Während die Protestbewegung der Montags-„Spaziergänger“ auch in Rottweil wächst, tut sich die Gegenbewegung vor Ort arg schwer, auf die Beine zu kommen. Außer einem wütenden Appell an Oberbürgermeister Ralf Broß, den Corona-Maßnahmen-Kritikern Einhalt zu gebieten, die allwöchentlich in steigender Zahl in Rottweil auf Straße gehen, ist bislang sichtbar wenig passiert. Nun aber kommt die Stadtverwaltung in die Gänge. Sie wird sich den als „Spaziergänge“ getarnten Corona-Demonstrationen entgegenstellen. Allerdings nicht per Verbot. Sondern mit einem Appell. Und mit einer sichtbaren Aktion.
51 Mitglieder. So wenige hat die Gruppe „Querdenken ausbremsen RW“ auf Facebook an diesem Freitagmorgen. Vier Tage nach ihrer Gründung ist das nicht gerade viel. Das Ziel der Gruppe: „Wir wollen hier erst mal Leute sammeln und schauen, ob und welche Möglichkeiten wir haben, dem Treiben entgegenzutreten.“ Die, denen hier entgegengetreten werden soll, sind aktuell mehr als zehnmal so viele in ihrer öffentlich einsehbaren Telegram-Gruppe. Im Hintergrund scheint noch mehr zu gehen, denn mit fast tausend Leuten waren sie vergangenen Montagabend in der Rottweiler Innenstadt unterwegs, um gegen die Coronamaßnahmen und die mögliche Impfpflicht zu demonstrieren. Man sieht dabei immer mehr bekannte Gesichter. Nachbarn, Kumpels, Freunde. Es ist ein Trend.
Mahnwache angemeldet
Diesem Trend, den er als unheilvoll empfindet, hat sich Moritz Trost entgegengestellt. Mutig, mit Namen und Gesicht, wie viele andere es nicht tun. Er hat am vergangenen Montagabend, als direkte, persönliche Antwort auf den jüngsten Protestzug durch die Stadt, einen wütenden Brief an Rottweils OB Ralf Broß geschrieben. Trost forderte Broß auf, „dass Sie dafür Sorge tragen, dass es in Zukunft keine illegalen Aufmärsche von AfD-Funktionären, Verschwörungstheoretikern und Schwurblern, kurz ‚Querdenker‘, in Rottweil ohne das Eingreifen der Ordnungskräfte stattfinden können.“
Für kommenden Montag ist zudem eine Mahnwache angekündigt worden, die sich den Corona-„Spaziergängern“ entgegenstellen will. Dieser Gegenprotest wurde regelgerecht angemeldet, erfuhr die NRWZ. Von wem, ist noch unklar.
Reaktion der Stadtverwaltung
Eine Reaktion seitens des Rottweiler Oberbürgermeisters war zunächst ausgeblieben. „OB und Bürgermeister wollen Montags-‚Spaziergänge‘ weiter beobachten“, meldete die NRWZ noch am Dienstag. Und Trost musste sich vom AfD-Landtagsabgeordneten Emil Sänze abkanzeln lassen, der auf das Hobby des jungen Mannes anspielte: „Die Wut eines Hardcore-Musikers interessiert mich eigentlich nicht (niemand hat ihn gewählt).“
Auf Telegram ist Trost zudem belächelt worden. Dort freuen sich die „Spaziergänger“ schon auf den kommenden Montagabend.
Doch jetzt kommt Bewegung in die Sache – ein wenig. Man habe sich die vergangenen Tage intensiv mit dem Thema befasst, so ein Sprecher der Rottweiler Stadtverwaltung am Freitagmorgen.
