50 Jahre Städtepartnerschaft: Mit einem Wochenende der Begegnungen haben die Städte Hyères an der Côte d’Azur und Rottweil das Jubiläum ihrer 1970 begründeten „Jumelage“ gefeiert. Gleichzeitig beging auch die Chorgemeinschaft ihre 50-jährige Partnerschaft mit dem Hyèrer Chor „Brise Marine“.
Eigentlich hätte beides schon vor zwei Jahren stattfinden sollen, doch die Corona-Pandemie hatte eine Verschiebung notwendig gemacht. Dafür begrüßte Hyères seine Gäste mit viel Sonne. Und mit einem zurückhaltenden Maß an offiziellen Reden, dafür mit viel südfranzösischer Gastfreundschaft. Die Gäste – das waren Vertreter der Stadt mit Oberbürgermeister Ralf Broß nebst Gemahlin Friederike, der Freundeskreis Hyères, Chorgemeinschaft, Münsterchor und eine Abordnung der Feuerwehr.
Empfang
„Die deutschen Freunde mögen die Sonne nicht“, übersetzte Christine Krapf-Laborde, Vorsitzende des Partnerschafts-Komitees, die Bemerkung von Hyères Bürgermeister Jean-Pierre Giran zum Beginn des offiziellen Empfangs der Stadt: Die meisten Gäste hatten sich im Schatten aufgestellt, um die Reden zu hören. Giran zeigte sich beeindruckt von der großen Delegation aus Rottweil. Er betonte die Wichtigkeit der direkten Begegnungen zwischen den Menschen verschiedener Länder – gerade in dieser Zeit. „Wir haben eine Besonderheit: Wir sind polygam“, scherzte Giran – und meinte damit die seit 42 Jahren bestehende Partnerschaft mit der Stadt Koekelberg in Belgien, deren Bürgermeister Ahmed Laaouej ebenfalls dabei war.
Polygamie
Diese „Polygamie“ griff Rottweils Oberbürgermeister Broß in seinem Grußwort auf – er berichtete, dass Rottweil gleich vier Partnerstädte in Europa habe. „Aber die Städtepartnerschaft mit Hyères ist etwas ganz Besonderes, und das will ich am heutigen Tag und an diesem ganz besonders freudigen Anlass erwähnen“, sagte Broß – allerdings tat er das auf Französisch, so dass ein Teil der deutschen Delegation wenig oder gar nichts verstand.
„Es waren die Kriegsheimkehrer von Rottweil und Hyères, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Grundstein für eine innige Freundschaft legten. Der europäische Gedanke nahm Form an. Er lebt nicht in der Politik allein, er lebt vor allem in den engen Beziehungen zwischen Menschen, zwischen Rottweilern und Hyèroisen. Über 50 Jahre trägt uns nun diese Freundschaft in Wohlstand und Frieden“, sagte Broß laut seinem Manuskript. „Und dass Frieden nicht selbstverständlich ist, das sehen wir in diesen Monaten am russischen Krieg gegen die Ukraine, der gefühlt sehr nah ist. Es ist unerträglich, das Leid der Menschen dort ansehen zu müssen.“
Und weiter: „Es ist auch unsere Aufgabe hier und heute, Freundschaften zwischen uns und zwischen den Menschen anderer Nationen zu leben und den europäischen Gedanken mit Leben zu erfüllen. Deswegen sind Rottweil und Hyères seit über 50 Jahren eng verbunden. Deswegen sind wir Rottweiler heute hier in Hyères!“
Springerle
Als Gastgeschenk hatte Broß einen Korb voller Springerle mitgebracht nebst dem eigens geschnitzten Holzmodel. Und er übergab auch eine Erinnerungstafel mit beiden Stadtwappen. Von der Stadt Hyères erhielt er im Gegenzug geschnitzte Fische und eine Vase.
Konzert
Wie bereits vorab berichtet, gaben die zwei Chöre aus Rottweil und der Hyèrer Chor Brise Marine ein etwa zweistündiges Konzert in der Kirche Notre Dame de Consolation oberhalb von Hyères. Ein breit gefächertes Programm mit Chormusik aus mehreren Jahrhunderten von der Renaissance bis zur Gegenwart und in mehreren Sprachen begeisterte die zahlreichen Zuhörer.
