegeben, Stinkefinger, Spuckerei, „das wurde auch zur Anzeige gebracht“. Ansonsten gehe er Y. „so gut es geht aus dem Weg.“ Seiner Mutter gehe es mit der Situation aber nicht gut. „Sie meidet den Gartenteil“, der ans Grundstück von Y. grenzt. „Unruhige Nächte, sie schläft schlecht in der Nacht, weil sie sich nicht traut, ins Bett zu gehen.“ Die Situation sei „extrem belastend“.
Ohnehin belaste Y. mit seinem Verhalten die Umgebung: Narrenmarsch in Dauerschleife, Helene Fischer in voller Lautstärke oder Narrenglockengeschell, wenn auf dem benachbarten Friedhof gerade eine Beerdigung stattfindet, solcherlei. Oder als Brandstifter dort, wie eine Nachbarin beobachtet haben will. Sie schildert recht detailliert, wie er einmal den Abfallcontainer auf dem Altstädter Friedhof angezündet haben soll. Der stand öfter in Vollbrand, die Feuerwehr griff jedes Mal ein. „Relativ schnell“, sei die da, lobte die Nachbarin. Einmal habe sie Y. dabei gefilmt, wie er nach dem Anstecken des Containers zu seinem Haus zurückgekehrt sei. Die Bilder zeigen ihn tief entspannt die Straße überqueren.
Y. versucht angeblich auch Zeugen, die ihn bei der Polizei belasten, einzuschüchtern. Der Nachbarin, die erklärte, keine Angst vor ihm zu haben, weil sie jetzt eine Videoüberwachung am Haus hätten, berichtet von einem Drohanruf. Y. habe ihr gegenüber angekündigt, dass sein Anwalt „etwas mit mir anstellt.“ Dazu eine Anmerkung: Y. aktueller Anwalt scheint große Geduld mit ihm zu haben. Ein anderer, ein bekannter Strafverteidiger sagte der NRWZ, er kenne keinen, der Y. noch vertreten wolle. Er selbst habe dies vor längerer Zeit bereits getan, es habe dann Stress gegeben. Er habe das Mandat niedergelegt.
Ein junger Mann, ebenfalls Nachbar von Y., sagt auch als Zeuge aus, erklärt, er habe beobachten können, wie der Mann einen Brand gelegt habe.
Die Beweislage ist dieses Mal bereits erdrückender als noch im November 2023, als Y. erstmals wegen der Geschehnisse in der Altstadt verurteilt wurde (noch nicht rechtskräftig).
Der Prozess vor dem Amtsgericht wird kommende Woche fortgesetzt.