„1000 Teilnehmer zuletzt – das ist eine relativ hohe Zahl“, so OB Broß im Rahmen einer Pressekonferenz am Freitagmorgen. Bislang seien die Versammlungen – und um solche handelte es sich – friedlich verlaufen. Dennoch würden etwa die Maskenpflicht und die Abstandsregeln nicht eingehalten. Erneut bat Broß darum, die Versammlung im Vorfeld anzumelden, es gehe um die Sicherheit der Teilnehmer und um die Sicherheit Dritter. Nicht darum, die Versammlung zu verbieten.
Es sei völlig in Ordnung, seine Meinung zu vertreten, hieß es seitens der Stadt weiter.
Appell statt Allgemeinverfügung
Mit Sorge habe man wahrgenommen, dass die Teilnehmerzahl in den vergangenen Wochen stetig gewachsen ist. Wie reagiert nun die Stadt? „Ein Verbot müsste umgesetzt werden“, so die Einschätzung der Stadtverwaltung. „Wenn wir ein Verbot unangemeldeter Versammlungen erlassen, ergibt es nur Sinn, wenn die Polizei dieses Verbot auch durchsetzt“, so Broß. Auch bei einem Verbot würden Menschen auf die Straße gehen. Vielleicht sogar noch mehr als bisher, „eben wegen des Verbots“. Die Polizei müsste in entsprechender Mannschaftsstärke auftreten. „Die Polizei kann uns die entsprechende Mannschaftsstärke nicht zur Verfügung stellen“, so Broß. „Das ist ernüchternd.“ Die Polizei könne aber nicht überall mit gleicher Stärke präsent sein.
Der Hintergrund: Die Polizei schätzt Rottweil – bislang – nicht als Hotspot ein, an dem Gewalt drohe. Derer gebe es andere. Für die Stadtverwaltung bedeutet das: „Es ergibt keinen Sinn, ein Verbot auszusprechen, das sich nicht umsetzen lässt“, so Broß. Das sei inzwischen auch Konsens unter Oberbürgermeistern anderer Städte.
Mit anderen Worten: Die Demonstranten sind mit ihrer Methode, sich an möglichst vielen Orten gleichzeitig zu versammeln, erfolgreich. Jedenfalls in einer Kleinstadt wie Rottweil, in der die „Spaziergänge“ bislang friedlich verlaufen sind, hat die Polizei nicht die Kraft, die entsprechende Einsatzstärke aufzubieten, um eine Versammlung aufzulösen. Die Kraft wird anderswo gebündelt.
Was bleibt der Stadt Rottweil? Ein Motto: „Corona ist kein Spaziergang“. Diese Aussage will die Stadt Rottweil den Demonstranten entgegenhalten. „Wir wollen ganz kreativ sein“, so Broß. „Wir versuchen, durch Argumente überzeugen.“
So appelliert die Stadt nun wiederum an die Bürger, den Spaziergängen fernzubleiben, nicht an ihnen teilzunehmen. Dies soll mit Anzeigen in der Lokalpresse ebenso geschehen wie mit einem Banner als ein Zeichen für die Corona-Schutzimpfung, das spätestens zum Wochenmarkt am morgigen Samstag am Alten Rathaus hängen soll. Dies soll Zeichen sein einer neuen städtischen Kampagne pro Infektionsschutz und Corona-Maßnahmen.
Verbot nicht vom Tisch
Ein Versammlungsverbot sei allerdings weiterhin nicht vom Tisch. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel müsse gewahrt werden. Allerdings gehe es der Stadt primär darum, dass die „Spaziergänge“ angemeldet würden. Sie könnten und dürften stattfinden, aber eben unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Allerdings seien die Versammlung in Form der „Spaziergänge“ kein rechtsfreier Raum, ergänzte Bürgermeister Dr. Christian Ruf am Mittwoch. „Wenn rote Linien überschritten werden“, kündigte er an und meinte etwa Sachbeschädigungen oder Gewalt, „werden wir einschreiten.“
Info: Mehr über die Aktion der Stadt unter dem Motto „Corona ist kein Spaziergang“ in einem gesonderten Bericht,