Münsterchor
Patrick Mink leitete den Münsterchor, der eine interessante Auswahl von geistlichen, aber auch weltlichen Liedern brachte – von Mozart („Ave verum“) bis John Lennons „Imagine“ beeindruckte der Chor die Zuschauer. Als Solisten taten sich Sängerin Verena Mink, Ruben Overmeyer an der Klarinette, Elias Mink am Cajon und Professor Helmut Cromm am Keyboard hervor.
Chorgemeinschaft
Cromm hatte auch die meisten Arrangements der Lieder geschrieben, eines sogar komponiert, die die Chorgemeinschaft unter seiner Leitung aufführte, teils auch von ihm am Keyboard begleitet. Und er hatte Pachelbels „Kanon“ mit Ralph McTells „Streets of London“ verbunden, was einer der Schwerpunkte der Aufführung war. Gospels und zwei Melodien aus Filmen, aber auch eine leicht-lockere Version von Bachs Menuett in D-Dur machten den bekömmlichen Mix aus. Der Auftritt endete mit dem optimistischen „Jaaa!“ am Ende von „Heaven ist a wonderful Place“.
Brise Marine
Musikalisch in Bestform und mehrsprachig zeigten sich die Gastgeber von „Brise Marine“ unter ihrem neuen Dirigenten Patrice Thiney. Ein „Ave Maria“ und ein Lied von Orlando di Lasso aus der Renaissancezeit, Musik von Händel und russische Lieder: Begleitet von Laurent Signorini am Keyboard beeindruckten die Franzosen das zahlreiche Publikum in der brechend vollen Kirche. Am Ende kamen alle drei Chöre auf die Bühne und bildeten mit über 70 Sängerinnen und Sängern ein beeindruckendes Ensemble. Beim „Abschied vom Walde“ und „Cent mille chansons“ wechselten sich Cromm und Thiney mit dem Dirigat ab.
Jubiläum der Chöre
Weniger als halb offiziell war am Samstag das Jubiläums-Treffen von Chorgemeinschaft und Brise Marine. Die beiden Chöre wollten schon 2020 das Jubiläum ihrer Partnerschaft feiern, doch Corona verhinderte auch dieses. Die Chorgemeinschaft ist der einzige Verein, der von Anfang an seine Partnerschaft mit den Hyèrern hatte, die auch nach so langer Zeit noch besteht, wie Michael Leuchsner ausführte. Er gab als Zeitzeuge einen Rückblick auf die 52 Jahre. Dass in dieser Zeit Freundschaften nicht nur zwischen Chören, sondern auch zwischen den beteiligten Personen gewachsen sind, betonte auch der amtierende Vorsitzende der Chors, Wolf-Dieter Bojus, bei einem gemeinsamen Essen. Nicht jeder der deutschen Sängerinnen und Sänger der Chorgemeinschaft spreche Französisch, nicht jede von Brise Marine Deutsch – „aber die wichtigste Sprache ist die Musik, die uns verbindet“.
Gala-Abend
Ganz ohne festliche Ansprachen ging der Gala-Abend der Städtepartnerschaft am Samstagabend im Forum des Casinos über die Bühne. Dafür diente der Abend den persönlichen Begegnungen über Ländergrenzen – dem einen mehr, dem anderen weniger. Doch einen musikalischen Programmpunkt gab es doch: Die drei Chöre sangen die „Hymne du Jumelage“, in der Michel Levebvre, der inzwischen verstorbene damalige Chorleiter von Brise Marine, die vier Hymnen Marseillaise, Deutschlandlied, Coupo Santo und Narrenmarsch zitiert hatte. Den „Coupo Santo“, die Hymne der Provence, sangen dann viele mit.
Anmerkung am Rande
Bei der Stadt Rottweil ist jetzt nicht die große Spendierfreudigkeit trotz leerer Kassen ausgebrochen. Die Mitglieder der Vereine haben Fahrt, Unterkunft und Verpflegung selbst bezahlt, soweit sie nicht von ihren Hyèrer Freunden eingeladen waren.